Automotive Aftermarket Ersatzteilgeschäft wird zum Rettungsanker in der Coronakrise

Das mittelständische Geschäft mit Ersatzteilen für Werkstätten ist auch in Corona-Zeiten lukrativ.
Düsseldorf Viele Autohäuser sind seit Wochen geschlossen, die Produktion in einigen Werken muss wegen Chipmangel ausgesetzt werden, und zu allem Überfluss gefährdet der kontrollierte Grenzverkehr in Corona-Zeiten auch noch die hochsensiblen Lieferketten. Die Autoindustrie durchlebt in Europa gerade schwere Zeiten. Nur eine Sparte erweist sich aktuell als erstaunlich resistent.
Während die Umsätze der Autoindustrie im Jahr 2020 um 30 bis 40 Prozent einbrachen, erwiesen sich die Akteure der Aftermarkets, also die Ersatzteilhersteller, -händler und Werkstätten als relativ krisenfest. „Die Umsatzeinbrüche im Aftermarket liegen bei fünf bis zehn Prozent“, sagt Alexander Brenner, Senior Partner bei Roland Berger. „Alle sind ehrlicherweise froh, dass man mit einem blauen Auge davongekommen ist.“
In einer Studie haben die Berater untersucht, wie die Coronakrise das Geschäft im Aftermarket beeinflusst: Die Absatzschwäche der Autohersteller dürfte den Markt umkrempeln. Bislang schien das lukrative Geschäft mit Ersatzteilen und Reparaturen klar verteilt: Die Vertragswerkstätten kümmerten sich um vergleichsweise junge und teure Fahrzeuge, die älteren Fahrzeuge wurden in freien Werkstätten repariert. Eins hatten beide Segmente gemeinsam: Die Margen waren stets höher als beim Bau und Verkauf von Neuwagen.
Doch weil aktuell deutlich weniger Neuwagen verkauft werden und die Flotte altert, wird das Servicegeschäft rund um ältere Autos interessanter für die Autohersteller. Die Grenzen zwischen den herstellergebundenen Vertragswerkstätten und dem unabhängigen Werkstatt- und Ersatzteilgeschäft verschwimmen. Schon vor Corona galt das Geschäft mit Ersatzteilen als lukrativ, in der Krise wachsen die Begehrlichkeiten zusätzlich. „Die strukturellen Veränderungen im unabhängigen Aftermarket werden durch Corona beschleunigt“, sagt Roland-Berger-Berater Brenner.
Denn das Geschäft mit Ersatzteilen und Service ist für viele Vertragshändler mit angeschlossener Werkstatt ein Rettungsanker. Während die Ausstellungsflächen für Neuwagen geschlossen sind, geht das Werkstattgeschäft weiter. Doch die kommenden Jahre werden schwierig. „Wenn heute 30 Prozent weniger Autos verkauft werden, sinkt das Geschäft der Vertragswerkstätten in den kommenden Jahren um bis zu zwölf Prozent“, sagt Brenner. Die Autohersteller werden gezwungen sein, sich auch um ältere Autos zu kümmern.
Größe als Wettbewerbsvorteil
Die Konkurrenz im traditionell mittelständisch geprägten freien Aftermarket wächst. „Es gibt einen enormen Wettbewerbsdruck – im Handel und im Zuliefergeschäft –, für das der Aftermarket immer eine ausgleichende Konstante war“, sagt Arnd Franz im Gespräch mit dem Handelsblatt. Der 54-Jährige leitet das Europageschäft von LKQ. Innerhalb weniger Jahre haben die Amerikaner über 80 Unternehmen geschluckt – von Auto Car Parts in Großbritannien bis zu Stahlgruber in Deutschland – und sind heute der größte Ersatzteilhändler des Kontinents. „Die Zeiten, in denen hohe Margen ein Automatismus waren, sind sicherlich vorbei“, sagt Franz.
Größe ist aus Sicht von Franz heute ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Im Schnitt ist sein Unternehmen in den vergangen zehn Jahren um 22,5 Prozent gewachsen. Selbst im Coronajahr 2020 wuchs der Gewinn der Amerikaner um 18 Prozent auf 639 Millionen Dollar.
Mit der neuen Größe will sich LKQ in der neuen Welt des Aftermarkets als Vermittler positionieren. „Vieles wird in Zukunft nicht mehr so schwarz-weiß sein“, sagt Franz. Denn ein Werkstattnetz von der Ukraine bis in den Bayerischen Wald aufzubauen, sei für traditionelle Autohersteller kein lukratives Unterfangen. „Wir sehen durchaus Potenzial für einen Doppelpass zwischen LKQ und den Autoherstellern“, sagt der LKQ-Chef.
Denn das Werkstattgeschäft hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Bei vielen Fahrzeugen wählt nicht mehr der Autofahrer selbst, sondern ein Flottenbetreiber die Werkstatt. Die freie Werkstattwahl wird seltener. Es tauchen neue Beziehungen auf, die es vorher gar nicht gab: Nicht nur die Autohersteller, auch Versicherer und Leasinggesellschaften knüpfen eigene Netzwerke und vermitteln Kunden direkt in Partnerwerkstätten.
Daten sind in der neuen Welt des Aftermarkets daher ein entscheidender Schlüssel zum Kunden. Die Digitalisierung stellt aber vor allem kleine Marktteilnehmer, die mitunter noch mit Zettelkästen arbeiten, vor ein großes Problem. „Bei vielen Mittelständlern in Familienhand stehen Generationswechsel an, viele müssen überlegen, wie viel sie in Zukunftstechnologien investieren wollen“, sagt Roland-Berger-Berater Brenner.
Amazon schielt auf den Markt
Zwischen den mittlerweile hochdigitalisierten Zulieferern und den vergleichsweise analogen Werkstätten stehen heute meist Großhändler wir LKQ. „Wir müssen den Flickenteppich von digitalen Lösungen rund ums Auto beseitigen“, sagt darum auch LKQ-Chef Franz. Bis 2025 will er alle Marken seines Unternehmens auf eine digitale Plattform stellen und dafür jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag investieren. Der digitale Vorsprung ist für den Teilehändler wichtig, ein breites Netz an Werkstätten auch.
Denn die Furcht in der Branche wächst, dass digitale Riesen wie Amazon den Markt für sich entdecken könnten. Da jede Werkstatt heute im Schnitt bei fünf Großhändlern Teile kauft, hat derjenige einen Vorteil, der zeitnah und günstig liefern kann. Mit seiner Marktmacht hat Amazon schon andere lukrative Branchen aufgemischt. Beim Geschäft mit Ersatzteilen ist der Marktanteil des IT-Riesen aber noch marginal.
Und auch der Wandel zur Elektromobilität dürfte die Werkstätten und Teilehändler perspektivisch vor neue Herausforderungen stellen. Hier vollzieht sich der Wandel aber langsamer als im Neuwagengeschäft. Auch 2030 werden nach Schätzungen von LKQ noch 96 Prozent aller Autos, die älter als fünf Jahre sind, mit Verbrennungsmotor unterwegs sein. Was wie ein Vorteil wirkt, könnte sich perspektivisch aber rächen: Während kleine Werkstätten sich nicht auf den technologischen Wandel vorbereiten, entwickeln die Vertragswerkstätten bereits Expertise bei der Reparatur von Elektroautos.
Der wachsende Konkurrenzdruck dürfte darum zunächst vor allem kleine Werkstätten und Großhändler treffen, die sich nicht breit genug aufgestellt haben und bei der Digitalisierung hinterherhinken. Gerade die Autohersteller und ihre Vertragswerkstätten könnten hier nach Ansicht von Roland Berger ihren Wettbewerbsvorteil ausspielen, da sie bei der Digitalisierung von den Autokonzernen unterstützt werden.
Eine Pleitewelle im Aftermarket erwartet Branchenexperte Brenner von Roland Berger aber nicht. „Der Aftermarket wird sicher in der aktuellen Krise das stabilste Geschäft der Autoindustrie sein“, ist Brenner überzeugt.
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