Ziel der Zusammenarbeit ist die Entwicklung einer modularen Hard- und Softwareplattform namens „CAEdge“. Mit dieser will Conti die Entwicklung neuer Software fürs Auto standardisieren und so deutlich beschleunigen. Außerdem will das Unternehmen mithilfe der Amazon-Cloud Autofahrern Programm-Updates über die gesamte Lebensdauer eines Fahrzeugs zugänglich machen.
„CAEdge soll in Zukunft das gesamte Automotive-Geschäft von Continental prägen“, sagt Conti-Technikchef Dirk Abendroth dem Handelsblatt. „Jede Software von Continental, die künftig auf einem Hochleistungscomputer in einem Fahrzeug laufen wird, soll über unsere Entwicklungsplattform mit Amazon entstehen. CAEdge ist sozusagen unser neuer Standard in der Softwareentwicklung.“ Dafür wird die gesamte Softwareentwicklung bei Conti so vereinheitlicht, dass sie bestmöglich mit der Cloud interagiert.
Abendroth, der das Unternehmen Ende Juni verlassen wird, wurde Anfang 2019 genau dafür zum Konzern geholt. Der 46-Jährige sollte im Rahmen des laufenden Strukturprogramms die bislang kleinteilige und diverse Softwareentwicklung bei Conti vereinheitlichen. Amazon hilft nun dabei.
„AWS bringt als führender Anbieter für Cloud-Computing Zugang zu neuesten Machine-Learning- und weiteren innovativen Cloud-Services in die Zusammenarbeit ein“, sagt Bill Vass, Vice President Engineering bei AWS. Amazon drängt so in einen zentralen Zukunftsbereich der Autobranche: die Entwicklung des Auto-Betriebssystems.
Autoindustrie mit Datenmengen überfordert
Dieses wird in Zukunft ähnlich wie Betriebssysteme von Smartphones eine wichtige Schnittstelle zum Kunden sein. Alle Daten, die während der Nutzung eines Fahrzeugs entstehen, werden über das Auto-Betriebssystem erfasst. Einmal ausgewertet können Autobauer und Zulieferer diese Daten nutzen, um ihre Software fortwährend zu verbessern.
Dort liegt das Problem der traditionellen Autoindustrie. Sie ist mit den riesigen Datenmengen überfordert und auf Partner angewiesen.
Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis Conti eine Entwicklungskooperation mit einem Cloud-Anbieter verkünden würde. Konkurrent Bosch ist eine Cloud-Partnerschaft mit Microsoft eingegangen. Der größte Zulieferer der Welt entwickelt ebenfalls eine Softwareplattform und wird dabei den Dienst Azure nutzen. Auch Volkswagen kooperiert mit Microsoft. BMW setzt ebenfalls auf Cloud und maschinelles Lernen von Amazon.
Autoexperte Sahin Albayrak, der das DAI-Labor für Künstliche Intelligenz an der TU Berlin leitet, sieht in den Kooperationen der Autoindustrie mit US-Tech-Konzernen vor allem ein Eingeständnis. „Daimler, BMW, VW und die Zulieferer haben die Softwareentwicklung verschlafen“, sagte Albayrak dem Handelsblatt zuletzt. „Und jetzt ist es fünf vor zwölf. Sie sind daher auf solche Kooperationen angewiesen. Nur so können sie ihren Rückstand aufholen.“
Die Cloud-Kooperationen der deutschen Autoindustrie
Vor allem auf die Werkzeuge des maschinellen Lernens, die Amazon und Microsoft in ihren Clouds anbieten, hat es die Autoindustrie abgesehen. Denn mit ihnen lassen sich, grob gesagt, die Fahrzeugdaten in einem automatisierten Verfahren deutlich schneller auswerten. Laut Conti lässt sich mithilfe von Amazon beispielsweise die Zeit für das Trainieren von Algorithmen für das automatisierte Fahren von mehreren Wochen auf wenige Stunden reduzieren.
Ein Pilotprojekt eines Autobauers für automatisiertes Fahren zeigt, wie CAEdge funktioniert: Der Hersteller stellt Kamera- und Radardaten einer Fahrzeugflotte zur Verfügung. Diese Daten werden in die Entwicklungsplattform überführt und anschließend mithilfe der Rechenpower der AWS-Server und Amazons Methoden des maschinellen Lernens verarbeitet.
Danach können Conti-Ingenieure diese verarbeiteten Daten nutzen und die Software verbessern. Diese kann letztlich als sogenanntes Over-the-Air-Update über eine Internetverbindung von der Cloud wieder zurück auf das Fahrzeug aufgespielt werden.
Conti versichert, dass Autobauer die Entscheidung, mit welchem Zulieferer sie zusammenarbeiten wollen, künftig nicht von deren Cloud-Anbieter abhängig machen müssen. Die Software verschiedener Betriebe lasse sich zusammenführen. „Der Vorteil für die Autobauer, wenn sie das Software-Gesamtpaket unserer Partnerschaft mit Amazon kaufen, ist, dass sie viele bereits vorintegrierte Softwarelösungen erhalten, die sie sofort einsetzen können und nicht anpassen müssen. Das ist zum einen für die Autobauer günstiger, und zum anderen spart es Zeit in der Entwicklung“, sagt Abendroth.
Ende 2021 ist der Serieneinsatz der Entwicklungsplattform CAEdge geplant. Derzeit werden rund 1000 der 20.000 IT-Ingenieure von Conti durch AWS-Mitarbeiter im Umgang mit den durch die Kooperation verfügbaren Services geschult.
Tech-Konzerne nisten sich in Automarkt ein
„Mit CAEdge vereinheitlichen wir die Software, die Grundlage sein wird für die Auto-Betriebssysteme der Hersteller“, schätzt der Conti-Technikchef, wohl mit Blick auf Volkswagen, BMW und Daimler. „Die Autobauer können unsere Softwareprodukte nutzen und ihre eigenen Softwarebestandteile daran andocken.“
Die Auto-Betriebssysteme sind ein sensibler Bereich. Autobauer versuchen einerseits, die Zulieferer fernzuhalten, weil sie in den Betriebssystemen eine zentrale Schnittstelle zum Kunden sehen. Andererseits sind die Autobauer aber auf die Zulieferer angewiesen, weil diese über Jahrzehnte die IT-Produkte fürs Auto entwickelt haben, während die Autobauer sich überwiegend auf den Motorenbau konzentriert hatten. Tech-Konzerne wie Amazon oder Microsoft wiederum sehen eine Chance, mit ihren IT-Angeboten im lukrativen Automarkt Fuß zu fassen.
Die Gefahr, mit Amazon eine „Datenkrake“ in diesen sensiblen Bereich einzulassen, sieht Conti nicht. Laut Abendroth hat Amazon keinen Zugriff auf die Rohdaten. Außerdem würden in CAEdge letztlich die Autobauer entscheiden, welche Daten sie zur Verfügung stellen wollen.
Conti wiederum rechnet nicht damit, dass Amazon sie irgendwann aus dem Markt drängen könnte. Abendroth zufolge geht es dem Partner um die schnelle Verbreitung seines Cloud-Service durch „Hyperscaler“. Und über Zulieferer wie Conti könne Amazon seinen Service direkt mehreren Autobauern anbieten.
Unproblematisch ist die Zusammenarbeit mit einem US-Cloud-Anbieter dennoch nicht. Weil US-Geheimdienste Zugriff auf bei US-Unternehmen gespeicherte Daten haben, verstoßen Clouds von Anbietern aus den USA eigentlich gegen Datenschutzrichtlinien der Europäischen Union. Es steht im Raum, ob die Nutzung illegal ist.
Abendroth hält das Risiko für kalkulierbar. „Wenn man alle Cloud-Anbieter aus den USA vermeiden wollen würde, dann bleiben nicht mehr viele Anbieter übrig“, sagt der Technikchef. „Dann muss man auf die Cloud komplett verzichten.“
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