Autozulieferer Dieselaltlasten und Schaeffler-Beteiligung – Vitesco geht mit Ballast in die Eigenständigkeit

Die Conti-Aktionäre bekommen neue Vitesco-Aktien im Verhältnis fünf zu eins zugeteilt, das heißt je ein Vitesco-Papier für fünf Continental-Aktien.
Frankfurt Mit fast zweijähriger Verspätung geht der Antriebshersteller Vitesco kommende Woche an die Börse. Am 16. September wird Contis ehemalige Antriebssparte an der Frankfurter Wertpapierbörse zum ersten Mal notiert sein.
Geht es nach dem Management um Vitesco-Chef Andreas Wolf und Finanzchef Werner Volz, soll Vitesco perspektivisch in den MDax aufsteigen. Vitesco benannte auch seinen zukünftigen, erweiterten Aufsichtsrat. Aufsichtsratsvorsitzender soll der österreichische Investor und Unternehmer Siegfried Wolf werden.
Mit dem Börsengang trennen sich die Wege von Continental und Vitesco. Continental setzt damit einen entscheidenden Schritt seines Umbauplans um, der bereits 2018 beschlossen wurde und ursprünglich einen Teilbörsengang von Vitesco vorgesehen hatte. Insgesamt hat der Spin-off Vitesco rund 350 Millionen Euro gekostet. Vitesco geht nun frei – aber mit gefährlichen Dieselaltlasten und einer möglicherweise bremsenden Schaeffler-Beteiligung – in eine eigenständige Zukunft. Die wiederum wird weiterhin vom unprofitablen Geschäft mit der Elektromobilität geprägt sein.
Zwar begrüßt Konzernchef Wolf die strengeren CO2-Ziele der Europäischen Kommission. „Bei rein batterieelektrischen Elektrofahrzeugen ist unser Umsatzpotenzial höher als bei Plug-in-Hybriden. Je schneller die Elektrifizierung kommt, desto besser für Vitesco“, sagte er auf einer Pressekonferenz am Mittwoch. Doch Gewinne wirft das Geschäft noch immer nicht ab.
Das reine Elektrogeschäft ist noch vergleichsweise klein, unprofitabel und auf hohe Investitionen angewiesen. Im ersten Halbjahr 2021 hat der Bereich etwas mehr als 300 Millionen Euro umgesetzt. Zwar konnte der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt werden, doch die Verluste beliefen sich auf rund 140 Millionen Euro, was einer Marge von knapp minus 45 Prozent entspricht.
Konkurrent Bosch hatte auf der Automesse IAA Mobility verkündet, in diesem Jahr mit der Technik rund um Elektroautos über eine Milliarde Euro umsetzen zu können. Die Bosch-Zahlen kommentierte Vitesco-Chef Wolf nicht. Nur so viel: „Was da bei so manchen Konkurrenten zur Elektrifizierung hinzugezählt wird, verwundert uns manchmal. Da werden dann beispielsweise auch die Umsätze von Turboladern für Plug-in-Hybride hinzugerechnet.“
Insgesamt fällt die Bilanz von Vitesco im ersten Halbjahr durchwachsen aus. Der Umsatz konnte um knapp 30 Prozent auf 4,4 Milliarden Euro erhöht werden. Die Gewinnmarge jedoch lag bei mickrigen 0,9 Prozent oder knapp 40 Millionen Euro. Finanzchef Werner Volz verweist auf die Anlaufverluste, die Elektromobilität noch verursacht. „Rechnet man das reine Elektromobilitätsgeschäft heraus, läge das Ebit bei über 200 Millionen Euro“, sagte Volz.
Elektromobilität erst 2024 profitabel
Die Anlaufverluste seien laut Vitesco eingeplant und fallen nicht höher aus als erwartet. Im Gegenteil: Durch die Corona-Pandemie erfuhr die Elektromobilität in Deutschland dank üppiger staatlicher Kaufprämien eine nie da gewesene Konjunktur. Dadurch steigen die Chancen für Antriebshersteller wie Vitesco, die eigenen Investitionen in den Ausbau der Elektromobilität schneller zu amortisieren als bislang angenommen. Die mehrmalige Verschiebung des Börsengangs hat sich für das Vitesco-Management daher letztlich als Glücksfall erwiesen.
Wolf erwartet, dass Vitesco 2024 erstmals Geld mit der Elektromobilität verdienen werde. Der Umsatz solle dann bei über zwei Milliarden Euro liegen. Auf dem Weg dorthin schließt der Vitesco-Chef Firmenzukäufe nicht aus. „Wir schauen, ob man technologisch hier oder dort Akzente setzen kann.“ Langfristig schloss Wolf einen Ausbau des Geschäfts in andere Sparten nicht aus. Konkrete Pläne dazu gebe es aber nicht. Finanzchef Werner Volz sprach von einem hohen dreistelligen Millionenbetrag oder niedrigem Milliardenbetrag, der für Zukäufe grundsätzlich zur Verfügung stehe.
Auf der anderen Seite wird der Verbrennerbereich sukzessive verkleinert. Die bestehenden Aufträge werden noch abgearbeitet, dann endet die Ära des Verbrennungsmotors bei Vitesco. Sollte sich ein Käufer finden, kann sich die Konzernführung vorstellen, die entsprechenden Geschäftsbereiche, in denen etwa Turbolader, Einspritzpumpen und hydraulische Produkte hergestellt werden, vorher zu veräußern, sagte Wolf zuletzt dem Handelsblatt. Gespräche mit Interessenten werden offenbar bereits geführt.
Mit der vollständigen Abspaltung von Continental verbleibt allerdings auch ein Großteil der Risiken des laufenden Dieselverfahrens gegen aktive und ehemalige Mitarbeiter bei Vitesco. Im vergangenen Jahr haben Ermittler Standorte des Antriebsherstellers mehrmals durchsucht. Es besteht der Verdacht, dass VW-Mitarbeiter in die Entwicklung illegaler Abschalteinrichtungen in Dieselmotoren stärker involviert waren als bislang angenommen.
Vitesco unterstreicht zwar immer wieder, dass man mit den Ermittlungsbehörden vollumfänglich kooperiere. Zu den möglichen finanziellen Risiken äußerte sich das Unternehmen hingegen nicht. Im Börsenprospekt wird Vitesco nun etwas konkreter. „Insgesamt könnten die potenziellen finanziellen Risiken die künftige Entwicklung von Vitescos Ertragslage erheblich beeinträchtigen.“ Ob Vitesco bereits Rücklagen für mögliche Strafzahlungen gebildet hat, wollte Wolf auf einer Pressekonferenz am Mittwoch nicht kommentieren.
Schaeffler-Familie könnte Kapitalerhöhungen erschweren
Doch bereits jetzt schon musste Vitesco einen „niedrigen zweistelligen Millionenbetrag“ für die Rechtsberatung und Anwälte aufwenden, heißt es in dem Papier weiter. Und noch immer scheint der Bedarf an Rechtsberatung nicht gedeckt zu sein. Aus Branchenkreisen heißt es, dass Vitesco weiter nach Rechtsexperten mit Kenntnissen der Dieselproblematik für seine Compliance-Abteilung sucht. Das Unternehmen kann zudem keine Zivilklagen ausschließen, was die finanziellen Belastungen nochmals erhöhen würde.
Auch die Beteiligung der Schaeffler-Familie könnte laut Börsenprospekt die Strategie von Vitesco torpedieren. Mit der Abspaltung hält die IHO Holding, hinter der Georg Schaeffler und seine Mutter Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann stehen, wie bei Continental auch bei Vitesco 46 Prozent der Anteile.
„Mit diesen 46 Prozent können die IHO-Aktionäre wichtige Entscheidungen blockieren“, heißt es im Börsenprospekt. Schaeffler könne demnach die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder, die Verwendung von Gewinnen und auch die Dividendenpolitik beeinflussen. Schlussendlich hängt jede kontroverse Managemententscheidung auch vom Wohlwollen der Schaefflers ab.
Schaeffler könnte Vitesco auch bei der Kapitalbeschaffung Hürden aufbauen. Laut Börsenprospekt bestehe das Risiko, dass die Schaefflers Kapitalerhöhungen, die sich negativ auf den Wert ihrer Vitesco-Anteile auswirken würden, künftig verhindern könnten.
Die Mitarbeiter von Vitesco wiederum werden sich regional auf Veränderungen einstellen müssen. „Es wird nicht für jeden Standort die Möglichkeit geben, Ausgleiche in Form von Produktion von Elektrokomponenten zu schaffen, weil wir Standorte haben, die ausschließlich Teile für Verbrennungsmotoren herstellen“, sagte Wolf. „Wie viele Mitarbeiter wir 2024 haben werden, wissen wir deswegen nicht. Wir sind gerade dabei, die Pläne neu auszuarbeiten“, sagte der Vitesco-Chef. Er gehe aber von einer mittelfristig gleichbleibenden oder sogar leicht steigenden Beschäftigungszahl bis 2024 aus.
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