Autozulieferer ZF setzt mit Milliardenaufträgen für Elektromobilität die Konkurrenz unter Druck

Zu Jahresbeginn hat der Autozulieferer die Elektroaktivitäten in einer neuen Division gebündelt.
Stuttgart Der Autozulieferer ZF kommt trotz eines hohen Jahresverlustes in der Transformation hin zur Elektromobilität schneller voran als in der Branche erwartet. Bis Ende 2020 hat ZF Aufträge mit einem Umsatzvolumen von 14 Milliarden Euro für rein elektrische Antriebskomponenten für die kommenden Jahre eingesammelt. Der Großteil davon stammt nach Angaben des Unternehmens aus dem vergangenen Jahr.
„Dieser positive Trend hat sich in den ersten Monaten des Jahres mit weiteren neuen Aufträgen fortgesetzt“, sagte Vorstandschef Wolf-Henning Scheider am Donnerstag bei der Präsentation der Jahresbilanz. Die Aufträge kämen aus Europa und Asien.
Aber auch in den USA erwartet der Manager nach dem Regierungswechsel einen Schub für die Elektromobilität. „Wir sind gut positioniert, um unseren Kunden das gesamte Spektrum der E-Mobilität aus einer Hand für alle Mobilitätsanwendungen anzubieten.“
In dieser Momentaufnahme übertrifft ZF sogar die beiden größeren Konkurrenten. Bosch hatte für 2020 von einem Auftragsvolumen von 7,5 Milliarden Euro für elektrische Antriebskomponenten berichtet. Bei der Antriebssparte Vitesco von Continental wird das Volumen auf einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag geschätzt.
Noch vor zehn Jahren wäre undenkbar gewesen, dass der damalige reine Getriebe- und Fahrwerksspezialist ZF einmal beim Thema Elektromobilität konkurrenzfähig sein würde. Aber mit den Milliardenübernahmen von TRW 2015 und des Bremsenherstellers Wabco im vergangenen Jahr haben die Friedrichshafener aufgeschlossen.

„2020 war ein ambivalentes Jahr. Doch wir haben gemeinsam die Krise gemeistert, den Wandel des Unternehmens weiter vorangebracht und uns substanzielle neue Aufträge in den strategisch wichtigen Feldern der Zukunftstechnologien gesichert.“
Mittlerweile fährt jedes zehnte in der EU verkaufte Auto mit Elektroantrieb, bis 2025 könnte es jedes dritte sein. Alle großen Hersteller wie Volkswagen, Daimler und wie auch BMW haben inzwischen den Hebel voll auf Elektromobilität umgelegt. Der Wandel ist längst vorher bei den Zulieferern angekommen, die auch Pioniere wie Tesla oder die aufstrebenden chinesischen Elektro-Anbieter beliefern.
Zudem werden bei der Transformation zur Elektromobilität die Karten bei den Wertschöpfungsanteilen zwischen Autoherstellern und Zulieferern neu gemischt. Bosch, Continental und ZF bieten den zentralen Bordcomputer einschließlich Software und damit das künftige Gehirn des Autos an.
Zudem erobern sie mit dem Bau des Antriebsstrangs die ureigene Domäne der Autohersteller, den Motorenbau. Die nach der Batterie beiden wichtigsten Wertschöpfungsanteile beim Elektroauto sind damit hart umkämpft zwischen Autoherstellern und Zulieferern.
Corona-Pandemie belastet die Bilanz
Zu Jahresbeginn hat ZF daher seine Elektroaktivitäten in der neuen Division „Electrified Powertrain Technology“ gebündelt. Rund 30.000 Mitarbeiter sind dort beschäftigt. Das habe bei ZF den Wandel erfolgreich weiter beschleunigt, betont Scheider. Er zeigte sich überzeugt, dass die neuen Elektroaufträge die Rückgange bei konventionellen Getrieben und Verbrennertechnologien überkompensieren werden.
Kern des Produktprogramms sind unter anderem die Wechselrichter als zentraler Bestandteil der Leistungselektronik. „In diesem Segment wollen wir Marktführer in Europa werden und unter den Topanbietern weltweit sein“, betonte Scheider.
Kürzlich kündigte ZF auch überraschend an, bereits 800-Volt-Systeme anzubieten. Sie sind das Topsegment bei Elektroautos und erlauben eine deutlich schnellere Aufladung und höhere Leistung der Fahrzeuge. Bekannt ist das System durch den Porsche Taycan – hier ist ZF aber nicht der Lieferant. Allerdings sollen nach Informationen des Handelsblatts bereits andere Sportwagenhersteller unter anderem aus Italien bei ZF geordert haben.
Trister sieht dagegen die finanzielle Bilanz des Corona-Jahres aus. 2020 erlitt der Stiftungskonzern einen Umsatzeinbruch um elf Prozent auf 32,6 Milliarden Euro – hat sich damit im Branchenvergleich aber noch ganz gut geschlagen. Continental verzeichnete ein Minus von 17 Prozent, Mahle 16 Prozent, und bei Bosch waren es um 9,5 Prozent. Das bereinigte operative Ergebnis lag bei einer Milliarde Euro.
Unter dem Strich steht ein Verlust nach Steuern von 741 Millionen Euro. ZF-Chef Scheider begründete das mit den Auswirkungen der Pandemie und hohen Aufwendungen für die Transformation zur Elektromobilität und Restrukturierungskosten.
„2020 war ein ambivalentes Jahr. Doch wir haben gemeinsam die Krise gemeistert, den Wandel des Unternehmens weiter vorangebracht und uns substanzielle neue Aufträge in den strategisch wichtigen Feldern der Zukunftstechnologien gesichert“, sagte Scheider.
ZF Friedrichshafen hatte in der Krise auf die Kostenbremse gedrückt und den Abbau von bis zu 15.000 Stellen angekündigt. Man habe im vergangenen Jahr die Zahl der Arbeitsplätze um 6450 reduziert, davon rund 2000 in Deutschland, berichtete das Unternehmen. Damit hat ZF mehr Stellen abgebaut als Continental und Bosch. Weil mit der Übernahme des Lkw-Zulieferers Wabco aber 12.000 hinzukamen, beschäftigte das Unternehmen zum Ende 2020 mit 153.500 fast 6000 Menschen mehr als ein Jahr zuvor.
Hohe Verschuldung wird zum Schwachpunkt
Für das laufende Jahr stellte Scheider einen Umsatz zwischen 37 und 39 Milliarden Euro in Aussicht. Die operative Marge soll sich auf 4,5 bis 5,5 Prozent verbessern. Die Corona-Pandemie und die Lieferengpässe bei Mikrochips sorgten aber weiter für Unsicherheit, hieß es.
Schwachpunkt bei ZF ist allerdings die hohe Nettoverschuldung von 10,8 Milliarden Euro durch die beiden großen Übernahmen der vergangenen Jahre. Fast 277 Millionen Euro Zinsen muss der Autozulieferer jährlich zahlen. Die Eigenkapitalquote ist auf magere zwölf Prozent gesunken. Konkurrent Continental hat eine Eigenkapitalquote von über 30 Prozent. Bei Bosch liegt sie noch deutlich darüber.
„ZF ist beim Eigenkapital sehr schwach auf der Brust. Das Unternehmen wäre gut beraten, sich mit einem Teilbörsengang Eigenkapital zu beschaffen“, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Die Idee ist in der Vergangenheit immer wieder hochgekommen. Bislang hatte aber die stadteigene Zeppelin-Stiftung mit dem Friedrichshafener Oberbürgermeister an der Spitze solche Ideen immer abgeblockt.
„Bei Projekten wie dem zentralen Bordcomputer Pro AI konkurriert ZF bei Software und Chipdesign mit Giganten wie Google, die über ganz andere finanzielle Möglichkeiten verfügen“, erklärte Dudenhöffer. „Das Unternehmen braucht dafür mehr Kapital.“
Nach dem ersten Verlust seit 2009 muss die Zeppelin-Stiftung als Haupteigentümer auf eine Dividende verzichten. In den Jahren zuvor wurden nach der vom Eigentümer festgesetzten Quote 18 Prozent des Jahresgewinns und damit zwei- bis dreistellige Millionen-Euro-Beträge ausgeschüttet. Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es einen Konzern dieser Größenordnung, der quasi einer Stadt mit 60.000 Einwohnern gehört.
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