Biogen-Chef George Scangos „Die Bedrohung hat zugenommen“

Investoren fordern hohe Renditen von dem Biogen-Chef.
Herr Scangos, die Biotechindustrie liefert derzeit so viele Innovationen wie noch nie. Trotzdem sind viele Investoren besorgt. Warum?
Die Industrie steht finanziell unter gewissem Druck. Rund um den Globus gibt es einen starken Fokus auf Medikamentenpreise. Nicht nur in Europa, auch in Amerika herrscht die Meinung vor, dass die Industrie zu gierig ist und zu viel für ihre Arzneien verlangt. Investoren fürchten, dass auch der private Medikamenten-Markt in den USA unter Preisdruck geraten könnte.
Ist die Branche zu gierig?
Also wir hier bei Biogen sitzen gewiss nicht auf zu viel Geld. Wir investieren gerade eine Milliarde Dollar in unsere Alzheimer-Forschung. Um uns das leisten zu können, mussten wir harte Entscheidungen treffen und die Forschungsausgaben in anderen Bereichen erheblich kürzen.
Andererseits erzielen Sie operative Margen von mehr als 40 Prozent. Das erscheint extrem hoch.
Das ist im Grunde typisch für die Pharmabranche, die etwa 20 Prozent Rendite nach Steuern erzielt. Aber man muss letztlich das Gesamtbild im Auge behalten. Die Biotechindustrie verdient im Schnitt nur etwa vier Prozent. Und darin sind die großen erfolgreichen Firmen wie Gilead oder Biogen mit enthalten. Klammert man diese aus, operiert der Biotechsektor insgesamt mit negativen Renditen. Die Firmen verlieren Geld.
Trotzdem wurde bisher stark in die Branche investiert.
Die Geldgeber hoffen, dass sie jeweils die Gewinner herauspicken können.
Sie brauchen die hohen Margen als Incentive für die Investoren?
Ja, denn Biotech ist ein Hochrisikogeschäft. Ob etwa unsere Alzheimer-Projekte erfolgreich sein werden, sehen wir erst in einigen Jahren. Angesichts solcher Risiken erwarten Investoren einen hohen Return, wenn es gutgeht.
Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass es tatsächlich zu Einschnitten auf dem US-Markt kommt?
Die Bedrohung hat auf jeden Fall zugenommen. Fälle wie Valeant und Turing [die nach Akquisitionen die Preise von etablierten Medikamenten stark erhöhten; Anmerkung der Redaktion] haben für großen Wirbel gesorgt. Hinzu kam die Aufregung um die hohen Preise für die Hepatitis-Medikamente. Beide Präsidentschaftskandidaten reden nun über das Thema. Und falls Frau Clinton zur Präsidentin gewählt wird, wird sie wohl versuchen, die Preise runterzubringen.
Was wären die Folgen?
Das würde zunächst einmal die Gewinne schmälern. Um sie zu verteidigen müssten die Firmen die Ausgaben reduzieren und dabei vor allem auch die Forschung kürzen. Der Anreiz für riskante F+E-Projekte wird geringer.
Was könnte die Industrie tun, um die Kritik zu entkräften?
Hilfreich wären zum Beispiel ein gezielterer Einsatz von Medikamenten und erfolgsabhängige Erstattungsmodelle. Wir würden gerne kreativer mit den Versicherungen zusammenarbeiten. Aber leider wird das gerade in den USA durch die Gesetzgebung stark behindert.
Müsste die Branche nicht auch zurückstecken bei den Preisen für Neuentwicklungen?
Natürlich können wir keine Höchstpreise mehr für Me-too-Produkte verlangen. Aber wenn Unternehmen Innovationen herausbringen, die das Leben der Patienten nachhaltig verbessern, sollten sie auch einen Premiumpreis dafür erhalten. Man muss dabei auf die Gesundheitskosten im Ganzen schauen. Der Aufwand für die Versorgung von Alzheimer-Patienten zum Beispiel könnte in Zukunft die Gesundheitssysteme in den Bankrott treiben. Der einzige Weg, das zu vermeiden, sind Medikamente, die Alzheimer verhindern oder verzögern.
Herr Scangos, vielen Dank für das Interview.
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