Biotechnologie Herzkrankheiten, Krebs, Grippe – Modernas Impf-Ambitionen gehen weit über Covid hinaus

Das US-Unternehmen Moderna hat noch große Pläne auch jenseits von Covid-19.
Düsseldorf, Frankfurt Der US-Impfstoffhersteller Moderna baut seine Forschungsaktivitäten rund um mRNA-Impfstoffe und Therapeutika massiv aus. Bis zur Mitte des Jahrzehnts will das Unternehmen mehrere weitere Covid-19-Impfstoffe auf den Markt bringen sowie auch Vakzine gegen andere Viren als das Coronavirus. „Insgesamt sollten wir in der Mitte dieser Dekade eine Pipeline von verschiedenen Impfstoffen entwickelt haben, die wir auf den Markt bringen können“, sagt Paul Burton, Chief Medical Officer des Unternehmens, im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Burton kam Mitte des Jahres vom US-Pharma- und Medizintechnikkonzern Johnson & Johnson und ist in seiner neuen Funktion bei Moderna vor allem für die Endphase der klinischen Entwicklung und die Markteinführung von Produkten verantwortlich. Dazu gehört, wie er es beschreibt, auch der Einsatz von Datenwissenschaften und digitalen Technologien, um gegenüber Regierungen und Gesundheitseinrichtungen den Nutzen der Behandlungen darstellen zu können.
Geht es nach den Plänen des US-Unternehmens, wird die Bedeutung des Managers in den nächsten Jahren noch erheblich wachsen. Denn bei dem mit 138 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung wertvollsten Biotechunternehmen der Welt reichen die Ambitionen längst weit über Covid hinaus. Moderna sieht seine mRNA-Plattform als Basis für eine Vielzahl neuer Therapien.
Neben rund zwei Dutzend Impfstoffkandidaten in klinischer und präklinischer Entwicklung arbeitet Moderna unter anderem an vier therapeutischen Krebsvakzinen sowie an mRNA-basierten Medikamenten gegen Herzkreislauferkrankungen, Infektionen und seltene Erbkrankheiten. Mithilfe von mRNA-Wirkstoffen hofft Moderna die bei bestimmten Erbkrankheiten mangelnde Produktion bestimmter Proteine anzuregen.
„Treiben Impfstoffe gegen Krebs voran”
Mit dem britischen Pharmakonzern Astra-Zeneca testet das US-Unternehmen eine Injektion gegen die sogenannte Myokardiale Ischämie, eine Unterversorgung des Herzmuskels mit Sauerstoff. Dazu wollen die Unternehmen in einigen Tagen neue Daten bei einer Tagung der American Heart Association vorstellen.
„Kurzfristig, also in den nächsten Jahren, werden wir uns sicherlich relativ stark auf Impfstoffe gegen Covid wie auch gegen andere Erreger wie CMV oder Epstein-Barr konzentrieren“, sagt Burton. „Aber parallel dazu treiben wir auch die Programme in den Bereichen Krebs und seltene Krankheiten voran. Wir haben auf jeden Fall die Größe und Schlagkraft, um auch in diesen Bereichen deutlich voranzugehen.“
Das operative Geschäft des US-Biotechunternehmens wird momentan noch komplett von dem erfolgreichen Covid-Impfstoff Spikevax (mRNA1273) geprägt, der sich neben dem Produkt von Biontech und Pfizer als wirksamstes Vakzin gegen Covid-19 etabliert hat. Für den Impfstoff erwartet Moderna bisher rund 20 Milliarden Dollar Umsatz im laufenden Jahr. Neue Prognosen wird das US-Unternehmen am Donnerstag mit seinen Quartalszahlen bekanntgeben. Der US-Konzern Pfizer hatte am Dienstag die Umsatzprognose für seinen mit Biontech vermarkteten Covid-19-Impfstoff von 33,5 auf 36 Milliarden Dollar in diesem Jahr erhöht.
Hohe Erwartungen an Grippe-Impfstoff
Im Impfstoff-Bereich konzentriert sich das US-Unternehmen stark auf verschiedene Auffrischungsimpfungen gegen unterschiedliche Varianten des Coronavirus sowie eine Kombinationsimpfung gegen Covid-19 und die saisonale Grippe. Diese wird aktuell noch im präklinischen Stadium erforscht, soll nach den Worten von Burton möglicherweise aber schon in der Grippesaison 2022 zur Verfügung stehen. Das US-Unternehmen sieht allein in diesem Bereich ein Marktpotenzial für die eigene Neuentwicklung von zwei bis fünf Milliarden Dollar.
Ein weiteres wichtiges Projekt zielt auf einen Impfstoff gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Unter den von RSV verursachten Atemwegsinfektionen leiden vor allem Säuglinge und Kleinkinder massiv. Nicht nur in Deutschland gibt es derzeit eine regelrechte Infektionswelle, bei der viele Kleinkinder auch auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Einen RSV-Impfstoff für Erwachsene will Moderna nach guten Phase-1-Daten nun in einer fortgeschrittenen klinischen Studie testen. Ein entsprechendes Vakzin für Kinder befindet sich noch in der frühen klinischen Erprobung.
Wenn es nach Burton geht, soll künftig „kein Mensch mehr wegen einer Atemwegserkrankung ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen. Wir bei Moderna wollen künftig Kombinationsimpfstoffe entwickeln, die gleichzeitig gegen verschiedene Infektionen wirken, gegen Covid 19, die saisonale Grippe und beispielsweise auch gegen RSV“, sagt er.
Von den Kombinationsvakzinen erhofft sich das Unternehmen auch eine bessere Akzeptanz von Impfungen in der Bevölkerung: „Jeder von uns möchte ja so wenig Impfungen wie möglich bekommen. Für uns ist es ein wichtiges Ziel, das Impfen durch die Kombinationsimpfstoffe so einfach wie möglich zu machen und gleichzeitig den größtmöglichen Schutz zu erreichen“, so Burton.
Einen entscheidenden Vorteil der mRNA-Plattform sieht er darin, dass sie eine besonders schnelle und flexible Impfstoffentwicklung erlaubt. „Wir können Vakzine schnell auf neue Varianten anpassen und so in Zukunft in jeder Saison spezifisch reagieren, nicht nur bei Covid-19, sondern auch bei anderen Atemwegserkrankungen“, sagt der ausgebildete Mediziner.
Verzögerung bei Zulassung für Kinder
Bis auf Weiteres ist allerdings Covid-19 das bestimmende Thema bei Moderna. Aktuell laufen sieben klinische Studien mit dem Fokus auf Covid-19, neben den Impfstoffkandidaten für Kinder und Jugendliche werden auch Auffrischungsimpfungen erforscht.
Auf eine Zulassung des Vakzins für Kinder ab fünf Jahren muss Moderna allerdings länger warten als zunächst geplant. Denn die US-Arzneimittelbehörde FDA signalisierte am Wochenende, dass sie darüber erst Anfang des kommenden Jahres entscheiden will. Die FDA will sich intensiver mit dem Risiko von Herzmuskel-Entzündungen (Myokarditis) befassen, die einigen internationalen Analysen zufolge bei dem Moderna-Impfstoff etwas häufiger auftreten als bei anderen Impfstoffen.
Burton verweist darauf, dass die mit Impfstoffen beobachteten Myokarditis-Fälle insgesamt sehr selten aufgetreten sind und der Krankheitsverlauf in diesen Fällen in der Regel mild verlaufe. In der eigenen Sicherheitsdatenbank von Moderna habe man bisher kein erhöhtes Risiko in dieser Hinsicht bei Jugendlichen unter 18 Jahren wahrgenommen. Zu den Daten aus einigen internationalen Studien habe man noch keinen Zugang, werde diese jedoch ebenfalls intensiv analysieren.
Obwohl das Moderna-Vakzin einigen Analysen zufolge weniger schnell an Effektivität verliert als alle anderen Impfstoffe, plädiert auch Burton für eine Booster-Impfung gegen Covid-19: „Wir sehen einen Bedarf für Auffrischungsimpfungen, weil die Antikörperlevel sinken und die Durchbruchsinfektionen steigen. Mit einer Boosterimpfung erreichen wir wieder ein Schutzlevel, das dem nahekommt, das wir zwei Wochen nach der zweiten Impfung gesehen haben.“
Covid-19 betrachtet der Moderna-Manager weiterhin als Pandemie. Sie wird sich seiner Erwartung nach aber zur Endemie wandeln, das heißt in eine Krankheit, die wie Grippe regional und saisonal begrenzt auftritt. Burton geht davon aus, dass in diesem Szenario die Zeiträume zwischen den Auffrischimpfungen nach und nach größer werden. „Irgendwann wird man vielleicht nur alle fünf Jahre eine Auffrischung brauchen.“
Jenseits der Impfstoffe gegen Atemwegserkrankungen erforscht Moderna unter anderem noch Impfstoffe gegen HIV, das Zika-Virus und das Eppstein-Barr-Virus, allesamt Erreger, gegen die es bisher keine oder allenfalls wenig wirksame Impfstoffe gibt. Besonderes Augenmerk liegt aktuell auf dem Impfstoff gegen das Cytomegalievirus (CMV), das vor allem für Neugeborene und für Personen mit eingeschränktem Immunsystem gefährlich sein kann.
Dieser Impfstoff könnte nach den Worten Burtons möglicherweise schon 2023 marktreif sein. Vor wenigen Tagen wurde ein erster Patient in eine größere, potenziell zulassungsrelevante Phase-3-Studie eingeschlossen.
Mehr: Astra-Zeneca, Biontech, Moderna: Der Impfschutz lässt nach.
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