Biotechnologie Trotz Biontech nur ein Nischenmarkt – Die Hürden für die deutsche Biotech-Branche

Der Aufschwung in der deutschen Biotech-Branche wird bisher nur von wenigen Firmen getragen.
Frankfurt Der Erfolg von Biontech bei der Entwicklung von Covid-Impfstoffen hat die deutsche Biotech-Industrie zurück ins Rampenlicht gerückt. Die Branche hofft auf neuen Schwung, was Finanzierung, Produktion und Entwicklung neuartiger Medikamente in Deutschland betrifft. Doch sie ist noch weit davon entfernt, weitere Stars wie Biontech hervorzubringen.
Dass die Realität eher ernüchternd ist, zeigen Daten des Handelsblatts und eine aktuelle Analyse des Branchenverbands Bio Deutschland. Danach gelten die Finanzierungsbedingungen nach wie vor als problematisch. Vor allem die Wachstumsfinanzierung junger Biotech-Firmen sei weiter schwierig, konstatiert Viola Bronsema, Geschäftsführerin von Bio Deutschland am Dienstag.
Auch bei der Produktion von Biotech-Mitteln warnen die Experten vor einer negativen Entwicklung. Deutschland drohe hier gegenüber aggressiveren Konkurrenten in Asien zurückzufallen. Insgesamt zeigt sich: Der Aufschwung in der Branche wird bisher letztlich nur von wenigen Firmen getragen und ist noch nicht in der Breite angekommen.
Das zeigt sich allein schon beim Blick auf die gut zwei Dutzend börsengelisteten deutschen Biotech-Firmen. In der Summe haben sie ihre Bewertung seit Dezember 2019 nach Berechnung des Handelsblatts auf rund 113 Milliarden Euro fast verfünffacht. Der Wertzuwachs von insgesamt fast 90 Milliarden Euro entfällt allerdings zu 98 Prozent auf nur drei Firmen: den neuen Branchenstar Biontech, die ebenfalls im Bereich mRNA und Impfstoffentwicklung tätige Tübinger Curevac und das Hamburger Biotech-Forschungsunternehmen Evotec.
Für den Rest der Branche hat sich die Börsenbewertung in Summe dagegen kaum geändert. Selbst der Biotech-Pionier Qiagen, dessen Diagnostikageschäft stark von der Pandemie profitierte, hat seit Ende 2019 nur um moderate 20 Prozent zugelegt. Kleinere Firmen wie Heidelberg Pharma, Affimed und Vivoryon verbuchten von niedriger Basis aus zwar dreistellige Wertzuwächse.
Dem standen jedoch zum Teil deutliche Kursverluste bei einigen anderen Firmen gegenüber, darunter zum Beispiel die Münchener Morphosys, die trotz einer erfolgreichen Produktzulassung seit Ende 2019 gut die Hälfte an Börsenwert einbüßte.
Die Entwicklung zeigt, dass die Branche kaum auf eine generelle Aufwertung im Sog von Biontech hoffen kann. Entscheidend bleiben Forschungs- und Produkterfolge.
Zugang zum heimischen Kapitalmarkt fehlt weitgehend
Das Finanzierungsklima für die Branche hat sich zwar erheblich verbessert. So hat zum Beispiel der Erfolg von Biontech und auch die ansehnliche Bewertung von Curevac den Blick der internationalen und insbesondere der US-Risikokapitalgeber stärker auf Deutschland gelenkt. Das wiederum stärkt die Hoffnung, dass die Start-up-Finanzierung auch in Zukunft noch weiter vorankommt.
Andererseits ist die Finanzierung noch deutlich schwieriger als in den USA. Dort floss im vergangenen Jahr mit knapp 90 Milliarden Euro fast 30-mal so viel frisches Kapital in den Biotech-Sektor wie in Deutschland.
Zudem zeigt sich auch hier ein Ungleichgewicht. Rund die Hälfte der Kapitalzuflüsse von rund drei Milliarden Euro im vergangenen Jahr entfielen allein auf Aktienemissionen von Biontech und Curevac. Im ersten Halbjahr 2021 verzeichneten die deutschen Biotechs zwar einen Eigenkapitalzufluss von gut 900 Millionen Euro, allein 400 Millionen Euro stammten dabei aber aus einer Kapitalerhöhung von Curevac.
Als Handicap für die Branche werten manche Branchenvertreter nach wie vor die Tatsache, dass der Zugang zum heimischen Kapitalmarkt bisher weitgehend fehlt. So gab es in den letzten Jahren praktisch keine Biotech-Börsengänge in Deutschland. Zwar gelang etlichen deutschen Biotech-Firmen, darunter Biontech und Curevac, ein erfolgreicher IPO an der US-Technologiebörse Nasdaq. Eine stärkere Öffnung auch der deutschen Börse für Biotech-Unternehmen, so die Hoffnung, könnte der Branche aber zusätzlichen Schub verleihen.
Die frühe Investition in Start-ups über Seed-Finanzierungen funktioniere mittlerweile ganz gut, resümiert Bio-Deutschland-Geschäftsführerin Bronsema. Für die Wachstumsfinanzierung seien aber bessere Rahmenbedingungen für Investoren und die Möglichkeit von Exits nötig.
Eine Herausforderung und gewisse Gefahr sieht die Branche auch bei der Biotech-Produktion. Auch hier entfaltet der Impfstoffboom aktuell zwar einen deutlich positiven Effekt. Insbesondere die schnelle Umrüstung des früheren Novartis-Impfstoffwerks in Marburg für die Produktion des mRNA-Vakzins von Biontech gilt als sehr wichtiger Erfolg und als Beleg für das Potenzial auf dem Gebiet. Zudem profitieren Biotech-Zulieferer wie Merck, Sartorius oder Rentschler Biopharma stark von der hohen Impfstoffnachfrage.
Asiatische Länder fördern aggressiv den Ausbau eigener Firmen
Im Schatten des Impfstoffbooms erwachsen aus Sicht des Branchenverbands aber neue Herausforderungen für den Produktionsstandort Deutschland, insbesondere durch verstärkte Konkurrenz aus Asien, wo etliche Länder wie China, Indien und Südkorea den Ausbau einer eigenen Produktion und eigener Firmen aggressiv fördern. Schon in den letzten Jahren wurde Deutschland als Nummer zwei in der Biotech-Produktion von Korea überrundet.
Den Ambitionen der asiatischen Konkurrenz wiederum könnte die deutsche Gesundheitspolitik indirekt in die Hände spielen, warnen Bio Deutschland und der Verband Pro Generika, der die führenden Hersteller von Nachahmermedikamenten vertritt. Es geht vor allem um Biosimilars, also Kopien wichtiger Biotech-Wirkstoffe wie etwa des Rheumamittels Humira oder des Krebsmittels Rituxan.
Für diese Biosimilars will der Gesetzgeber im kommenden Jahr den Apotheken die Möglichkeit einer automatischen Substitution einräumen. Das wird nach Erwartung der Hersteller einen überzogenen Preiswettbewerb und Effizienzdruck mit sich bringen, was wiederum einseitig asiatische Billiganbieter begünstigen wird.
„Das wäre ein verheerendes Signal. Man würde den Fehler wiederholen, den man bereits bei klassischen Generika gemacht hat“, warnt Christoph Stoller, Geschäftsführer der Teva Biotech GmbH, einer Tochter des israelischen Teva-Konzerns, der vor Kurzem eine neue, 500 Millionen Euro teure Biotech-Produktion in Ulm errichtet hat.
Der harte Preiswettbewerb bei den traditionellen, chemisch hergestellten Medikamenten hat im Laufe der letzten drei Jahrzehnte dazu geführt, dass heute etwa 80 Prozent dieser Wirksubstanzen nur noch in Indien oder China produziert werden. Das wiederum sorgte zuletzt wiederholt für Engpässe bei einzelnen Standardmedikamenten, weil einzelne Hersteller in Indien oder China ausfielen oder mit Qualitätsproblemen kämpften.
Eine ähnliche Entwicklung und damit auch Risiken für die Versorgungssicherheit drohten letztlich auch bei Biotech-Medikamenten, warnen die Branchenvertreter.
Die Entwicklung berge zudem die Gefahr, dass mit Verlagerung der Produktion mittelfristig Biotech-Kompetenz verloren geht oder nach Asien abwandert. Auch das würde letztlich dem nun erhofften Aufschwung für die Branche entgegenlaufen.
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