Deutscher Ölkonzern Wintershall Milliardenstreit im Wüstensand

Das Kasseler Unternehmen will seine Auslandsaktivitäten in diesem Jahr weiter ausbauen.
Düsseldorf Das Credo von Mario Mehren ist simpel: „Wir fördern Öl und Gas, mit denen man Geld verdient“, betont der Chef von Wintershall gerne. Während viele seiner Konkurrenten infolge des Ölpreisverfalls in den vergangenen Jahren hohe Verluste anhäuften, meldete Deutschlands größter Erdölkonzern stets solide Gewinne. Besser noch: 2016 stellte Wintershall einen neuen Produktionsrekord auf. 165 Millionen Fässer à 159 Liter Öl und Gas förderte die Tochter des Chemieriesen BASF. Egal ob in Russland, Norwegen oder Argentinien: Das Mantra von Mehren geht auf. Bei Wintershall brummt allerorten das Geschäft – mit einer Ausnahme: Libyen.
In dem nordafrikanischen Krisenland konnte das Unternehmen aus Kassel, das jährlich etwa 2,8 Milliarden Euro umsetzt und gut 2.000 Mitarbeiter beschäftigt, 2013 nur knapp zehn Prozent der eigentlich möglichen Ölfördermenge aus dem Boden pumpen. Mal blockierten Milizionäre die Verladehäfen, mal nahmen Islamisten Pumpanlagen oder Pipelines in Beschlag. Aktuell steht die Produktion von Wintershall wieder einmal still. Die Folge: Der Konzern verbrennt in der Wüste Nordafrikas jeden Monat mehrere Millionen Euro. Und es könnte alles noch viel schlimmer werden.
Denn neben der betriebswirtschaftlichen Katastrophe muss sich Wintershall jetzt auch noch mit schweren Vorwürfen und einer gigantischen Zahlungsaufforderung auseinandersetzen. Der staatliche libysche Ölkonzern NOC bezichtigt die Deutschen, Vereinbarungen gebrochen zu haben, und fordert fast eine Milliarde Dollar von dem Unternehmen. „Wintershall hat eine moralische Verpflichtung, seine Zusagen zu erfüllen“, sagte Mustafa Sanalla dem Handelsblatt. Der NOC-Chef will Wintershall für Kompensationsansprüche und den Verlust von Einnahmen haftbar machen, die dem libyschen Staat entgangen seien, weil Wintershall seit dem 7. März 2017 kein Öl mehr in Libyen fördert. „Wir verlieren monatlich eine Viertelmilliarde Dollar durch den Förderstopp“, erklärt Sanalla. Infolge der Handlungen von Wintershall, poltert der NOC-Chef, würde letztlich die ganze Gesellschaft, „unsere Kinder und Krankenhäuser“, ihrer Mittel beraubt.
Wintershall weist die Vorwürfe zurück. „Wir haben uns stets vertragstreu verhalten und sind auch allen unseren Zahlungsverpflichtungen nachgekommen“, sagte Wintershall-Sprecher Michael Sasse dem Handelsblatt. Um zu verstehen, worum es in dem Milliardenstreit geht, muss man an seinen Ursprung zurück – ins Libyen des Diktators Muammar al-Gaddafi.
Wintershall ist seit 1958 in Libyen aktiv. Kein anderer westlicher Ölkonzern ist mit dem Land so lange und so eng verbunden. Gut tausend Kilometer von der Hauptstadt Tripolis entfernt betreibt Wintershall im östlichen Sirte-Becken acht Ölfelder in der Wüste. Für dieses Recht, auf libyschem Boden den wichtigsten Rohstoff der Welt fördern zu dürfen, überweist Wintershall jeden Monat Gebühren, Steuern und Förderabgaben an die libysche Zentralbank. Mehr als 90 Prozent der Einnahmen aus der Erdölproduktion wandern so in die Staatskasse des nordafrikanischen Landes. Doch im Jahr 2008 nahm die libysche Ölgesellschaft NOC Verhandlungen mit Wintershall auf, um die beiden bestehenden Konzessionsverträge C 96 und C 97 neu zu regeln. Das Ziel der NOC: Wintershall sollte einerseits mehr Geld bezahlen und andererseits zu einem Minderheitsgesellschafter degradiert werden. Den operativen Betrieb sollten künftig nicht mehr die Deutschen führen, sondern die Libyer. Ein schlechter Deal für Wintershall. Aber was wäre schon die Alternative in einem Land, das ein Despot unterjocht? Nolens volens unterzeichneten die Deutschen daher 2010 eine Absichtserklärung mit dem NOC. Für 2011 war die finale Vertragseinigung auf Basis dieses Memorandum of Understanding geplant. Doch sie erfolgte nie. Es kam alles anders.
Gewaltherrschaft in Libyen hält an
Ende 2010 breitete sich von Tunesien aus eine Protestwelle im gesamten arabischen Raum gegen autoritäre Herrscher aus. In Libyen gipfelte diese Revolution am 20. Oktober 2011 im Sturz des Diktators Gaddafi. Der Westen feierte sich für seine geglückte militärische Intervention und träumte vom Übergang des Landes hin zu einer friedlichen Demokratie. Doch mit Gaddafis Tod endete keineswegs die mehr als 40 Jahre währende Gewaltherrschaft in Libyen – sie hält vielmehr bis heute an.
„Libyen ist de facto ein gescheiterter Staat“, sagt Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz. „Drei Regierungen, lokale Stammesführer, die Mafia, die Terrorgruppe IS und bis zu 1.600 Milizen bekämpfen sich gegenseitig. Niemand ist dabei in der Lage, auch nur die Hälfte des Landes unter seine Kontrolle zu bringen“, erklärt Meyer. Die Situation ist extrem verworren. Anfang Mai gab es allerdings einen kleinen Hoffnungsschimmer.
Der Vorsitzende des international anerkannten Präsidialrats, Fajis al-Sarradsch, hat einen Waffenstillstand mit seinem größten Widersacher, General Khalifa Haftar, vereinbart. Der Deal zwischen den beiden starken Männern Libyens ist aber mittlerweile wieder geplatzt. Wie es jetzt weitergeht, ist völlig offen. Das Land versinkt im Bürgerkrieg. Und genau dieses Chaos soll sich Wintershall zunutze gemacht haben – so lautet jedenfalls der Vorwurf, den NOC-Chef Sanalla erhebt.

„Wir fördern Öl und Gas, mit denen man Geld verdient.“
Konkret habe Wintershall versucht, sich in die libysche Innenpolitik einzumischen, um von der „Schwäche des Staates“ zu profitieren, behauptet Sanalla. Dafür soll Wintershall federführend an der Resolution 270 der Einheitsregierung mitgewirkt haben. Diese Regelung ordnet die Kompetenzverteilung in Libyens Erdölsektor neu. Das Land verfügt über die größten nachgewiesenen Ölreserven Nordafrikas.
Tritt die Resolution in Kraft, baut die von den Vereinten Nationen unterstützte Einheitsregierung von al-Sarradsch ihren Einfluss auf die wichtigste Einnahmequelle Libyens enorm aus. Für die Vergabe von Konzessionen wäre dann nämlich nicht mehr die nationale Ölgesellschaft NOC zuständig, sondern der Präsidialrat der Einheitsregierung. Das Brisante dabei: Während die NOC darauf pocht, dass die Verträge mit Wintershall zum Nachteil der Deutschen angepasst werden müssen, ist die Einheitsregierung bereit, den Wünschen von Wintershall weitgehend zu entsprechen.
NOC-Chef Sanalla hat deshalb gegen die Regelung geklagt. Ein Berufungsgericht in Bengasi gab ihm nun recht. Die Resolution 270 wurde aufgehoben. Der Versuch von Wintershall, das NOC zu „hintergehen“, sei damit fehlgeschlagen, sagt Sanalla. Doch was ist ein Gerichtsurteil in einem gescheiterten Staat überhaupt wert? Aus der Sicht von Wintershall nicht viel.
Versuch, die Situation zu entspannen
„Unser Vertragspartner ist der libysche Staat, nicht sein Unternehmen, die NOC. Vertragsfragen wären daher mit der von Deutschland und den Vereinten Nationen anerkannten Regierung zu klären. Diese hat jedoch gar nicht in Abrede gestellt, dass unsere Konzessionen noch bis mindestens 2026 gültig sind“, sagte Wintershall-Sprecher Michael Sasse. Sein Konzern ist trotz der hitzigen Auseinandersetzungen bemüht, die Lage zu deeskalieren. Erst in der vergangenen Woche hat sich Wintershall auf operativer Geschäftsebene mit dem NOC ausgetauscht.
In den Streit haben sich mittlerweile sogar Diplomaten eingeschaltet. Am 16. Mai versuchte etwa Christian Buck, der deutsche Botschafter in Libyen, bei einem Gespräch in Tripolis mit NOC-Chef Sanalla zwischen den Fronten zu vermitteln. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es dazu, dass es eine der Aufgaben von Botschaften im Ausland sei, für die Belange der deutschen Wirtschaft einzutreten.
Wer den Machtkampf um die libyschen Öleinkünfte gewinnt, ist längst nicht entschieden. Solange es keiner zentralen Autorität gelingt, das Land unter Kontrolle zu bringen, dürfte auch der Albtraum von Wintershall andauern.
Noch hebt man in Kassel zwar die fast 60-jährige Verbundenheit mit Libyen hervor – auch in schweren Zeiten. Doch seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs hat Wintershall seine europäischen Beschäftigten allesamt aus Nordafrika abgezogen. Lediglich 500 lokale Mitarbeiter sind für Wintershall noch in Libyen aktiv. Und die Hemmschwelle, sich gänzlich aus dem Staub zu machen, sinkt in Kassel wohl von Tag zu Tag.
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