Digitalisierung im Mittelstand Start-ups arbeiten immer besser mit der klassischen Industrie zusammen

Das Start-up Wandelbots hat den Einstieg in die klassische Industrie geschafft.
Hamburg, Düsseldorf Es ist die Vorzeigefabrik von Volkswagen: Die „Gläserne Manufaktur“ in Dresden zeigt VW-Fans, wie Autos gebaut werden – allerdings auf Holzparkett, mit viel Handarbeit und im Schneckentempo. Am Rande der Produktionsstraße haben die Ingenieure zudem einen besonderen Showcase aufgebaut.
Sie demonstrieren, wie ein Industrieroboter per Hand über die Bewegung eines speziellen Stifts programmiert werden kann. Dank Technik des benachbarten Start-ups Wandelbots fährt ein Roboter scheinbar kinderleicht durch den Motorraum eines Elektro-Golfs.
Für Wandelbots-Chef Christian Piechnick ist die Kooperation mit dem großen Autobauer ein Glücksfall. Schließlich müssten junge Unternehmen in der Maschinenbaubranche einen „schmalen Grat“ beschreiten: „Einerseits ist die Branche wirklich sehr konservativ und sicherheitsbedacht, andererseits besteht ein hoher Innovationsdruck“, sagt er. Seit drei Jahrzehnten sei schließlich bei Robotersoftware wenig passiert, sodass noch immer viele Ingenieure für die Steuerung der Anlagen nötig seien.
Damit bringt der Start-up-Gründer das Dilemma des deutschen Maschinenbaus auf den Punkt. Über Jahrzehnte hat sich die Branche auf technologische Exzellenz fokussiert – nun müssen die Unternehmen ihre lange etablierten Produkte in immer kürzeren Zyklen neu erfinden und neue Geschäftsfelder erschließen.
Genau darin liegt die Stärke von Start-ups, deren Kerngeschäft es ist, in rasanter Geschwindigkeit neue Prototypen zu entwickeln und wieder zu verwerfen. Dafür fehlt es den Jungunternehmern in der Industrie meist an der nötigen Reputation, um ihre Produkte in den Fabriken zu etablieren. Das eröffnet Raum für Synergien, die Start-ups und die klassische Industrie immer häufiger zusammenführen.
Einmalige Innovationsprojekte und dauerhafte Partnerschaften
So ist mehr als die Hälfte der deutschen Maschinenbauer in den vergangenen Jahren eine Kooperation mit mindestens einem Start-up eingegangen. Zu diesem Schluss kommt eine bislang noch unveröffentlichte Studie des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) und des Gründerzentrums der Technischen Universität München, UnternehmerTUM, die dem Handelsblatt vorab vorliegt.
Dabei waren im Schnitt drei von fünf Kooperationen erfolgreich: So gaben 71 Prozent der insgesamt 110 befragten Maschinenbauer an, mit der bisherigen Zusammenarbeit zufrieden zu sein. Von den 96 Start-ups, die die Studienautoren befragten, zeigten sich wiederum 61 Prozent der Teilnehmer zufrieden.
Das Kernmotiv der Etablierten ist dabei die Entwicklung neuer oder die Verbesserung bestehender Produkte (84 Prozent) – während für die Start-ups eher die Kundengewinnung (93 Prozent) im Vordergrund steht sowie der sogenannte „Proof of Concept“ (66 Prozent), bei dem die Jungunternehmen die Funktionsfähigkeit ihrer Lösung unter Beweis stellen können.
Nicht immer geht es dabei gleich um ein Investment. „Gerade kleinere Maschinenbauer sind finanziell oft nicht gut genug ausgestattet, um gleich Millionenbeträge an Wagniskapital zu investieren“, sagt Hartmut Rauen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des VDMA. Die Spanne reiche daher von einmaligen Innovationsprojekten über dauerhafte Partnerschaften bis hin zu sogenannten Acceleratoren, in denen die Etablierten die Start-ups aktiv beim Wachstum unterstützen.
Auch die Start-ups seien in der Regel nicht auf der Suche nach Investoren, erklärt Christian Mohr, Managing Partner bei der Unternehmensberatung von UnternehmerTUM. „Typischerweise wollen Start-ups einen möglichst breiten Kundenkreis erschließen.“ Deshalb liege ein strategisches Investment eines einzelnen Kunden nicht unbedingt im Interesse der Jungunternehmen. „Auch die Altinvestoren, oft Venture-Capital-Fonds, haben da ein Wort mitzureden.“
Dennoch ist die enge Zusammenarbeit mit Endkunden aus der Industrie für die Start-ups nötig, um weitere potenzielle Käufer zu überzeugen. Das hat auch Christian Piechnick von Wandelbots festgestellt. „Anders als in anderen Bereichen kann die Software nicht erst beim Kunden reifen“, sagt er. Schließlich könne sich kein Produzent lange Ausfallzeiten leisten.
Auch bei der Arbeitsweise habe sich Wandelbots an die Gepflogenheiten in der Industrie angepasst. „Wir arbeiten eher wie ein Mittelständler als wie ein cooles Start-up“, so Piechnick. „Sie werden bei uns morgens um halb neun mehr Mitarbeiter antreffen als nachmittags um halb sechs.“
Kulturelle Annäherung ist ein wichtiger Erfolgsfaktor
In dieser Annährung beider Welten liegt ein wichtiger Erfolgsaspekt. So empfehlen auch die Studienautoren den Start-ups, ihre Kundenansprache an die Zielgruppe der Maschinenbauer anzupassen. Statt des vertrauten „Du“ sei beispielsweise in der Branche ein förmliches „Sie“ eher angebracht. Und ein seriöser Firmenname funktioniere besser als eine originelle Wortschöpfung.
Exemplarisch dafür steht das Münchener Start-up Remberg, das eine Software für die Verwaltung von Maschinenservice-Dienstleistungen entwickelt hat. Auf ein englisches Fantasiewort als Firmennamen hat das Unternehmen dabei bewusst verzichtet. Mitgründer David Hahn betont, dass es wichtig sei, seinem Gegenüber auf Augenhöhe zu begegnen und dem Kooperationspartner deutlich zu machen, dass er sich auf ein vertrauenswürdiges und funktionsfähiges Produkt verlassen kann.
Dennoch sei der Perfektionismus, den viele traditionelle Industrieunternehmen bei der Entwicklung neuer Produkte an den Tag legen, manchmal auch ein Hindernis: „Perfekt ist oft der größte Feind von gut“, so Hahn. „Der Perfektionismus des deutschen Maschinenbaus steht der Digitalisierung oft im Weg, da er dem agilen Leitgedanken der Softwareentwicklung beziehungsweise dem von Start-ups widerspricht.“
Die unterschiedliche Geschwindigkeit, in denen Start-ups und klassische Industrie arbeiten, zählt mit zu den häufigsten Problemen, wenn beide Sphären miteinander kooperieren. So nennen die Start-ups in der Studie schlanke Prozesse und wenig Bürokratie als wichtigsten Erfolgsfaktor bei der Zusammenarbeit (43 Prozent), gefolgt von festen Budgetzusagen (39 Prozent) und klaren Ansprechpartnern im Unternehmen (38 Prozent).
Auch Johannes Mayer, Mitgründer des Start-ups Wiferion, nennt die unterschiedlichen Geschwindigkeiten als eine zentrale Herausforderung bei der Kooperation mit traditionellen Unternehmen. Die Fraunhofer-Ausgründung entwickelt seit gut vier Jahren drahtlose Ladeinfrastruktur für Produktionsroboter und Gabelstapler. Dabei habe es lange gedauert, überhaupt erst eine Lieferantennummer von Autoherstellern zu bekommen, um die eigenen Produkte anbieten zu können, so Mayer.
Potenzielle Kunden geht Wiferion von zwei Seiten an: Zum einen versucht der Vertrieb, die Entwicklungsingenieure von den Vorteilen der induktiven Ladentechnik zu überzeugen, bei der Fahrzeuge im Betrieb geladen werden können. Doch diese Ingenieure müssen im Konzernverbund wiederum die Budgetverantwortlichen und die Manager überzeugen. „Wenn man diese Leiter von unten hochsteigt, dauert es sehr lang. Daher suchen wir parallel den Kontakt zum Topmanagement“, sagt Mayer.
Dabei helfe – anders als bei den detailverliebten Entwicklern – die große Vision des Start-ups, das sich als Teil der Dekarbonisierung der Industrie begreift. „Mit diesen Ideen bekommen wir Zugang auch direkt zu Konzernchefs.“ Offenbar ist die Strategie erfolgreich: Zu den Kunden gehört inzwischen der Roboterbauer Kuka, der die Technik bei seinen Robotern für die Automobilindustrie einsetzt.
Finanziert ist Wiferion durch den ausstiegsorientierten Risikokapitalgeber Nordic Alpha Partners. „Bislang investieren noch relativ wenige Venture-Capital-Geber in Hardware statt in Software“, sagt Mayer. Diese Investoren seien sich aber bewusst, dass die Entwicklung der Geräte mehrere Jahre in Anspruch nimmt. Dafür sei die Technik schwerer zu kopieren.
Maschinenbauer treten auch selbst als Gründer auf
Gleichzeitig entdecken auch immer mehr Maschinenbauer die Innovations- und Geschäftspotenziale, die sie durch Ausgründungen von eigenen Start-ups heben können. Ein Beispiel dafür ist die Firmengruppe Körber, unter deren Dach sich verschiedene Maschinen- und Anlagenbauer sowie eine eigene Digitalisierungssparte vereinen.
Der Hamburger Konzern startet in dieser Woche offiziell sein erstes selbst gegründetes Start-up: FactoryPal soll mithilfe des maschinellen Lernens Produktionsanlagen von Herstellern von Zellstoffprodukten wie Toilettenpapier und Küchenrollen effektiver machen. Die Technik sammelt dazu zahlreiche Daten der eingesetzten Maschinen – unabhängig vom Hersteller. Anschließend wertet die Software die Daten aus und gibt Empfehlungen, wie die Maschinen besser aufeinander abgestimmt werden können.
Das Start-up ist ein Zeichen für die Weiterentwicklung der jüngsten Konzernsparte, Körber Digital. Spartenchef Daniel Szabo, seit einem Jahr an Bord, möchte verstärkt eigenes Geschäft entwickeln. Die erste Phase, in der die Digitaleinheit vor allem die Aufmerksamkeit im Konzern auf Zukunftsthemen lenken sollte, sei weitgehend abgeschlossen. Neues Ziel: eigenständige Digitalunternehmen mit einem Umsatzpotenzial von mindestens 50 Millionen Euro.
„Wir wollen zwei bis drei Gründungen pro Jahr vorantreiben – sind aber auch bereit, einmal keine zu machen, falls sich kein sinnvolles Geschäftsmodell ergibt“, sagt Szabo. „Die Unternehmen sollen viele Freiheiten genießen, aber trotzdem die Vorteile des Konzernverbunds nutzen.“
Für den Aufbau von FactoryPal hat er Asdrubal Pichardo geholt, nachdem Körber Digital das Geschäftsmodell bereits auf Tauglichkeit geprüft hatte. Anders als bei klassischen Start-ups ist Pichardo nicht als Teilhaber an FactoryPal beteiligt, sondern angestellter Geschäftsführer. Damit soll es weniger stark auf die Wertentwicklung des Start-ups ankommen als bei den Start-ups von Risikokapitalfonds.
Die Anbindung an den Körber-Konzern ermögliche es, sich in speziellere Aufgabenfelder einzuarbeiten, meint Pichardo. So ist FactoryPal zu Beginn auf das Körber-Spezialgebiet Zellstoff abgestimmt. „Risikokapitalgeber würden nicht so tief in den Prozess hineingehen“, meint er.
Daher entstehen bei dem Maschinenbauer etwas andere Start-ups als gewohnt. „Es gibt eine andere Dynamik und Struktur“, meint Szabo. Sehr schnelles Wachstum wie bei Start-ups im Bereich E-Commerce sei nicht zu erwarten – schließlich ist viel technologische Vorarbeit nötig und der Kundenkreis begrenzt. Ein Vorteil seien allerdings langfristige Kundenbeziehungen – bei denen der Körber-Verbund hilft.
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