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Digitalisierung Mit Vollgas in die Cloud – Autobauer werden zu Softwarekonzernen

Die deutschen Autobauer wollen von Fahrzeuglieferanten zu datengetriebenen Mobilitätsdienstleistern werden. Notgedrungen gehen sie dabei Kooperationen mit potenziellen Konkurrenten ein.
06.09.2021 - 15:47 Uhr Kommentieren
Autofahrer sollen künftig selbst Motorleistung per Online-Update dazu buchen können. Quelle: Getty Images
Straßenverkehr

Autofahrer sollen künftig selbst Motorleistung per Online-Update dazu buchen können.

(Foto: Getty Images)

Köln Ein aufgehübschtes Infotainmentsystem, eine neue Anordnung einiger Menüpunkte – und eine flüssigere Darstellung: Für die Nutzer bedeutete das erste Update der Software in den E-Autos der ID-Modellreihe im Juli vor allem Detailverbesserungen.

Für den Hersteller war es eine Feuerprobe: Erstmals brachte Volkswagen in großem Stil Fahrzeuge abseits von Werkstätten auf den neuesten Stand. Eingespielt wurde die neue Software „over the air“: über die mobile Internetverbindung oder per WLAN.

Alle zwölf Wochen ist für die E-Autos fortan eine Frischzellenkur geplant – Modelle anderer Konzernmarken sollen folgen. Explizit geht es nicht nur um das Infotainmentsystem. Per Software werden Funktionen für Komponenten freigeschaltet, die ohnehin verbaut sind.

Mit dem ersten Update kam bereits eine dynamische Fernlichtsteuerung. Weitere Extras, für die Kunden sich bislang beim Kauf entscheiden müssen, sollen künftig hinzugebucht werden können. Denkbar ist das für Einparkhilfen, Spurhalteassistenten oder sogar Motorleistung. „Wir legen den Grundstein für neue Geschäftsmodelle“, sagt Michael Wintergerst, Bereichsleiter bei der VW-Softwaretochter Cariad.

Mit seinem Team ist der Ex-SAP-Manager dafür verantwortlich, dass für das Autobetriebssystem VW.OS und weitere Anwendungen genügend IT-Ressourcen zur Verfügung stehen. Dabei setzt er auf Cloud-Computing: Speicher- und Rechenkapazitäten werden bedarfsweise bei IT-Dienstleistern gebucht. „Es ergibt keinen Sinn, das selbst aufzubauen“, sagt Wintergerst. „Der Bedarf wird rasant steigen.“

Ob Over-the-Air-Updates, Fahrzeuge, die sich gegenseitig vor Schlaglöchern warnen, oder Roboter-Taxis auf Abruf: Mit Hochdruck bereiten die deutschen Autobauer sich auf eine Zukunft vor, in der nicht mehr nur der Verkauf von technisch möglichst perfekten Fahrzeugen über den Geschäftserfolg entscheidet.

IAA wird zur Mobilitätsmesse

Dass in der Branche ein neuer Wind weht, wird auch auf der IAA deutlich, die am Dienstag in München startet. Erstmals definiert sich der Branchentreff nicht mehr als reine Auto-, sondern als umfassende Mobilitätsmesse.
Der Handlungsbedarf ist hoch: Mit digitalen Updates hat E-Auto-Bauer Tesla Volkswagen, BMW und Daimler vorgeführt. Zunehmend sorgen chinesische Start-ups wie Nio mit leistungsstarken Rechnerarchitekturen und Connected-Car-Funktionen für Furore. Mobilitäts-Plattformen wie Uber oder Lyft wollen den Autobesitz überflüssig machen.

Die Tech-Riesen Google und Apple haben mit ihren Smartphone-Betriebssystemen längst einen festen Platz im Auto. Nun treiben sie die Entwicklung des autonomen Fahrens voran. Anders als die traditionellen Autobauer verstehen sie es seit jeher, Daten zu Geld zu machen – und können auf gigantische IT-Ressourcen zurückgreifen.

„Die Cloud ist nicht bloß eine technische Infrastruktur, sondern ein echter Gamechanger“, sagt Andreas Boes, außerplanmäßiger Professor an der TU Darmstadt. In einer umfassenden Studie des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München hat der Soziologe die Strategien großer Autohersteller untersucht. Wesentliche Teile der drei großen Konzerne hätten inzwischen verstanden, dass die Branche vor einem massiven Umbruch steht, in der die Wertschöpfung künftig in der Cloud stattfindet.

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Zwar sprächen deutsche Automanager schon lange über „datengetriebene Geschäftsmodelle“, so der Digitalisierungsforscher. „Jetzt, wo die Cloud ins Spiel kommt, beginnen die Unternehmen, ihre eigenen Worthülsen zu verstehen.“ Besondere Konsequenz attestiert Boes ausgerechnet dem oft behäbig wirkenden Volkswagen-Konzern. Vor zwei Jahren bündelten die Wolfsburger ihre IT-Experten in der Car-Software-Organisation. Inzwischen arbeiten unter dem Dach der in Cariad umbenannten Einheit 4500 Ingenieure und Entwickler. Immer wieder betont VW-Chef Herbert Diess, dass diese über die Zukunft des ganzen Konzerns entscheiden.
Auch BMW und Daimler lassen keinen Zweifel daran, dass sie bei digitalen Geschäftsmodellen oben mitspielen wollen – und dass dabei kein Weg am Cloud-Computing vorbeiführt. Von einem „enormen Potenzial für Agilität, Geschwindigkeit und Flexibilität“, spricht Marco Görgmaier, der bei BMW als Chef der „DevOps Platform“ IT-Umgebungen für die Softwareentwickler im Konzern bereitstellt. Rund ein Fünftel der 4500 IT-Anwendungen laufen bereits in der Cloud. „Ich erwarte, dass dieser Anteil erheblich steigen wird“, sagt der Manager. Als ein Beispiel für den Einsatz nennt er das vernetzte Fahren: „Wenn Autos sich gegenseitig vor einem Unfall oder Glatteis warnen, steigt regional der Bedarf an Rechenleistung stark an – und fällt danach wieder ab.“ Dafür die passenden Kapazitäten selbst vorzuhalten würde enorme Investitionen erfordern. „Gigantische Compute-Leistungen“ seien künftig zudem für das autonome Fahren nötig.

Mehr Effizienz in der Produktion

Doch die Cloud soll nicht nur neue Services für den Kunden ermöglichen. Auch in die Produktion ist die Technologie eingezogen. Volkswagen etwa will in einer „Industrial Cloud“ 120 Fabriken zusammenschließen – und neben eigenen Maschinen und Anlagen auch Zulieferer einbinden. Standorte sollen künftig je nach Bedarf Anwendungen wie etwa zur vorausschauenden Wartung aus einer Art App-Store installieren können.

Daimler vernetzt Werke in einer „Production Data Cloud“, BMW treibt zusammen mit anderen Unternehmen in einer „Open Manufacturing Platform“ Technologien für die vernetzte Fertigung voran. All das soll die Effizienz der Werke verbessern: Bei den Münchenern erhofft man sich, die Produktionskosten pro Fahrzeug bis 2025 gegenüber 2019 um ein Viertel zu senken.

In Zukunft soll nicht mehr nur der Verkauf von technisch möglichst perfekten Fahrzeugen über den Geschäftserfolg der deutschen Autobauer entscheiden. Quelle: dpa
VW-Chef Herbert Diess (r.) und Microsoft-CEO Satya Nadella

In Zukunft soll nicht mehr nur der Verkauf von technisch möglichst perfekten Fahrzeugen über den Geschäftserfolg der deutschen Autobauer entscheiden.

(Foto: dpa)

Bei der Transformation helfen sollen Schwergewichte der IT-Branche. Von Amazons Cloud-Sparte AWS über Microsoft bis hin zu Google: Reihenweise haben die Autohersteller in den vergangenen zwei Jahren große Kooperationen mit den sogenannten Hyperscalern bekanntgegeben. „Die deutsche Autoindustrie war vorne dabei, als 2011 die Industrie 4.0 ausgerufen wurde“, sagt Forscher Boes. „Doch sie hat es verpennt, auch die Infrastruktur für die Vernetzung zu schaffen.“

Der Flirt mit den Tech-Riesen ist nicht ohne Risiko. Mit Argwohn blicken die Automanager auf deren Ambitionen im Mobilitätssektor, die längst über den Experimentierstatus hinausgehen. Erst August startete die Google-Schwester Waymo einen Robotaxi-Dienst in San Francisco. Amazon kaufte im Jahr 2020 für 1,3 Milliarden Dollar den Konkurrenten Zoox – und will das autonome Fahren nun auch für Lieferfahrzeuge ausweiten. Sollte man ausgerechnet den neuen Konkurrenten den eigenen Datenschatz anvertrauen?

Bewusst setzen Autokonzerne nicht exklusiv auf einen Anbieter. Volkswagen kooperiert mit Amazon in der Produktion, hat sich beim VW.OS-Gegenstück – der „Automotive Cloud“ – dagegen für die Zusammenarbeit mit Microsoft entschieden. Mit dem US-Konzern soll auch das autonome Fahren vorangetrieben werden. „Dass Microsoft in dem Bereich nicht kompetitiv unterwegs ist, ist ein wichtiger Faktor“, sagt Cariad-Softwarechef Wintergerst. BMW betont, auch mit kleineren Anbietern zusammenzuarbeiten. „Aus Entwicklersicht wäre ein einziger Provider am charmantesten“, sagt Cloud-Chef Görgmaier. „Aber wir wollen Abhängigkeiten vermeiden.“

Eine dominante Rolle spielen aber Amazon und Microsoft: Ende 2020 kündigte BMW an, mit Daten aus Geschäfts- und Betriebsbereichen in über 100 Ländern zu AWS umzuziehen.

Europäische Cloud-Initiative als Gegenpol

Einen Gegenpol zu den US-Tech-Riesen – das sollten die europäische Cloud-Initiative Gaia-X und die Branchenlösung Catena-X schaffen. Involviert sind BMW, Daimler, Volkswagen und mehrere Zulieferer. Doch auch Google, AWS und Microsoft mischen im europäischen Vorzeigeprojekt inzwischen mit. Görgmaier, der bei Gaia-X zum Interims-Board of Directors gehörte, sieht darin kein Problem: „Es bringt nichts, alleine einen europäischen Hyperscaler aufbauen zu wollen.“ Die große Aufgabe sei, Standards und Regeln für einen unternehmensübergreifenden Datenaustausch zu definieren. „Dabei muss man die Marktführer mit einbeziehen.“

Mehr: „Catena-X“: VW tritt deutscher Auto-Cloud bei

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