Einigung bei Autobauer Daimler baut Berliner Motorenfabrik zu Digitalcampus um – Hunderte Jobs wackeln

Das Werk soll in ein Kompetenzzentrum für Digitalisierung umgewandelt werden.
München Seit 1902 produziert Daimler in Berlin-Marienfelde klassische Verbrennungsmotoren. Kein anderes Werk des Stuttgarter Autobauers blickt auf eine solch lange Fertigungshistorie zurück. Doch bald ist damit Schluss. Der Bau von V6-Dieselaggregaten, Getrieben und Motorenkomponenten läuft bis Mitte des Jahrzehnts aus.
Seit Monaten bangen die 2500 Daimler-Mitarbeiter in Marienfelde daher um ihre Jobs. Sie fürchten, dass ihre Arbeitsstätte mit dem Ende des Verbrenners „ausgeblutet“ oder gar gänzlich „rasiert“ wird. Nun zeichnet sich für viele Beschäftigte allerdings eine längerfristige Perspektive ab.
Daimler hält zwar an dem Plan fest, die Motoren- und Getriebeproduktion in der Hauptstadt schrittweise stillzulegen. Aber parallel soll der Traditionsstandort in einen „Campus für die Entwicklung, Erprobung und Implementierung wegweisender Softwareapplikationen“ umgebaut werden, wie der Konzern am Mittwoch bekanntgab.
Konkret investiert der Mercedes-Hersteller in Berlin einen zweistelligen Millionenbetrag – unter anderem in den Aufbau einer „digitalen Anlauffabrik mit einer Reihe modernster Pilotlinien und Testzellen“. Zudem sollen hier kleinere Komponenten für Elektroautos montiert werden. Dazu zählt etwa das sogenannte EE-Compartment zur intelligenten Integration der Leistungselektronik für Batteriesysteme. Auf den damit einhergehenden Umbau des Werks haben sich das örtliche Management und der Betriebsrat grundsätzlich geeinigt.
„Indem wir Berlin zu einem Kompetenzzentrum für Digitalisierung mit Produktionsvolumen im Bereich E-Mobilität transformieren, sichern wir erfolgreich die Zukunft des Traditionsstandorts“, erklärte Mercedes-Produktionschef Jörg Burzer. Der Manager will in Marienfelde das geballte Wissen der Marke zu digitalen Anwendungen in der Produktion bündeln.
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Der Standort soll damit zu einer Art Kompetenz- und Qualifizierungszentrum für den Einsatz von Software bei der Montage werden. Verantwortliche aus den weltweit mehr als 30 Pkw-Fabriken von Mercedes werden künftig nach Berlin pilgern und sich hier zu den neuesten Softwareapplikationen schulen lassen. Das unter anderem mithilfe von neuesten Augmented-Reality-Tools Erlernte sollen sie anschließend in den einzelnen Werken anwenden, so der Plan.
Schon jetzt versucht Mercedes durch den Einsatz von Big-Data-Analysen, die Prozesse in seinen Fabriken erheblich zu verschlanken. Bei der Produktion der neuen S-Klasse kommt beispielsweise bereits das neue Ökosystem MO360 zum Einsatz. Damit soll die Effizienz in der Fertigung um 15 Prozent steigen.
Möglich werden soll das unter anderem durch den Wegfall von einem großen Teil der Nacharbeiten. Tritt während der Fertigung irgendwo eine Abweichung von der Norm auf, werden die Monteure am Band dank MO360 proaktiv auf ihrem Smartphone oder Handheld informiert und können Fehler sofort beheben, statt später aufwendig nachbessern zu müssen.
In Marienfelde soll stringent an weiteren Optimierungen in der Produktion auf Basis von Sensoren und Softwareapplikationen getüftelt werden. Die hier gewonnenen Erkenntnisse sollen dann direkt in den Arbeitsalltag der 80.000 Produktionsmitarbeiter von Mercedes rund um den Globus einfließen.
„Wir werden die Belegschaft deutlich reduzieren“
Szenarien, wonach durch den Umbau des Werks nur noch eine Rumpftruppe von 500 Mitarbeitern in Marienfelde verbleiben könnte, sind mit der Zusage zum Digitalcampus zwar vom Tisch. Gleichwohl werden durch den Wegfall des Verbrenners weniger Arbeitskräfte benötigt. Dies werde zu „personellen Anpassungen führen“, erklärte Daimler in einer Mitteilung.
Oberste Priorität habe dabei „die sozialverträgliche Gestaltung und Umsetzung“, betonte der Konzern. So sind die Daimler-Beschäftigten in Deutschland bis Ende 2029 prinzipiell vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt.
Wie viele Stellen genau in Marienfelde wegfallen, ist aktuell noch unklar. „Wir werden die Belegschaft deutlich reduzieren“, sagte jedoch ein Manager dem Handelsblatt. Mittelfristig könnte eine vierstellige Zahl an Jobs sozialverträglich abgebaut werden, heißt es in Konzernkreisen. Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Berlin, betont dagegen dass das letzte Wort bei der Mitarbeiteranzahl in Marienfelde noch längst nicht gesprochen sei. „Wir haben eine Absichtserklärung unterschrieben, die für Marienfelde mit dem Digitalcampus ein gutes Alleinstellungsmerkmal vorsieht. Das ist aber kein Endpapier“, sagte Otto dem Handelsblatt.
Der Gewerkschaft besteht darauf, dass das Berliner Daimler-Werk ein Produktionsstandort bleibt. Die Zusage für die Montage einiger elektrischer Komponenten kann aus seiner Sicht nur der Anfang sein. Otto regt etwa an, in Marienfelde künftig auch Batteriesysteme zu fertigen oder zumindest Batterien zu recyclen. „Da sind jetzt kreative Lösungen gefragt“. Klar ist dennoch: Marienfelde wird schrumpfen.
Daimler will sich von einem Hardwareanbieter verstärkt zu einem Softwarekonzern wandeln und bei der Elektromobilität führend werden. Der Verbrenner wird dagegen zum Auslaufmodell. Das setzt insbesondere die Motorenstandorte des Konzerns massiv unter Druck. Zumal Daimler-Chef Ola Källenius einen strammen Sparkurs fährt, um die Fixkosten zu senken. Mehr als 20.000 der weltweit 300.000 Stellen sollen bis 2025 gestrichen werden.
Mit der grundsätzlichen Einigung zwischen Konzernführung und Arbeitnehmervertretern in Berlin befrieden Källenius und sein Chief Operating Officer Markus Schäfer nun aber allmählich einen der größten Konfliktherde beim Personalabbau. Und auch am derzeit wichtigsten Kampfschauplatz – im Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim – bahnt sich ein Kompromiss zwischen Management und Betriebsrat an, heißt es in Konzernkreisen.
Gestritten wird in Untertürkheim lediglich noch um die Frage, wie es mit dem Stahlguss im Werksteil in Mettingen weitergeht, wenn die Turboladerproduktion Anfang 2024 ausläuft. Die Betriebsräte verlangen eine Kompensation, doch die Standortleitung hadert noch damit, weitere Investitionen freizugeben. Klar ist aber: Der Personalabbau wird auch in Untertürkheim deutlich milder ausfallen als ursprünglich befürchtet. Über das Horrorszenario, wonach 4000 der 18.500 Stellen gestrichen werden könnten, spricht intern jedenfalls niemand mehr.
Mehr: Källenius plant die nächste Revolution: Daimler prüft vorzeitiges Ende des Verbrenners.
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"Dies werde zu „personellen Anpassungen führen“, erklärte Daimler in einer Mitteilung."
Das ist die Kernaussage dieses Artikels. Alles andere ist Kosmetik um eine Werkschließung schön zu reden.
Vollstes Verständnis für die Daimler AG. Diese Arbeitsplätze sind umweltschädlich und in D unerwünscht und gehören weggemerkelt.