Elektroauto Drahtlose Softwareupdates: Volkswagen zieht mit Tesla gleich

Die neuen Softwareupdates machen aus dem Bildschirm auf dem Armaturenbrett eine Schaltzentrale.
Wolfsburg Nach der doppelten Testphase wird es nun endlich ernst: Volkswagen beginnt in dieser Woche im großen Stil mit der drahtlosen Versendung von Softwareupdates „over the air“ (OTA). Was Tesla-Fahrzeuge schon seit Jahren können, beherrschen von nun auch die Autos aus Wolfsburg – allerdings mit Einschränkungen. Nur die neueste Generation der Elektromodelle aus der ID-Familie bietet die Technik an, nicht aber die klassischen Verbrennermodelle wie Golf und Passat.
Bei Volkswagen hatte es in diesem Jahr zwei umfangreiche Testläufe mit mehreren Tausend Elektroautos gegeben, um die Zuverlässigkeit der neuen OTA-Software zu überprüfen. Zu Jahresbeginn war die neue Technik bei 1000 Dienstwagen getestet worden. Im Juli kamen etwa 2000 Autos aus dem „First Mover Club“ dazu. Darin sind die ersten Käufer der ersten ID-Elektroautos zusammengeschlossen. Sie sind Volkswagen gegenüber besonders loyal und verzeihen eher einmal einen Fehler. Vor einem Jahr bei der Ersteinführung der neuen ID-Modelle hatte Volkswagen noch sehr große Softwareprobleme.
Die zweite Testphase mit den „First Movern“ ist während der vergangenen zwei Monate erfolgreich verlaufen. Deshalb wagt Volkswagen jetzt den Start mit der großen Masse. Etwa 200.000 Exemplare der E-Modelle ID.3 und ID.4 sind bislang im VW-Werk Zwickau für den europäischen Markt produziert worden. Diese Flotte wird nun für regelmäßige OTA-Updates freigeschaltet. Neu produzierte Fahrzeuge haben die Technik serienmäßig an Bord.
„Die neuen Updates sind eine zentrale Funktionalität des digitalen, vernetzten Autos. Für unsere Kunden werden sie rasch zur Normalität werden – so, wie sie es vom Smartphone kennen“, sagte am Montag Thomas Ulbrich, Entwicklungsvorstand der Marke Volkswagen Pkw.
Der Wolfsburger Autohersteller arbeite künftig wie ein Tech-Unternehmen in kurzen Zyklen und stelle den Kunden die Updates in engen Takten zur Verfügung. Bei Volkswagen sollen drahtlose Softwareupdates in Zukunft etwa alle drei Monate zur Regel werden.
Bei Tesla sind Updates seit Jahren Standard
Ein klassischer Autohersteller wie Volkswagen hat immensen Respekt vor dem neuen Thema Software. Die Furcht vor einem Scheitern ist groß. Tesla hatte mit der drahtlosen Softwareverteilung schon vor etwa acht Jahren begonnen und entsprechend Erfahrungen gesammelt.
Premiummarken wie Mercedes und BMW bieten Updates „over the air“ zwar ebenfalls an, aber im Unterschied zu Tesla in sehr begrenztem Umfang. Volkswagen bezeichnet sich selbst als erster Massenhersteller, der jetzt mit den OTA-Updates beginnt.
Volkswagen plant die drahtlose Softwareverteilung über das Mobilfunknetz zunächst nur auf dem europäischen Markt, andere Verkaufsregionen wie Nordamerika und China werden später folgen. Konzernmarken wie etwa Skoda nutzen bei ihren neuesten Elektromodellen zwar dieselbe Technik wie die Volkswagen-Pkws (die sogenannte „MEB-Elektroplattform“), lassen sich mit dem Start der Updates „over the air“ aber noch etwas mehr Zeit. Volkswagen soll zunächst Erfahrungen mit der neuen Technik sammeln.
Kunden klassischer VW-Verbrennermodelle werden vergeblich auf umfassende drahtlose Softwareupdates warten. Für Golf oder Passat nutzt Volkswagen eine völlig andere Plattform, mit der die Updates „over the air“ nur in sehr kleinem Umfang möglich sind. Der VW-Konzern müsste viel Geld in die Hand nehmen, um die Verbrennermodelle auf den technisch neuesten Stand zu bringen. Da das Ende der Verbrenner zeitlich immer näher rückt, dürfte sich der Konzern eher gegen diese zusätzlichen Investitionen entscheiden.
Stefan Bratzel, Professor am Center of Automotive Management (CAM) der Fachhochschule Bergisch Gladbach, bezeichnete die Software-Herausforderung für etablierte Autohersteller wie Volkswagen als „Herkulesaufgabe“. Als einer der weltweit größten Autokonzerne müsse Volkswagen dieses Thema in den Griff bekommen.
Über die Updates sollen Zusatzleistungen verkauft werden
Mit den drahtlosen Softwareupdates „over the air“ lassen sich nicht nur lästige Werkstattaufenthalte vermeiden, weil technische Fehler mit dem Versand neuer Software künftig viel einfacher behoben werden können. Autohersteller wollen damit auch neue Geschäftsfelder aufbauen. Unternehmen wie Volkswagen können ihren Kunden dauerhaft oder befristet zusätzliche Softwarefeatures verkaufen. Das wäre beispielsweise eine höhere Motorleistung für den Wochenendausflug oder die Nebelscheinwerfer für den winterlichen Skiurlaub in den Bergen.
In Wolfsburg gibt es bereits konkrete Pläne, den eigenen Elektrokunden noch in diesem Jahr eine vergrößerte Reichweite der Batterien anzubieten. VW-Vertriebsvorstand Klaus Zellmer sprach zuletzt schon von zusätzlichen Softwareumsätzen „in dreistelligem Millionenbereich“. Neue Softwarepakete werden auch beim autonomen Fahren eine zentrale Rolle spielen.
Volkswagen wird nicht alle Kunden für Softwareupdates „over the air“ begeistern können. Um die Softwarepakete herunterladen zu können, müssen die mit einer eigenen SIM-Karte ausgestatteten Autos über das Mobilfunknetz mit dem Internet verbunden werden. Nach den bisherigen Erfahrungen von VW haben sich bislang etwa 80 Prozent der Kunden beteiligt.
Volkswagen möchte nach dem Verkauf oder Leasing eines Autos mit seinen Kunden dauerhaft im Austausch bleiben, um seine digitalen Dienste anzubieten. „Fahrzeuge, die stets die aktuellste Software an Bord haben und damit für ein digitales Kundenerlebnis sorgen, haben größte Bedeutung für unseren künftigen Erfolg“, sagte Entwicklungsvorstand Ulbrich. „Dank regelmäßiger Updates bleibt das Auto nicht nur up-to-date – es wird sogar immer besser.“
Das erste VW-Update umfasst Licht- und Kamerafunktionen
Die regelmäßigen Softwareupdates werden auch den Charakter eines Autoherstellers wie Volkswagen dauerhaft verändern. Bislang gibt es zwischen Hersteller und Kunden kaum Kontakt. Nach der Übergabe des Fahrzeugs hatten die Hersteller ihre Käufer aus dem Blick verloren und den direkten Kundenkontakt ausschließlich ihren eigenständigen Vertriebspartnern überlassen. Künftig werden die Autohersteller regelmäßig mit ihren Kunden im Kontakt stehen.
Das jetzt erstmals an alle ID-Kunden per Mobilfunk ausgelieferte Softwarepaket sorgt vor allem für Verbesserungen beim Licht. Verbessert wird die Bildverarbeitung der Multifunktionskamera; sie erkennt Motorräder und andere Verkehrsteilnehmer schneller.
Das Gleiche gilt bei Dunkelheit: Die Fernlichtregulierung steuert das Licht der ID-Modelle präziser. Die Grafikdarstellung des zentralen Infotainment-Bildschirms wird zudem ruhiger und klarer, die Bedienung intuitiver. Volkswagen hat damit nach eigenen Angaben auf Verbesserungsvorschläge der eigenen ID-Kunden reagiert.
Mehr: Bei Volkswagen soll das autonome Fahren zum „Gamechanger“ werden.
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"beherrschen von nun auch die Autos aus Wolfsburg" - ich würde sagen, dass man sich das erstmal in der Realität anschauen sollte. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das noch nicht ganz so problemlos klappt, wie angedeutet. Daher finde ich den Begriff "beherrschen" etwas fehl am Platz...