Elektromobilität Contis Antriebssparte Vitesco fordert Bosch und ZF bei der Elektromobilität heraus

Pünktlich zum Kapitalmarkttag präsentierte Vitesco am Mittwoch einen Großauftrag von Hyundai
Düsseldorf Andreas Wolf gibt sich alle Mühe, in Gesprächen ruhig, überzeugend und souverän zu wirken. Denn bei Vitesco, dem Unternehmen, das er leitet, geht es jetzt um die richtige Außenwirkung.
Die ehemalige Antriebssparte von Continental lädt am Donnerstag Investoren und Analysten zum ersten eigenen Kapitalmarkttag. Wolf muss sie davon überzeugen, dass Vitesco keine Resterampe ist. Kein Altgeschäft, das der Mutterkonzern aus Hannover so schnell wie möglich loswerden will, sondern einer der führenden Treiber der Elektromobilität – dem zentralen Zukunftsgeschäft der Autoindustrie.
Vitesco trennt sich im Rahmen eines Spin-offs von Continental. „Als eigenständiges Unternehmen haben wir mehr Möglichkeiten, können schneller handeln und – wenn es erforderlich sein sollte – Kräfte im Markt bündeln“, sagt Wolf im Vorfeld des Kapitalmarkttags dem Handelsblatt.
Der Aufsichtsrat hat der Abspaltung zugestimmt, Ende April folgt auf der Hauptversammlung das Votum der Aktionäre, im Herbst 2021 soll es so weit sein: Vitesco, acht Milliarden Euro Umsatz, 40.000 Mitarbeiter, wird von der Leine gelassen.
Ob die ersten eigenen Schritte wacklig werden oder ein Durchmarsch bevorsteht, darüber sind sich Marktbeobachter uneinig. „Bei Siemens und Bayer haben sich Abspaltungen auch anders entwickelt als vorher von vielen gedacht“, sagt etwa Frank Schwope von der Nord LB. Analysten sind vorsichtig, Branchenkenner nur teilweise optimistisch. Fazit: Ein überzeugender Börsenstar sieht anders aus. Glaubt man jedoch Konzernchef Wolf, ist Vitesco ein Geheimtipp.
Die Antriebssparte wird mit einer Verspätung von rund zwei Jahren verselbstständigt und an die Börsen gehen. Ursprünglich war 2019 ein Teilbörsengang angedacht. Ein schwaches Börsenumfeld machte diesem Plan einen Strich durch die Rechnung. 2020 sollte Vitesco per Spin-off an die Börse gebracht werden. Es kam Corona und auch dieser Plan musste verworfen werden.
Der Mutterkonzern geriet währenddessen durch eine Kombination aus eigener Restrukturierung und den Folgen der Coronakrise in Schwierigkeiten. Der Vorstand schärfte den erst 2019 entworfenen Sparplan nach. Im ganzen Land gingen die Mitarbeiter auf die Straße, die Politik schaltete sich ein, Konzernchef Elmar Degenhart musste krankheitsbedingt das Handtuch werfen, Nikolai Setzer übernahm die Unternehmensführung.

Der Vitesco-Chef muss Investoren von der ehemaligen Conti-Antriebssparte überzeugen.
Es war ein wilder Spätsommer für Continental, in dem die Abspaltung von Vitesco in den Hintergrund rückte. Intern jedoch arbeiteten in Hannover, dem Konzernsitz von Conti, und in der Vitesco-Zentrale in Regensburg zeitweise bis zu 1000 Menschen weiter an der erfolgreichen Trennung beider Konzerne. „Bei bestimmten Eingriffen glich das fast schon einer Mondlandung“, erinnert sich Wolf. Personalabteilung, IT-Systeme, Strategiebereiche und Rechts- sowie Finanzabteilungen mussten in einem komplexen Prozess voneinander gelöst werden.
Die Zahlen des operativen Geschäfts passen bislang aber noch nicht zu dem Narrativ, das Wolf gern in die Köpfe der Investoren setzen möchte. Vitesco bietet zwar bis auf die teuren Batterien beinah alles an, was es für die Elektromobilität braucht: Komponenten und Komplettsysteme für Mild- und Plug-in-Hybride sowie reine Elektromotoren. Doch mit reinen Komponenten für die Elektromobilität verdient Vitesco kein Geld.
Wolf ist es daher wichtig zu differenzieren. „Wir haben Komponenten bei Vitesco Technologies, die sowohl bei Verbrennungs- als auch bei Elektroantrieben verwendet werden“, sagt der 61-Jährige. Ein Beispiel sei die Motorsteuerung.
Diese „Kernkomponenten“, wie Wolf sie nennt, machen laut Kapitalmarktpräsentation einen Umsatz von knapp 4,5 Milliarden Euro aus und schreiben einen Gewinn in Höhe von 332 Millionen Euro. Deshalb sei der Plan, dass diese Kernkomponenten aus dem klassischen Bereich mit in die elektrifizierte Zukunft gehen. „Das ist die Basis unserer Zukunftsstrategie“, sagt Wolf.
Inverter oder Batteriemanagementsysteme hingegen brocken Vitesco derzeit noch hohe Verluste ein. Bei einem Umsatz von etwas mehr als 400 Millionen Euro liegt der Bereich der reinen Elektrokomponenten fast 350 Millionen Euro in den Miesen. Das frisst praktisch den gesamten Profit des Geschäfts mit den „Kernkomponenten“ auf.
Die Disruption des Antriebsstranges, sie zeigt sich genau in diesen Zahlen. Wolf sagt: „Das sind Anlaufverluste.“ Der Vitesco-Chef erwartet, dass der reine Elektrobereich auch im laufenden, im kommenden und dem darauffolgenden Jahr noch Verluste schreiben wird. „Wir streben den Break-even bei der Elektromobilität 2024 an“, sagt Wolf. Mittelfristig sollen rund 30 Prozent aller Einnahmen über die Elektrifizierung erwirtschaftet werden.
Zuversichtlich stimmt ihn, dass der Umsatzanteil von Vitesco bei batterieelektrischen Antrieben pro Einheit fast fünf Mal so hoch sein wird wie bei einem Verbrennungsmotor. Und dass sich die Elektromobilität auch dank staatlicher Subventionsprogramme schneller durchsetze.
Reine Verbrennerprodukte hingegen haben keine Zukunft mehr. Die bestehenden Aufträge werden noch abgearbeitet, dann endet die Ära des Verbrennungsmotors bei Vitesco. Sollte sich ein Käufer finden, kann sich die Konzernführung auch vorstellen, die entsprechenden Geschäftsbereiche, in denen etwa Turbolader, Einspritzpumpen und hydraulische Produkte hergestellt werden, vorher zu veräußern. Gespräche mit Interessenten werden offenbar bereits geführt.
Conti zahlt „Mitgift“ für Vitesco
Dass Vitesco erst jetzt die Abspaltung durchziehen kann, dürfte sich auch als glückliche Fügung erweisen. Denn wäre der Spin-off bereits vor zwei Jahren über die Bühne gegangen, hätte sich die Vitesco-Führung vermutlich die Finger verbrannt, sagt ein Aufsichtsratsmitglied von Continental. „Wir hatten Wirtschaftsberater durchrechnen lassen. Und wenn die Vitesco wie geplant 2019 abgespalten hätten, dann wäre es jetzt insolvent.“
Zwischenzeitlich seien die Verluste der Sparte „eine Katastrophe“ gewesen. Wolf müsse sich jetzt erst einmal aus dem nicht mehr ganz so starken Minus hocharbeiten und eine nachhaltige Gewinnschwelle erreichen, so das Mitglied des Aufsichtsgremiums.
Dabei leistet die Mutter aus Hannover Starthilfe. Continental verpasst der Antriebssparte eine solide Kapitalausstattung. „Wir haben eine Eigenkapitalquote von rund 33 Prozent zum Ende des Jahres“, sagt Wolf. Die Quote entspricht der von Continental. Die Schulden der Antriebssparte verbleiben in der Bilanz von Conti.
Die Mutter belohnt Vitesco zudem mit einem üppigen Taschengeld. Über 660 Millionen Euro stehen als flüssige Mittel zur Verfügung. Darüber hinaus kann Vitesco auf eine Kreditlinie von einer Milliarde Euro zurückgreifen. Mit dieser finanziellen Ausstattung fühle man sich sehr wohl, sagt Wolf.
Ein Konzernkenner hingegen sagt: „Conti bezahlt die Mitgift für Vitesco, um einen langjährigen Verlustbringer aus der Bilanz streichen zu können.“ Die langfristige Logik sei zwar richtig. „Allerdings bedeutet die Schuldenübernahme auch, dass die finanziellen Belastungen der Abspaltung den ertragsreichen Conti-Bereichen aufgebürdet werden, und das ist in diesem Fall in erster Linie die Reifensparte.“
Ohne das großzügige Abschiedsgeschenk von Conti hätte Vitesco wahrscheinlich schlechte Karten gegenüber der Konkurrenz. Die Antriebssparte wird sich allein gegen große Namen wie Bosch, Borg Warner oder ZF erwehren müssen. Denn eine Zusammenarbeit mit Schaeffler, dem Zulieferer des Ankeraktionärs von Continental und Vitesco, schließt Wolf genauso aus wie Schaeffler-Chef Klaus Rosenfeld.
Und das obwohl das Produktportfolio von Schaeffler im Bereich der Elektromobilität dem von Vitesco frappierend ähnelt. „Wir sehen derzeit keine Notwendigkeit zu einer Zusammenarbeit“, sagt Wolf. Das höchste der Gefühle sei ein Einkaufsverbund. Nach der Abspaltung werde Vitesco zusammen mit Continental und Schaeffler in Bereichen, in denen es Überschneidungen gibt, „die Einkaufskraft bündeln“.
Die Konkurrenz von Vitesco scheint allerdings zum Teil übermächtig. Vor allem Bosch, der größte Autozulieferer der Welt, verfügt über sehr große finanzielle Reserven. US-Konkurrent Borg Warner wiederum ist durch die Übernahmen des Antriebsspezialisten Delphi und des Batterieherstellers Akasol innerhalb weniger Monate zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten für Vitesco geworden.
ZF überraschte zuletzt auf der Jahrespressekonferenz mit einem gut gefüllten Auftragsbuch. Obwohl erst später als Vitesco und Bosch bei der Elektromobilität eingestiegen, hat ZF hier bereits einen Auftragsbestand von rund 14 Milliarden Euro. Wolf bringt das nicht aus der Ruhe. „Wir verfügen Stand Ende Dezember über einen Auftragsbestand im Bereich der Elektrifizierung im Wert von über 13 Milliarden Euro“, sagt er.
Großauftrag von Hyundai
Wichtiger als der Auftragsbestand dürfte für Vitesco ohnehin die Tatsache zu sein, dass das Antriebsunternehmen im Gegensatz zu Conti nicht so stark von einem Kunden abhängig ist. Der Mutterkonzern aus Hannover gilt als Haus-und-Hof-Lieferant des Wolfsburger Autobauers Volkswagen. Man verfüge über einen sehr internationalen Kundenstamm, erklärt der Vitesco-Chef.
Pünktlich zum Kapitalmarkttag präsentierte Vitesco am Mittwoch einen Großauftrag von Hyundai, der die Antriebsbranche aufhorchen lassen dürfte. Vitesco wird den japanischen Autobauer mit einem 800-Volt-Inverter mit Siliziumkarbid-Technologie beliefern.
Das erste Hyundai-Fahrzeug wird das Massenmodell Ioniq 5 sein, das im Sommer auf den Markt kommt. Mit 800-Volt-Invertern lassen sich Elektroautos deutlich schneller aufladen. Bislang kommt diese Technologie nur in kleinen Stückzahlen beim Porsche Taycan zum Einsatz.
Doch trotz gutem Produktportfolio, solider Kapitalausstattung und allen Möglichkeiten nach der Abspaltung – ein Problem gibt Continental ab und bürdet es Vitesco auf: die Dieselermittlungen. In den vergangenen Monaten ließ die Staatsanwaltschaft drei Mal die Räumlichkeiten von Continental und Vitesco durchsuchen, unter anderem auch Vitescos Konzernzentrale in Regensburg. Der Vorwurf: Die Antriebssparte habe den VW-Dieselbetrug wissentlich mitgetragen.
„Die Dieselermittlungen sind ein laufendes Verfahren. Da es Ermittlungen im Umfeld von Powertrain-Produkten sind, werden sie Vitesco Technologies betreffen“, sagt Wolf. Kein Wunder also, dass Vitesco derzeit nach neuen Juristen in der eigenen Compliance-Abteilung sucht. Wie aus Konzernkreisen zu hören ist, werden gezielt Spezialisten gesucht, die sich mit der Dieselaffären-Thematik auskennen.
Mehr: Vitesco-Chef Wolf spricht im Interview über Verkaufsoptionen für Verbrennergeschäft
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