Entlastung der VW-Manager Die zerstrittenen Aufseher

Die großen Anteilseigner sind sich uneins, was die Entlastung der VW-Vorstände angeht.
Hannover, Frankfurt Die Hauptversammlung von Volkswagen hat einen Bruch unter den großen Anteilseignern offenbart. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hat erstmals offen die gemeinsame Linie mit den Familien Porsche und Piëch verlassen, die mit ihrer Mehrheit von gut 52 Prozent die Geschicke des Dieselskandal-Konzerns maßgeblich bestimmen. Das Land Niedersachsen lehnte die Entlastung des Ex-Vorstandschefs Martin Winterkorn und von VW-Markenvorstand Herbert Diess ab.
Niedersachsen votierte zwar nicht dagegen, enthielt sich bei der Abstimmung am späten Mittwochabend allerdings. Bisher galt Einstimmigkeit unter den großen VW-Aktionären als eine Art Unternehmensgepflogenheit.
Nach dem Ausscheren der Niedersachsen, die mit 20 Prozent zweitgrößter Aktionär von VW sind, dürfte nach Informationen von Insidern die gewohnte Eintracht im Aufsichtsrat dahin sein. Denn nicht nur das Land ist über das Vorgehen der Familien erstaunt. Auch Katar, der mit 17 Prozent drittgrößte Aktionär von VW, ist nach Informationen des Handelsblatts verärgert über den Umgang des Aufsichtsrats mit der Dieselaffäre. Die Kritik der Araber und des Landes richtet sich explizit nicht gegen den Vorstand um VW-Chef Matthias Müller. Dessen neue Strategie sei gut und richtig, hieß es in deren Umfeld.
Katar, so heißt es in den Kreisen weiter, scheut aber den öffentlich ausgetragenen Konflikt mit den Familien und stimmte deshalb für die Entlastung von Winterkorn und Diess. Die Vertreter der Katarer wollen demnach ihre Kritik intern stärker zur Sprache bringen.
Die Entlastung des gesamten Vorstands hatte der Aufsichtsrat bereits im Mai beschlossen. Zuvor war in der Öffentlichkeit darüber angesichts der Milliardenverluste durch die manipulierten Dieselfahrzeuge eine hitzige Debatte entbrannt. Zwei Tage vor der Hauptversammlung kündigte die Staatsanwaltschaft Braunschweig Ermittlungen gegen Winterkorn und Diess an. Die Finanzaufsicht Bafin hatte die beiden Manager angezeigt. Der Vorwurf: Sie hätten die Öffentlichkeit zu spät über den Skandal informiert und damit die Ad-hoc-Pflicht verletzt.
Weil und sein Wirtschaftsminister Olaf Lies wollten daraufhin nach Informationen des Handelsblatts in der Aufsichtsratssitzung am Dienstag die Entlastung der beiden neu diskutieren. Doch die Eigner-Familien wollten nicht einmal über das Thema sprechen – woraufhin die Einstimmigkeit unter den Großaktionären passé war.
Das Land schert aus
Am Ende waren in den Reihen von Volkswagen alle froh, dass es vorüber war. Die Hauptversammlung sei ein Kraftakt gewesen, der schon vor Beginn schwer auf dem Gemüt gelegen habe, berichtet eine Führungskraft im Anschluss. Die Kritik sei zwar in manchen Punkten überzogen gewesen. Schließlich sei aber bei VW auch einiges im vergangenen Jahr schiefgelaufen.
Jetzt, so beteuern Manager, gehe es darum, den Blick nach vorne zu richten. Die Dieselaffäre soll nun Teil der Vergangenheit sein, deren Folgen abgearbeitet werden müssten. Die Hoffnungen ruhen dabei auf Vorstandschef Matthias Müller, der in der vergangenen Woche seine „Strategie 2025“ vorgestellt hatte.
Müller ist fest entschlossen, diese umzusetzen. Mit der Hauptversammlung hat sich aber gezeigt, dass sich womöglich neue Hürden aufgebaut haben. Erstmals seit Bekanntwerden des Dieselskandals im September stellte sich ein Großaktionär offen gegen die Familien Porsche und Piëch: Das Land Niedersachsen enthielt sich bei einer entscheidenden Abstimmung.
Für die Familien ist dies ungewohnt. Sie dominieren über ihr Finanzvehikel Porsche SE Europas größten Autobauer. Ausgeübt wird die Macht der Familie über die Altvorderen um Wolfgang Porsche und Hans Michel Piëch, die im Aufsichtsrat von Volkswagen sitzen.
Mit ihren Stimmen beförderten sie im Oktober Hans Dieter Pötsch vom Vorstand an die Aufsichtsratsspitze. Auch die üppigen Bonuszahlungen für das Management winkten sie im Aufsichtsrat durch.
Beim Land Niedersachsen und bei Katar, die jeweils rund 20 Prozent an VW halten, wuchs über die Monate der Unmut über die Entscheidungen. Mehrfach sollen die beiden Vertreter des Landes im Aufsichtsrat – Ministerpräsident Stephan Weil und Wirtschaftsminister Olaf Lies (beide SPD) – versucht haben, alternative Vorschläge durchzusetzen. Einen größeren Verzicht auf Boni sollen sie etwa gefordert haben.
Dass sie nicht alleine damit stehen, zeigte sich auf der Hauptversammlung. Vertreter großer Fonds und Aktionärsschützer kritisierten die Boni und die Berufung von Pötsch. Indirekt und direkt bemängelten sie die Arbeit der Kontrolleure. Diese habe entscheidend zur Lage bei Volkswagen beigetragen, hatte der Corporate-Governance-Experte Christian Strenger bemängelt. „Das ist die mangelhafte Zusammensetzung und Unabhängigkeit des Aufsichtsrats sowie die defizitäre Kontrolle des mit Angstkultur agierenden Vorstands.“
Durchsetzen konnten sich Weil und Lies aber nicht. Die Familien drückten ihren Willen durch. Auf der Hauptversammlung konnte Niedersachsen aber ein Zeichen setzen. Das Bundesland enthielt sich bei der Abstimmung über die Entlastung des früheren Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn und von VW-Markenchef Herbert Diess.
Der Anlass für diesen Schritt wiegt schwer: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte am Montag bekanntgegeben, dass sie gegen die beiden Männer wegen des Verdachts auf Marktmanipulation ermittelt. Zu spät sollen sie Investoren über „Dieselgate“ informiert haben.
Vor allem mit den Stimmen der Familien wurden Winterkorn und Diess dennoch entlastet. In den kommenden Wochen dürfte sich zeigen, wie tief der Riss ist. Fraglich ist auch, wie Katar reagieren wird. Das Emirat ist schon länger unzufrieden über den Umgang bei VW mit der Krise. Zwischenzeitlich soll Katar erwogen haben, gegen eine Entlastung zu votieren, wie es in informierten Kreisen heißt. Davon nahm man aber Abstand, da Konflikte besser intern geklärt würden.
Müller dürfte dies recht sein. Er will die „Strategie 2025“ anpacken. „Wir haben den Startschuss gegeben für den größten Veränderungsprozess in der Geschichte von Volkswagen“, hatte er den Aktionären versprochen.
Matthias Müller ist zwar 63 Jahre alt, eine auf zehn Jahre angelegte Strategie wird er also nicht persönlich umsetzen. Und selbst wenn er etwas blumig verspricht, VW zu einem der „führenden Mobilitätsanbieter“ zu machen. Zweifeln sollten die Mitarbeiter nicht. Er habe den klaren Willen, den behäbig gewordenen Konzern grundlegend umzubauen. In seiner fünfjährigen Amtszeit werde er das Fundament dafür legen.