Familienunternehmen Stihl steigert Umsatz dank Corona-Boom – doch Materialengpässe bremsen die Produktion aus

Der Motorsägen- und Gartengerätehersteller kämpft mit Lieferengpässen.
Stuttgart Stihl-Chef Bertram Kandziora musste sich nach 20 Jahren im Vorstand bei seinem letzten öffentlichen Auftritt via Bildschirm verabschieden – wegen Corona verzichtete das Unternehmen auf eine Präsenzveranstaltung. Die Pandemie und der Trend zu Akkugeräten versüßten dem 65-jährigen familienfremden Topmanager aber letztlich den Abschied: Von Januar bis August 2021 steigerte der Motorsägen- und Gartengerätehersteller seinen Umsatz um 11,7 Prozent auf 3,51 Milliarden Euro.
Stihl hatte zu Beginn der Pandemie im vergangenen Jahr seine Produktion nicht etwa gedrosselt, sondern die Lager bis zur Dachkante gefüllt. Mit der Investition hatte Kandziora mutig darauf gesetzt, dass die Lieferfähigkeit zum ausschlaggebenden Erfolgsfaktor werden würde. Und er behielt zum Ende seiner Managerkarriere recht.
„Wir liegen bei Absatz und Umsatz aller Produktgruppen deutlich über den Vorjahreswerten und über Plan, obwohl Rohstoffknappheit, fehlende Produktionskapazitäten bei Lieferanten und bei uns selbst sowie begrenzte Transportkapazitäten zu erheblichen Störungen in den Lieferketten geführt haben“, erklärte Kandziora. So hat auch das Vorzeigeunternehmen inzwischen mit erheblichen Engpässen zu kämpfen. Das betrifft beispielsweise Stahl, Kunststoffgranulat und Elektronikkomponenten. Pandemiebedingt gab es auch Probleme bei der Batteriezellenversorgung.
Insgesamt haben die Schwaben aber ein Luxusproblem. „Ohne diese Engpässe hätten wir noch mehr Produkte produzieren und verkaufen können“, sagte Kandziora. Derzeit habe Stihl einen Produktionsrückstand von 1,5 Millionen Motoren, berichtete der vor zwei Jahren angetretene Produktionschef Martin Schwarz. „Wir arbeiten weiter mit Sonntagsschichten. Es wird noch mindestens bis zum ersten Quartal dauern, den Rückstand abzuarbeiten.“ Schwarz hofft, dass sich die Lieferzeiten bis zur Jahresmitte 2022 wieder normalisieren.
„Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten einen großen Beitrag dazu, dass wir diese gewaltigen Herausforderungen stemmen – mit hoher Flexibilität, Sonderschichten und großem persönlichem Einsatz“, betonte Kandziora.

Er scheidet zum 1. Februar 2022 aus.
Seit dem Beginn der Pandemie boomt die Nachfrage nach Gartengeräten, da die Menschen deutlich weniger reisen konnten und sich Projekten unter anderem in ihren Gärten zuwandten. Die Rückbesinnung auf das häusliche Umfeld, auch Cocooning-Effekt genannt, löste die starke Nachfrage nach Produkten für Haus und Garten aus.
Zudem blieben die im Freien arbeitenden Profikunden – Landschaftsbauer, Forstwirte und Straßenmeistereien – von Corona-Einschränkungen weitgehend verschont. Zum Ergebnis macht Stihl generell keine Angaben. Aber die Eigenkapitalquote liegt bei vergleichsweise sehr hohen 70 Prozent.
E-Bikes sorgen für Sonderkonjunktur
Was weniger bekannt ist: Stihl hat eine Sonderkonjunktur durch den ebenfalls pandemiebedingten E-Bike-Boom: In seinem Magnesium-Druckguss-Werk im rheinland-pfälzischen Weinsheim fertigt Stihl auch besonders leichte Gehäuseteile für E-Bike-Antriebe und beliefert damit Unternehmen in der Fahrradindustrie. „Wir rechnen mit einer Steigerung des Auftragsvolumens“, erklärte der Stihl-Vorstandsvorsitzende Kandziora. Die Kapazitäten wurden bereits ausgebaut.
Beflügelt wird das Kerngeschäft auch durch den Trend zu Akku-Geräten, die deutlich leiser sind als die mit Verbrennungsmotoren betriebenen. Inzwischen läuft weltweit jedes fünfte Stihl-Gerät mit Batterie, in Deutschland sind es bereits über 50 Prozent.
Stihl setzt dabei auf selbst konzipierte Akkus, die in das Gerät integriert sind. „Unsere Geräte haben dadurch eine bessere Ergonomie und ideale Balance“, betonte Kandziora. Deshalb mache es für Stihl keinen Sinn, seine Akku-Plattform zu öffnen. „Wir bleiben bei unserer Strategie und wir scheuen keinen Wettbewerb“. Der Großkonzern Bosch hatte in diesem Jahr für Aufsehen gesorgt, als er seine Akku-Plattform für Gardena öffnete – ein Tochterunternehmen von Stihls Erzrivale Husqvarna aus Schweden.
Auch die traditionellen Benzingeräte seien mit einem zweistelligen Wachstum stärker nachgefragt gewesen als noch 2020, insbesondere in Nordamerika. Rund 90 Prozent seines Umsatzes erwirtschaftet Stihl außerhalb des Heimatlandes.
Stihl setzt im Vertrieb hauptsächlich auf den Fachhandel. Kandziora räumte ein, dass der Start des eigenen Webshops zu Pandemiebeginn zwar rechtzeitig erfolgt sei und auch geholfen habe, aber dass die Umsätze noch überschaubar seien und den Fachhandel nicht beeinträchtigten. Große Fachhändler hätten ohnehin eigene große Onlineshops.
Politik braucht Feingefühl in China
Der Schwenk der EU in der Chinapolitik mit einer stärkeren Zuwendung in Richtung Taiwan trifft Stihl noch nicht ganz so hart. Die Schwaben machen bislang nur sieben Prozent ihres Umsatzes in Asien. Kandziora rechnet allerdings fest damit, dass China auf Brüssel reagieren werde. „Die Politik hat jetzt die Aufgabe, mit entsprechendem Feingefühl vorzugehen, damit es keinen Kollateralschaden gibt“, forderte Kandziora.
Die gute Finanzausstattung erlaubt es dem Familienunternehmen derzeit, seinen Stammsitz in Waiblingen zu modernisieren und zu erweitern. Neues Aushängeschild des künftigen Gebäudeensembles wird ab Anfang 2023 die dort entstehende Stihl-Markenwelt. Auf insgesamt drei Ebenen soll die Unternehmens- und Produktgeschichte erlebbar werden und Besucherinnen und Besuchern eine zeitgemäße Wissensplattform zu den Themen Wald und Forst bieten. Für die Konzeption engagierte Stihl den Freiburger Forstwissenschaftler und Hochschullehrer Jürgen Bauhus.
Stihl wird immer wieder von Umweltschützern kritisiert – allein wegen der Tatsache, dass Stihl-Sägen auch bei Urwaldrodungen eingesetzt werden. Bauhus betonte in einem Redebeitrag, dass der Aufstieg von Stihl eng mit dem Wald verbunden sei. Schon deshalb gebe es ein natürliches Interesse des Unternehmens, dass Wälder erhalten und nachhaltig bewirtschaftet würden.
Stihl-Chef Kandziora wird bei der Eröffnung Anfang 2023 nicht mehr im Amt sein. Er scheidet zum 1. Februar 2022 aus. Die Entscheidung über seine Nachfolge steht offensichtlich unmittelbar bevor. Stihl will für einen reibungslosen Übergang sorgen, ist im Unternehmen zu hören. Das deutet eher auf eine interne Lösung hin.
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