Handelsblatt Auto-Gipfel 2021 Konzernchef Herbert Diess zu den Umbauplänen bei VW: „Es geht nicht primär um Stellenabbau“
Düsseldorf Volkswagen-Chef Herbert Diess sieht seine persönliche Position trotz der jüngsten Auseinandersetzungen mit dem Betriebsrat um einen möglichen Stellenabbau in Wolfsburg als gesichert an. „Wir haben einen sehr guten Plan für die Transformation, ich fühle mich da gut unterstützt“, sagte er am Mittwoch auf dem Handelsblatt Auto-Gipfel 2021.
Trotz der Debatte um seine Person im Aufsichtsrat rechne er nicht mit Verzögerungen bei der für Anfang Dezember geplanten Verabschiedung der neuesten Investitionsplanung.
Im Live-Interview mit Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes äußert sich Diess außerdem über die VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo, ein eigenes Chipdesign und die Konzernstrategie in China.
Herr Diess, wie sehr haben Sie die Buhrufe auf der jüngsten VW-Betriebsversammlung persönlich getroffen?
Das war schon überwiegend wohlwollender Applaus und ein sehr gespanntes Zuhören. Ich hatte wichtige Botschaften für die Wolfsburger Belegschaft. Dieser erste Austausch nach Ausbruch der Coronapandemie hat uns allen gut getan. Ich fand die inhaltliche Diskussion auch mit unserer Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo auf einem sehr hohen Niveau.
Die Kritik war zum Teil sehr persönlich. Perlt das einfach an Ihnen ab?
Wir sind in einer großen Transformation, mit der wir drastisch umsteuern müssen. Das macht Sorgen bei den Mitarbeitern, Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz. Ich bin wirklich froh, dass von der Marke Volkswagen jetzt gute Nachrichten kommen – mit dem Bau des neuen Entwicklungszentrums und mit der neuen Fabrik in Wolfsburg im Rahmen des Trinity-Projektes.
Der letzte Konflikt mit dem Betriebsrat liegt nicht einmal ein Jahr zurück. Warum lassen Sie diese Auseinandersetzungen immer so eskalieren?
Ich würde nicht grundsätzlich sagen, dass wir die Lage eskalieren lassen. Aber wir müssen das Unternehmen vorantreiben, verändern. Da müssen Strukturen aufgebrochen und neue Formen der Zusammenarbeit gefunden werden. Die Notwendigkeit des Wandels ist nicht immer allen gleich präsent. Die Diskussionen führen am Ende aber zu einer Zukunftssicherheit für die Arbeitsplätze. Das Unternehmen in Frieden zu lassen, das wäre sehr gefährlich für alle Beschäftigten.
„Mir geht es nicht um den Abbau von Arbeitsplätzen“
Ihre Forderung, doch einmal einen Abbau von 30.000 Stellen durchrechnen zu lassen, ist Ihre Art der Transformationsstrategie?
Es geht nicht primär um einen Stellenabbau. Wir müssen uns einfach an einem Standort wie Wolfsburg mit Zigtausenden von Arbeitsplätzen darauf einstellen, dass wir neue Wettbewerber bekommen. Wie in Brandenburg, wo ganz anders agiert wird.
Sie meinen Tesla.
Dort wird mit ganz anderen Durchlaufzeiten und mit einer hohen Produktivität gearbeitet. Darauf müssen wir uns einstellen. Dazu brauchen wir neue Fähigkeiten und müssen Dinge infrage stellen. Das führt zu notwendigen Diskussionen, gerade an einem so traditionellen Standort wie Wolfsburg.

„In Europa machen Elektroautos natürlich Sinn, in Frankreich, in Norwegen, Österreich, der Schweiz. Bei Polen würde ich schon ein Fragezeichen machen.“
Wie viele Stellen gehen denn nun durch die Transformation verloren?
Mir geht es nicht um den Abbau von Arbeitsplätzen. Mir geht es um den Erhalt unserer Wettbewerbsfähigkeit, um die Zukunftsfähigkeit des Standortes Wolfsburg. Mit dem Zukunftspakt haben wir bereits Ende 2016 den sozial verträglichen Abbau von 23.000 Stellen in Deutschland vereinbart, zugleich entstehen aber 9000 neue Arbeitsplätze. Dieser Prozess ist im Gange. Jetzt geht es mir um ein Umdenken. Wir müssen schneller werden, wir müssen handeln. Dafür sind in Wolfsburg inzwischen die richtigen Maßnahmen eingeleitet worden.
Wie groß ist Ihre persönliche Verantwortung dafür, dass dieser aktuelle Konflikt wieder in die Schlagzeilen geraten ist?
Das will ich nicht kommentieren. Wir haben im Unternehmen verschiedene Stellen, die unterschiedlich kommunizieren. Da gibt es unterschiedliche Interessenlagen, da werden Konflikte sicherlich auch inszeniert. Man hat nicht nur Freunde im Unternehmen.
„Wir müssen mit unseren Elektroautos in China erfolgreich sein“
Haben Sie den Machtwillen der neuen Betriebsratschefin unterschätzt?
Nein, gar nicht, ich schätze Frau Cavallo. Sie macht das ganz ausgezeichnet. Ich fand ihren Auftritt auf der Betriebsversammlung sehr überzeugend, sehr kraftvoll. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.
Was unterscheidet Frau Cavallo von ihrem Vorgänger Bernd Osterloh?
Ich finde sie sehr fundiert, sehr gut vorbereitet. Sie deckt auch die emotionale Dimension des Wandels sehr gut ab, also die Betroffenheit der Mitarbeiter.
Im Aufsichtsrat wird mehr über Sie als mit Ihnen gesprochen. Wie wollen Sie die Wogen wieder glätten?
Das glaube ich nicht. Im Aufsichtsrat steht jetzt als Hauptziel die Verabschiedung unserer neuen Investitionsplanungen im Mittelpunkt. Darin sind weitreichende Veränderungen enthalten, mehr als 60 Prozent unserer Mittel gehen in neue Technologien wie Software und Batterien. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir uns in diesen wichtigen Sachthemen einigen werden.
Es wird also keine Verzögerung durch die Personaldiskussion geben?
Davon gehe ich aus.
Was sind denn aktuell die dringlichsten operativen Themen?
Besonders wichtig ist, dass wir mit unseren Elektrofahrzeugen in China erfolgreich sind. Da gibt es jetzt aber eine positive Entwicklung, in den letzten Monaten gewinnen wir Marktanteile.
Ist das wirklich so? Es ist doch eher enttäuschend in China.
Nein, nein. Wir sind guten Mutes. Fast alle zwei Monate konnten wir unsere Absatzzahlen verdoppeln. Voraussichtlich werden wir in diesem Jahr auch unser Absatzziel von 80.000 bis 100.000 E-Fahrzeugen erreichen. Wir müssen uns den chinesischen Elektromarkt noch erarbeiten, aber das wird uns gelingen.
„Ich fühle mich gut unterstützt“
Der Software-Aufbau ist das andere große Thema?
Auch dafür bin ich positiv gestimmt. Vor wenigen Tagen habe ich die neueste Softwareversion für unsere ID-Elektroreihe getestet. Es ist großartig, unsere Autos als digitales Device zu erleben. Schnelleres Laden wird möglich, ein automatischer Spurwechsel kommt dazu. Das ist ein Meilenstein, dass solche Veränderungen jetzt möglich geworden sind, selbst wenn die Autos schon in Kundenhand ist. Die drahtlosen Software-Updates ,over the air‘ werden immer besser, die Marke Volkswagen macht das sehr gut.
Ist ein solch großer Konzern wie Volkswagen mit seiner komplizierten Struktur wirklich transformierbar?
Ich glaube schon. Das zeigt zum Beispiel die Elektrifizierung. Da sind wir im Branchenvergleich mit am weitesten. Nach und nach werden alle Werke umgestellt, wir sind auch weiter als viele Zulieferer.
Softwareprobleme wie vor einem Jahr beim Start der ersten E-Autos schließen Sie jetzt aus?
Ja, absolut. Die ersten Updates sind schon erfolgreich abgeschlossen worden. Es macht große Freude zu beobachten, wie der Konzern neue Fähigkeiten wie bei der Software erlernt. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch diese Transformation schaffen werden.
Wie würden Sie Wolfsburg umgestalten, wenn Sie dort komplett eigenständig agieren könnten?
Ich fühle mich gut unterstützt. Wir haben also eigentlich alles erreichen können, was wir uns 2015 vorgenommen hatten. Wir haben jetzt eine Strategie, die wirklich von allen Beteiligten mitgetragen wird.
„2026 werden wir die ersten selbst entwickelten Halbleiter verwenden“
Wegen des Chipmangels stockt die Produktion, auch bei Elektroautos. Wie sieht das im nächsten Jahr aus?
Das ist schwer vorhersagbar. Derzeit sind Verbrenner und Elektrofahrzeuge in etwa gleich betroffen. Wir hoffen, dass sich die Lage im nächsten Jahr von Quartal zu Quartal verbessern wird, um unsere Produktion auf das übliche Niveau hochfahren zu können.
Wie weit sind Sie mit Ihrem angekündigten eigenen Chipdesign?
Wir machen da gute Fortschritte. Wir gehen mit eigenen Chips in die nächste Software- und Elektronikarchitektur, die künftig vor allem im Wolfsburger Trinity-Projekt sichtbar wird. Dort werden wir die ersten selbst entwickelten Halbleiter verwenden, also vom Jahr 2026 an.
Welche Vorteile hat diese Eigenentwicklung?
Diese Chips werden sehr fahrzeugspezifisch sein. Heutige Halbleiter kommen zu großen Teilen aus dem Bereich der Consumer Electric oder der Telekommunikation. Das erklärt auch den Mangel: Wir müssen die vorhandenen Chipmengen mit anderen Branchen teilen. Mit eigenen, auf die Autobranche zugeschnittenen Chips können wir zudem weitere Wettbewerbsvorteile erreichen.
Immer wieder ist über eine Softwarekooperation der deutschen Autohersteller gesprochen worden. Gibt es da aktuelle Gespräche?
Es gibt aktuell keine Gespräche, aber wir sind offen dafür. Unsere aktuelle Elektroplattform teilen wir mit Ford, ein Beispiel für weitere Kooperationen. So etwas ließe sich auch auf eine Zusammenarbeit bei der Software übertragen. Wir waren bislang nicht sehr aktiv am Markt damit, weil wir erst einmal sicherstellen müssen, dass wir selbst genug Fähigkeiten für unsere eigenen Projekte besitzen. An der einen oder anderen Stelle bietet sich eine Kooperation an, die es jetzt teilweise schon gibt, weil wir mit denselben Zulieferern zusammenarbeiten. Künftig gibt es dafür mehr Potenzial.
Sie wollen Ihre eigene Softwareplattform also später vor allem verkaufen?
Wir müssen die Plattform zunächst für uns selbst entwickeln, das ist komplex genug. Unsere Marken VW, Audi, Porsche haben auf diesem Feld bislang eher eigenständig gearbeitet, jetzt sollen sie kooperieren. Wenn wir intern alles geregelt haben, dann sind wir hinterher sicherlich auch dazu bereit, das Dritten anzubieten.
„Es kann auch 2035 noch sinnvoll sein, Verbrenner zu fahren – aber nicht in Deutschland“
Auf dem Glasgower Klimagipfel haben verschiedene Autohersteller angekündigt, bis 2035 emissionsfrei zu sein. Warum ist VW nicht dabei?
Solch ein Bekenntnis finde ich erst einmal sehr gut, so etwas haben wir in unserem Konzern ja auch.
Dann hätten Sie doch auch unterschreiben können.
Wir haben im Konzern unterschiedliche Prioritäten. Porsche und Audi elektrifizieren sehr schnell, das ist typisch für den Premiumbereich. Im Volumensegment von Volkswagen müssen aber auch Märkte wie Lateinamerika und Russland bedient werden, wo die Elektrifizierung im ersten Schritt nicht so richtig sinnvoll ist. In Lateinamerika etwa haben wir synthetischen Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen, sehr etabliert und CO2-frei. Es wäre dort nicht besonders sinnvoll, jetzt schnell auf Elektroautos umzusteigen, auch ökologisch nicht. Wir müssen den Umbau in Richtung CO2-Freiheit synchron mit den Ökosystemen machen.
Wann läuft dann der letzte Verbrenner bei VW vom Band?
Das kann ich nicht sagen. Es kann 2035 noch sinnvoll sein, in Lateinamerika mit nachwachsenden Rohstoffen Auto zu fahren, und dafür braucht man dort Verbrenner. Das gilt sicherlich nicht für Europa und Deutschland. VW und Audi werden hierzulande zu diesem Zeitpunkt sicherlich voll elektrisch sein.
Könnte die deutsche Autoindustrie schon 2030 aus dem Verbrenner aussteigen?
Das ist für die Industrie nicht machbar. Die große Herausforderung sind die vielen Batteriefabriken. Die Rohstoffe müssen beschafft, neue Minen erschlossen werden. Das ist schon jetzt ein unglaublich angespanntes Programm, auch der Green Deal der EU ist sehr anspruchsvoll. Es gibt die Chance, das zu erreichen, wenn Politik und Wirtschaft sich synchron auf diese Ziele zubewegen. Aber ich glaube nicht, dass wir noch schneller werden können.
Zum Abschluss zurück zur aktuellen Lage bei VW: Was machen Sie persönlich, um in den nächsten Wochen wieder Ruhe in den Konzern zu bringen?
Kommunikation ist das Entscheidende: Auch jetzt treffen wir uns wieder mit dem Betriebsrat, um die Investitionsentscheidungen voranzubringen. Die Umsetzung unserer aktuellen Planungen ist das zentrale Thema der nächsten Wochen.
Sind Sie im nächsten Jahr noch VW-Chef?
Ja, mit Sicherheit.
Herr Diess, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Projekt „Trinity“: VW plant in Wolfsburg komplett neues Werk für Elektroautos
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