Handelsblatt Industriegipfel „Alle Ampeln müssen auf grüne Welle“ – Manager fordern Pakt zwischen Politik und Industrie

Kirsten Ludowig, stellvertretende Chefredakteurin des Handelsblatt, im Gespräch mit Christian Bruch, Vorstandschef von Siemens Energy.
Düsseldorf, Zürich Von seinem angeborenen Optimismus lässt sich Markus Steilemann selten abbringen. Als Vorstandschef des Kunststoffherstellers Covestro weiß er um die riesigen Herausforderungen eines grünen Umbaus der Industrie. Doch er sieht gute Chancen, dass es mit dem Regierungswechsel in Berlin nun zu einem Durchbruch kommt: „Die Ampel ist ein neuer Besen, und die kehren bekanntlich gut. Das macht mir große Hoffnung.“
Steilemann eröffnete am Donnerstag den diesjährigen Industrie-Gipfel des Handelsblatts mit einem Appell: „Wir brauchen ein Jahrzehnt des Aufbruchs und müssen den Mehlstaub der zurückliegenden Jahre hinter uns lassen“, sagte er. Der Manager plädiert für einen neuen Pakt zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. „Ein optimistisches und konstruktives Miteinander ist gefragt, das mehr auf Fakten und weniger als Mythen beruht.“
So ist es derzeit in weiten Teilen der deutschen Wirtschaft zu beobachten: Unternehmer und Manager unterstützen die Ziele und Ankündigungen, die im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aufgeführt sind. Doch bei allem Beifall: Die Wunschliste an die Politik ist lang – und Zweifel, dass die Vorhaben nicht wie geplant vorankommen, sind verbreitet.
„Es ist schon mal klug, die Themen Wirtschaft und Klima in einem Ministerium zusammenzuführen“, sagte Christian Bruch, Vorstandschef von Siemens Energy, auf dem Industrie-Gipfel. Daraus müsse jetzt ein schlüssiges Konzept mit den richtigen Rahmenbedingungen für die grüne Transformation entstehen.
Die grundsätzlichen Nöte der Unternehmen sind klar: Sie sehen den Klimaschutz als Chance und gehen das Thema an – aus Sicht einiger Experten mittlerweile mit mehr Engagement als die Politik. Doch für die nötigen Investitionen brauchen sie Planungssicherheit, die weit über die nächsten Jahre hinausreicht.
„Unternehmen müssen bei den Betriebskosten entlastet werden“
„Ausreichend Grünstrom ist heute weit und breit nicht in Sicht“, moniert Covestro-Chef Steilemann. Man brauche aber pragmatische und belastbare Fahrpläne. „Alle Ampeln müssen jetzt auf grüne Welle gestellt werden.“
Weniger Bürokratie sowie schnellere Genehmigungsverfahren für neue Industrieanlagen und erneuerbare Energien wünschen sich die Unternehmen. Gerade in Industrien, in denen neue Werke und Anlagen auf Jahrzehnte hinaus geplant werden, gilt: Was heute nicht entschieden und angegangen wird, ist 2030 nicht vorhanden.
Für Frank Peter, Industrieexperte und stellvertretender Leiter des Thinktanks Agora Energiewende, setzt der Koalitionsvertrag der Ampelparteien zwar wichtige Anreize für die grüne Wende. Die Firmen dürften sich aber nicht allein auf härtere Vorgaben durch die Politik verlassen. „Die Industrie muss ihren Beitrag leisten“, so Peter.
Doch der Druck zur grünen Transformation trifft die gesamte Wirtschaft in einer schwierigen Phase: Lieferengpässe bremsen die Produktion, explodierende Preise für Vorprodukte belasten die Gewinne, Fachkräfte sind schwer zu bekommen. Dieser gefährliche Mix macht gerade im deutschen Mittelstand viele Firmen zurückhaltend, was die Planung größerer Investitionen angeht. Für Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), ist das ein Alarmsignal. „Um die Investitionen stemmen zu können, müssen Unternehmen bei den Betriebskosten entlastet werden“, fordert er.
Die Industrie hofft, dass sich der durch den Mangel an Vorprodukten entstandene Stau in der Produktion im kommenden Frühjahr auflösen wird. Für den Erfolg der grünen Transformation braucht sie nicht nur billigen grünen Strom, sondern auch die gesicherte Versorgung mit Rohstoffen.
Hohe Rohstoffpreise bremsen Energiewende aus
Doch gerade in der aktuellen Übergangsphase ist das eine Herausforderung: Die deutschen Unternehmen zahlten im ersten Halbjahr 2021 so viel für Strom wie seit zehn Jahren nicht. Der europäische Gaspreis überstieg zuletzt wieder die Marke von 100 Euro pro Megawattstunde.
Die Internationale Energieagentur warnte kürzlich sogar, dass hohe Rohstoffpreise die Energiewende ausbremsen könnten. Der starke Preisanstieg bei Kupfer, Stahl und Seltenen Erden macht beispielsweise Windturbinen teurer. Ein hoher Silizium-Preis verteuert nicht nur Chips, sondern auch Solarzellen. Und erstmals seit Jahren ist auch der fallende Preistrend bei E-Auto-Batterien gestoppt, seit Metalle wie Lithium deutlich teurer geworden sind.
Kurzfristig sei kaum Besserung in Sicht, jedenfalls nicht am Lithium-Markt, sagt Dirk Harbecke, Chairman beim Lithium-Start-up Rock Tech. Die Ankündigungen der Autobauer, wie stark sie auf E-Mobilität setzten, hätten in den vergangenen zwölf Monaten ein neues Niveau erreicht. Doch mit dem Angebot an hochkonzentrierten Lithium-Chemikalien sei das nur schwer zu vereinbaren. „Die Engpässe, die bis 2025 bestehen werden, werden wir nicht so einfach beheben können“, sagt Harbecke.
Das Thema Lieferkette werde die gesamte Wirtschaft noch das ganze nächste Jahr über beschäftigen, erwartet Siemens-Energy-Chef Bruch. Corona habe gezeigt, wie verwoben und anfällig die Lieferketten seien. „Wir sollten uns deswegen nicht von der Energiewende abbringen lassen“, sagte er.
Klar sei aber ebenso: Viele Rohstoffe und Vorprodukte, die für die grüne Transformation nötig sind, werde Deutschland immer aus dem Ausland beziehen müssen. Für viele Unternehmen bleibe das globale Lieferkettenmanagement dauerhaft herausfordernd, da bei jedem Projekt immer die Frage nach der sicheren und zeitgerechten Versorgung im Raum stehe.
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