Handelsblatt-Nutzfahrzeugtagung Lkw-Herstellern droht lange Durststrecke

Hersteller wie Daimler müssen in den kommenden Jahren eine Alternative zum Diesel entwickeln.
München Die Lage in der Nutzfahrzeugindustrie mutet paradox an. Einerseits hat die Coronakrise jedem vor Augen geführt, wie wichtig kleine Transporter und schwere Sattelschlepper in unserem Alltag sind. „Ohne Nutzfahrzeuge wären die ganzen Lebensmittellieferungen und das berühmte Toilettenpapier früher zur Neige gegangen; Internetbestellungen würden uns nicht erreichen“, sagte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), am Montag auf der Handelsblatt-Nutzfahrzeugtagung.
Andererseits kämpft die Branche trotz ihrer immensen Bedeutung für alle Volkswirtschaften mit einer in Teilen existenziellen Krise. Infolge des zyklischen Abschwungs nach einer Dekade des Wachstums hatte die Industrie für 2020 bereits mit einem Einbruch der Nachfrage von zwölf Prozent gerechnet.
„Durch die Coronakrise hat sich das erheblich verschärft“, konstatiert Müller allerdings. „Jeder Bäcker, jede Spedition, jede Kommune überlegt sich jetzt natürlich zwei Mal, ob die Erneuerung von Fahrzeugen jetzt wirklich sein muss.“
Tatsächlich wird der Lkw-Markt von der Pandemie hart getroffen. Konkret wurden von Januar bis Oktober in Europa lediglich 161.000 schwere Trucks über 16 Tonnen Gesamtgewicht verkauft. Das ist gut ein Drittel weniger als im Vorjahr. Auch in anderen wichtigen Märkten wie Nordamerika oder Brasilien müssen die Lkw-Hersteller zweistellige Absatzrückgänge verkraften.
Die Folge: Im Jahr 2020 werden die kumulativen Betriebsgewinne der Branche von 13,3 auf fünf Milliarden Euro einbrechen, erklärt McKinsey-Partner Bernd Heid. Anzeichen auf Besserung sieht der Branchenkenner zunächst kaum. In Europa werde es „sicherlich noch bis 2023 dauern“, bis der Markt für Nutzfahrzeuge wieder auf ein Niveau von 300.000 verkauften Einheiten kommen werde, glaubt Heid. „Eine rasche Rückkehr zum Vorkrisenniveau ist noch nicht in Sicht“, bekundet auch VDA-Chefin Müller.
Traton und Daimler reagieren mit Einsparungen
Branchenriesen wie die VW-Nutzwagenholding Traton (MAN, Scania) oder Daimler Trucks droht damit zumindest in Europa eine lange Durststrecke. Die Konzerne reagieren darauf mit rigorosen Einsparungen. Besonders dramatisch ist die Lage bei MAN. Die Münchener schreiben tiefrote Zahlen. Im ersten Halbjahr stand ein Verlust von mehr als 400 Millionen Euro in den Büchern.
Nun sollen die Kosten um 1,8 Milliarden Euro pro Jahr sinken. 9500 Jobs stehen deswegen zur Disposition. Vor allem die Zentrale an der Stadtgrenze von Bayerns größter Metropole soll zurechtgestutzt werden. Im österreichischen Steyr dürfte gar ein ganzes Werk dichtgemacht werden. Parallel sollen auch bei der schwedischen Schwestermarke Scania mittelfristig 5000 Arbeitsplätze wegfallen.
Konkurrent Daimler-Trucks nennt zwar keine konkreten Abbauzahlen. Spartenchef Martin Daum macht aber keinen Hehl daraus, dass die Kosten bei dem Stuttgarter Nutzfahrzeugprimus in Europa viel zu hoch sind. „Wir rutschen bei schwachen Märkten zu schnell in die roten Zahlen und verdienen zu wenig Geld, um ausreichend in unsere Produkte von morgen zu investieren“, erläuterte Daum jüngst in einem internen Rundschreiben seinen Mitarbeitern den Ernst der Lage.
Neben der Coronakrise und hausgemachten Strukturproblemen erzwinge vor allem die Transformation der Branche weg vom Dieselmotor hin zu elektrischen Antrieben eine Reduktion von Jobs. Dies sei „leider unvermeidlich“, schrieb Daum an seine Beschäftigten. Einem Extremszenario zufolge könnte bei Daimler Trucks bis 2035 sogar die Hälfte der 30.000 Arbeitsplätze an den Lkw-Standorten in Deutschland wegfallen.
Es ist zwar eher unwahrscheinlich, dass dieses Szenario tatsächlich Realität wird, da Daimler dann de facto kein Geld mehr in seine heimischen Fabriken investieren würde, aber es zeigt doch, wie groß der Anpassungsdruck in der Lkw-Industrie aktuell ist. Von den 840.000 Auto-Arbeitsplätzen in Deutschland entfällt mehr als jeder fünfte auf die Nutzfahrzeughersteller, ihre Zulieferer und die Anbieter von Anhängern, Aufbauten und Trägern. „Eine Krise wie die gegenwärtige stellt die Unternehmen vor enorme Herausforderungen“, warnt Müller. Vielerorts droht ein Kahlschlag.
Schwerlastverkehr muss den Diesel loswerden
Hintergrund sind nicht zuletzt die immer strengeren Umweltauflagen rund um den Globus. So zwingt etwa die EU die Lkw-Hersteller dazu, ihren CO2-Ausstoß in der Flotte bis 2025 um 15 Prozent zu reduzieren und bis 2030 sogar um 30 Prozent. Wer diese Vorgaben verfehlt, muss mit Strafen in dreistelliger Millionenhöhe rechnen.
Das Problem für die Hersteller: Der Dieselmotor lässt sich technologisch kaum noch weiter optimieren. Um den Schwerlastverkehr klimaneutral zu stellen, müssen die Lkw-Bauer daher auf Batterie- und Brennstoffzelltrucks umschwenken, die aktuell noch ein Zuschussgeschäft sind.
Einen ersten Lobbying-Erfolg hat die Branche aber bereits erzielt. So will das Bundesverkehrsministerium klimaschonende Antriebe bei Nutzfahrzeugen ab 2021 fördern und stellt dafür mehr als 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung. Für den Ausbau der Tank- und Ladeinfrastruktur werden weitere Milliarden bis 2023 bereitgestellt.
VDA-Chefin Müller kritisiert jedoch, dass es beim Thema Ladeinfrastruktur weniger am Geld als an der Umsetzungsbereitschaft mangelt: „Da ist die Ausbaugeschwindigkeit in Deutschland viel zu langsam und in Europa noch mal um einiges mehr.“ Allein in Deutschland braucht es laut Müller ein Ladenetz für Lastwagen, das an den Fernverkehrsachsen mindestens 260 Stationen mit 1200 Ladepunkten umfasst. Von diesem Ziel ist Deutschland noch weit entfernt. Auch deswegen singt die VDA-Chefin noch ein Loblied auf den Diesel.
„Wir dürfen nicht vergessen, dass wir gerade im Lkw auch den modernen Dieselantrieb in vielen Anwendungsfeldern weiter brauchen werden“, erklärt Müller. Denn der Selbstzünder sei aktuell schlichtweg wirtschaftlicher in Anschaffung und Betrieb. Das stimmt. Allerdings könnte der Diesel bis Ende des Jahrzehnts selbst im Truckfernverkehr nahezu gänzlich obsolet werden.
Denn die sogenannten Total Cost of Ownership (TCO) eines Wasserstofftrucks dürften laut McKinsey von derzeit rund 1,53 Euro pro Kilometer bis Ende des Jahrzehnts auf 0,89 Euro sinken. Zum Vergleich: Die Gesamtbetriebskosten eines Diesel-Sattelzugs dürften dann bei 0,92 Euro pro Kilometer liegen. Diese Differenz von ein paar Cent scheint vielleicht wenig – im hart kalkulierenden Truckgeschäft kommt sie allerdings schon einer fundamentalen Verschiebung gleich.
Mehr: Daimler und Traton: Deutsche Truck-Riesen drängen nach China.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
Wie blöd muss man sein um auch nur daran zu denken man könne den Schwerlastverkehr in den nächsten 30 Jahren elektrifizieren? Ich war zeitlebens in meinem Metier innovativ und in der Technology vorneweg, aber was die heutigen Märchenerzähler von sich geben und die -gelinde gesagt- unbedarften Politiker hinterhertönen tut eigentlcih nur noch weh. Es wird nicht funktionieren und den gebeutelten Steuerzahler weiter ausquetschen ohne Sinn und Verstand. Wir haben nicht umsonst eine riesengroßen Lücke im Fachbereich MINT. Zumal nicht alle Absolventen/ Ausgebildeten in diesen Bereichen auch tatsächlich etwas taugen in ihrem Fach. Die gehen dann alle in die Staatsbürokratie, vorneweg Umweltbereich. Da muß man nur tönen aber keine Ahnung haben.