Hauptversammlung „Wir verstehen die Stimmung unserer Aktionäre“ – Bayer-Vorstand will Vertrauen zurückgewinnen
Bonn Die Bayer-Führung hat auf der Hauptversammlung in Bonn eine schwere Niederlage erlitten. Die Aktionäre stimmten am späten Freitagabend mehrheitlich mit 55,5 Prozent gegen die Entlastung des Vorstandes für das Geschäftsjahr 2018. Nur 44,5 Prozent votierten dafür. Weniger verheerend, aber schwach ist das Ergebnis für den Aufsichtsrat: 66 Prozent votierten für dessen Entlastung, 33 Prozent sind dagegen, der Rest enthielt sich.
Die Investoren demonstrieren damit ihren Unmut über den massiven Wertverlust ihres Investments seit der Monsanto-Übernahme. Die Aktionäre entziehen Vorstandschef Werner Baumann praktisch das Vertrauen. Baumann ist der erste amtierende Vorstandschef eines Dax-Konzerns, dem dies widerfährt. Seine Zukunft ist nun ungewiss.
Nach seiner Abstimmungsniederlage will der Konzernvorstand nun daran arbeiten, das Vertrauen der Aktionäre zurückzugewinnen. In einem Brief an die Mitarbeiter schreiben die Vorstandsmitglieder: „Wir verstehen die Stimmung unserer Aktionäre und teilen ihre Enttäuschung über die Kursentwicklung unseres Unternehmens.“
In dem Abstimmungsergebnis zeigt sich, dass sich ein tiefer Graben zwischen Bayer und seinen Anteilseignern aufgetan hat. Wenning bedauerte das Votum der Aktionäre und unterstrich am Abend, dass der Aufsichtsrat das Abstimmungsergebnis sehr ernst nehme. Noch im Anschluss an die Hauptversammlung traf sich das Gremium in der Nacht zu einer außerordentlichen Sitzung. Im Anschluss teilte der Aufsichtsrat mit, er stehe geschlossen hinter dem Vorstand. „Ich verspreche Ihnen, dass wir alles tun werden, um das Vertrauen des Kapitalmarktes wiederherzustellen“, versprach Wenning.
Der Vertrauensentzug hat keine direkten zwingenden Konsequenzen gemäß dem deutschen Aktienrecht. Experten sehen aber Reputation und Ansehen des CEOs dadurch massiv beschädigt. Zudem steckt in einem solchen Votum durchaus der Auftrag an den Aufsichtsrat, über eine Neubesetzung der Unternehmensspitze nachzudenken.
Für Baumann ist das Misstrauensvotum eine schwere Bürde. Andere Vorstandschefs haben schon mit weitaus besseren Ergebnissen bei Entlastungsabstimmungen ihren Job verloren – so etwa das frühere Spitzenduo der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen und Anshu Jain. Sie wurden 2015 auf der Hauptversammlung mit Werten von knapp über 60 Prozent entlastet und drei Wochen später vom Aufsichtsrat abberufen.
Bei Bayer ist die Gemengelage aber deutlich differenzierter zu betrachten. Denn auch Aufsichtsratschef Wenning sieht sich einem gewissen Vertrauensverlust gegenüber. Er bildet ein enges Duo mit Baumann und trägt die Monsanto-Akquisition mit, wie es der gesamte Aufsichtsrat tut. Noch während der Hauptversammlung in Bonn hat Wenning dem Vorstand volle Rückendeckung gegeben.
Daher ist fraglich, ob der Aufsichtsrat nun nach der Hauptversammlung an der Abberufung von Baumann arbeitet. Wenning selbst hat allerdings einmal gesagt, dass sich ein Manager nach Abstimmungsniederlagen hinterfragen müsse.
Möglicher Führungswechsel nicht im Interesse aller Investoren
Ein schneller Wechsel an der Bayer-Spitze ist zudem nicht im Interesse einiger Investoren, die gegen die Entlastung stimmten. So hieß es bei der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka, dass man „bei einer solch hohen Vernichtung des Börsenwerts nicht mit gutem Gewissen für eine Entlastung stimmen kann.“ Ihr Vertreter Ingo Speich hält aber eine Abberufung von Baumann für falsch, weil das Chaos bei Bayer dann nur noch größer würde.
Speich versteht seine Entscheidung als Warnschuss und fordert den Bayer-Chef auf, wieder Vertrauen am Kapitalmarkt zurückzugewinnen. „Halten Sie das operative Geschäft auf Kurs. Nur exzellente Zahlen werden Ihnen aus dieser Krise heraushelfen. Zeigen Sie uns, dass sich Erfolge bei Monsanto einstellen und Sie die Rechtsrisiken im Griff haben.“
Andere Investoren äußerten sich nicht direkt zu personellen Konsequenzen. Janne Werning von Union Investment stimmte gegen die Entlastung und begründete dies mit „anhaltenden negativen Entwicklungen bei Bayer, hohen rechtlichen Risiken und massiven Kursverlusten“. Der Vorstandsvorsitzende habe die Transaktion „mit Unterstützung des Aufsichtsrats vorangetrieben und ungeachtet aller Widerstände verwirklicht“, sagte Werning
In jeden Fall hat sich am Freitag ein tiefer Graben zwischen der Bayer-Führung und den Aktionären aufgetan. Dieser Graben war auf der Hauptversammlung im Bonner World Conference Center den ganzen Tag spürbar und sichtbar: Oben auf der Bühne saßen Aufsichtsrat und Vorstand von Bayer in langer Reihe nebeneinander und demonstrieren Zusammenhalt. Vor ihnen waren 3600 Aktionäre versammelt, die enttäuscht von der Führung zeigten.
Im Saal „New York“ bringen die Vertreter der Kleinaktionäre die Stimmung auf den Punkt: Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), spricht von einem „schmerzvollen Jahr und schlaflosen Nächten für die Aktionäre“ angesichts des Wertverlustes von Bayer. Der Konzern hat über 38 Prozent an Börsenkapitalisierung seit der Monsanto-Übernahme im Juni 2018 verloren. Joachim Kregel von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger ruft aus: „Herr Baumann, was haben sie mit unserer Bayer AG gemacht? Wo bleiben Demut und Empathie für Anleger, die ihr Erspartes in Bayer investieren?“
Kurseinbruch der Bayer-Aktie sei „enttäuschend“
Vorstandschef Baumann hat zu Beginn der Hauptversammlung in einer sehr sachlich orientierten Rede die Strategie des Konzerns erläutert und verteidigt – also die grundsätzliche Ausrichtung des Unternehmens auf starke Marktpositionen in Pharma und Agrochemie. „Der Erwerb von Monsanto ist und bleibt der richtige Schritt für Bayer“, sagt er.
Baumann nahm direkt zu den Vorwürfen Stellung, dass Bayer die rechtlichen Risiken beim Kauf unterschätzt habe. Er führt zwei Rechtsgutachten an: Sie attestieren der Bayer-Führung, ihre Pflichten gemäß Aktiengesetz nicht verletzt zu haben. Zudem verweist Baumann erneut auf zuletzt mehrfach erneuerten Überprüfungen der Zulassungsbehörden weltweit, die keine Krebsgefahr durch einen Glyphosateinsatz sehen.
Der Kurseinbruch der Bayer-Aktie sei „enttäuschend und schmerzt sehr“, sagte Baumann und machte dafür die beiden erstinstanzlich verlorenen Prozesse verantwortlich. Er unterstrich aber erneut, dass Bayer bei seiner Linie einer entschiedenen Verteidigung bleibe – von möglichen Vergleichen sagte er kein Wort. „Wir sind zuversichtlich, damit auf mittlere Sicht auch die Unsicherheit im Hinblick auf den Ausgang dieses Handlungskomplexes zu reduzieren“, sagte Baumann.
Er wies den Vorwurf zurück, Bayer konzentriere sich bei Monsanto und in den Verfahren zu sehr auf die Fakten und berücksichtige zu wenig die Emotionen. „Maßgeblich für die Bewertung von Produkten - und damit für die Gesundheit von Menschen – müssen weiterhin die unabhängigen Behörden sein. Sie entscheiden auf Basis von wissenschaftlichen Analysen – und nicht auf Basis von Emotionen.“ Baumann sieht das Vertrauen in die Wissenschaft mittlerweile beschädigt, dies sei eine „gefährliche Entwicklung“.
Für diese Worte am Ende seiner Rede erntet der Bayer-Chef langanhaltenden Applaus der Aktionäre.
Doch der Beifall während der anschließenden Attacke der Aktionäre auf die Bayer-Führung war phasenweise deutlich stärker. Etwa bei der Rede von Deka-Vertreter Speich: „Die Akquisition von Monsanto war bislang einzig und allein wertvernichtend. Das Vertrauen des Kapitalmarkts wurde massiv beschädigt“, sagte er.
Die Unzufriedenheit der Aktionäre mit der Bayer-Führung ist im Saal deutlich spürbar. „Was erwarten sie denn heute? Dass wir Hurra schreien und ihnen Absolution erteilen?“, sagte DSW-Chef Tüngler. Dem Vorschlag der DSW, die Entlastung zu verschieben, wollte Bayers Aufsichtsratschef Wenning nicht folgen.
Immerhin kommt Bayer um eine Sonderprüfung herum. Der Corporate-Governance-Experte Christian Strenger hatte einen solchen Antrag eingebracht. Danach sollte bei Bayer eine unabhängige Prüfung darüber eingeleitet werden, wie der Vorstand und der Aufsichtsrat bei der Risiko-Prüfung der Monsanto-Übernahme vorgegangen ist. Diesen Antrag wiesen die Bayer-Aktionäre aber zurück.
Auch die Politik äußert Kritik an den Bayer-Konzern. Der Grünen-Spitzenkandidat für die Europawahl fordert von dem Unternehmen eine neue Ausrichtung: „Bayer muss seine Strategie ändern und konsequent auf eine gesunde und nachhaltige Chemie setzen. Nur so können Investoren wieder schwarze Zahlen schreiben und die Mitarbeiter auf zukunftsfeste Jobs hoffen.“ Andernfalls drohe Bayer „zu einem zweiten RWE in Nordrhein-Westfalen zu werden“, sagte er der Rheinischen Post.
Der Grünen-Politiker sieht zudem in Glyphosat Gefahren für Mensch und Umwelt, aber auch für den gesamten Industriezweig. „Wir brauchen die Chemieindustrie für einen Schwenk zu umweltfreundlichen und nachhaltigen Produkten“, forderte Giegold und spezifiziert: „Die EU muss dazu die Chemikalien-Richtlinie REACH konsequent anwenden, um den besten Produkten bei der Marktdurchdringung zu helfen.“
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Baumann muss gehen