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Industrie Coronakrise legt die Wirtschaft lahm – Immer mehr Fabriken müssen schließen

Nach den Büros bleiben wegen der Coronakrise nun Werke geschlossen. VW, Daimler und Opel stoppen ihre Produktion. Niemand kann einschätzen, wie lange der Ausnahmezustand anhält.
17.03.2020 - 19:05 Uhr 1 Kommentar
In vielen deutschen Fabriken kommt es zu Produktionsstopps wegen der Coronakrise. Quelle: Paul Langrock/laif
Volkswagen-Autofabrik

In vielen deutschen Fabriken kommt es zu Produktionsstopps wegen der Coronakrise.

(Foto: Paul Langrock/laif)

Düsseldorf, Frankfurt, München, Stuttgart Bei der Bilanzpressekonferenz am Dienstag waren die Vorstände des Volkswagen-Konzerns sichtbar bemüht, Abstand voneinander zu halten – ganz so, wie es die Experten in Zeiten der globalen Corona-Pandemie empfehlen. Etwa zwei Meter trennten VW-Chef Herbert Diess von seinen Kollegen, als der einen vorübergehenden Produktionsstopp für die meisten Werke des Konzerns in Europa ankündigte. Die Journalisten waren ohnehin nur per Internet zugeschaltet.

„Angesichts der sich aktuell deutlich verschlechterten Absatzlage und der sich abzeichnenden Unsicherheit bei der Teileversorgung unserer Werke wird es an den Standorten unserer Marken unmittelbar auch zu Produktionsunterbrechungen kommen“, erklärte Diess den Journalisten.

Ob bei VW in Wolfsburg, bei Audi in Ingolstadt oder Porsche in Zuffenhausen: Ab Donnerstagabend stehen alle Räder voraussichtlich für zwei bis drei Wochen still. Damit hat das Coronavirus das Herz der deutschen Industrieproduktion erreicht.

Nur wenig später zog Daimler nach. Wegen der sich zuspitzenden Krise will der Autobauer den Großteil seiner Produktion sowie die Arbeit in ausgewählten Verwaltungsbereichen in Europa für zunächst zwei Wochen unterbrechen, teilte Daimler am späten Dienstagnachmittag mit. Die Unterbrechung betreffe die europäischen Pkw-, Transporter- und Nutzfahrzeug-Werke des Unternehmens und beginne noch in dieser Woche. Gegebenenfalls werde die Maßnahme auch verlängert.

So wie VW und Daimler stellen sich derzeit viele Unternehmen die Frage, wie lange sie den Betrieb angesichts der zunehmenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens noch aufrechterhalten können. Denn es sind nicht nur die zu erwartenden Störungen in den Lieferketten, nachdem die Produktion in vielen anderen Ländern wie Italien und China zeitweise zum Erliegen gekommen ist.

Auch die Mitarbeiter protestieren immer heftiger: Denn während die Kollegen im Büro oft schon seit Tagen im Homeoffice sind, ist die Belegschaft in der Produktion weiter einem Risiko ausgesetzt.

Zahl des Tages

40

Prozent

der deutschen Maschinenbauer rechnen mit Einschränkungen durch die Coronakrise. (Quelle: VDMA)

Bei VW wollte Betriebsratschef Bernd Osterloh diese Ungerechtigkeit offenbar nicht mehr hinnehmen – und machte seinem Ärger in einem Schreiben Luft. „Die Kolleginnen und Kollegen sehen nicht mehr ein, warum sie ohne eine klare Ansage und ohne klare Worte aus dem Management für ein paar Hundert Autos mehr eine Ansteckung riskieren sollen, die sie dann womöglich früher oder später nach Hause in ihre Familien tragen“, heißt es in dem Brief, der dem Handelsblatt vorliegt. „Wir Betriebsräte teilen diese Auffassung und haben dem Vorstand daher unmissverständlich klargemacht, was die Mannschaft von dieser Zweiklassengesellschaft hält.“

Neben den gestörten Lieferketten bereiten offenbar auch die immer strenger werdenden Hygienevorschriften in der Produktion vielen Unternehmen Probleme. Denn teilweise müssen die Mitarbeiter etwa bei der Montage auf engem Raum zusammenarbeiten. Die Schutzempfehlungen des Robert-Koch-Instituts, das die Gefahr für die deutsche Bevölkerung am Dienstag auf „hoch“ heraufgestuft hatte, ließen sich so nicht einhalten, bemängelte auch Osterloh in seinem Brief.

Für die Mitarbeiter des Konzerns könnte der Produktionsstopp Kurzarbeit bedeuten. Zwar gebe es noch keinen Plan, inwieweit staatliche Unterstützung in Anspruch genommen werden kann, sagte Vorstandschef Diess. Aktuell gehe es jetzt darum, die Werke in Deutschland und Europa geordnet herunterzufahren. Das geschehe „in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat“.

Besonders wichtig ist für Volkswagen derzeit das Werk in Zwickau, wo die ersten Exemplare des neuen Elektroautos ID.3 produziert werden. Diess gab sich überzeugt, dass die Autos wie angekündigt im Sommer fertig werden. „Die Produktion ist gut geplant“, sagte er.

Alle rechnen mit Einschränkungen

VW und Daimler sind nicht die einzigen Autobauer, die so auf die Coronakrise reagieren: Auch Opel stellt den Betrieb von Dienstag an vorübergehend ein. In Rüsselsheim wurde wegen der schwachen Nachfrage nach der Limousine Insignia bereits seit Monaten im Einschichtbetrieb gearbeitet, nun ruhen die Bänder vorerst bis 27. März. Das Gleiche gilt für das Komponentenwerk in Kaiserslautern und die SUV-Produktion in Eisenach.

Parallel zum Montagestopp will Opel Tausende Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. „Wir haben begonnen, mit den Sozialpartnern und der Arbeitsagentur Gespräche über Kurzarbeit aufzunehmen“, heißt es in einem internen Rundschreiben der Opel-Geschäftsführung an die Belegschaft. „Die Coronakrise verschärft sich“, begründet das Management den Schritt. Dauer, Umfang und Kopfzahl der avisierten Kurzarbeitsregelung sind noch offen.

BMW will vorerst weiter produzieren. Doch auch andere Industriezweige rechnen bereits mit größeren Produktionsausfällen infolge des Virus. So erklärten knapp 60 Prozent der deutschen Maschinenbauer in einer Blitzumfrage des Branchenverbands VDMA unter mehr als 1000 Unternehmen vom Dienstag, sie würden wegen der Pandemie schon jetzt nennenswerte Beeinträchtigungen im Betriebsablauf spüren.

Für die anderen ist es bloß eine Frage der Zeit: Von denen, die noch nicht betroffen sind, rechnen drei Viertel damit, dass sich das in den nächsten drei Monaten ändert.

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Mit Desinfektionsstationen und Abstandsgeboten versuchen im Moment noch viele Firmen, ihre Mitarbeiter vor einer Infektion mit Covid-19 zu schützen – und damit den GAU, also die Schließung des Betriebs durch die Behörden, zu verhindern. So arbeiten beispielsweise beim Maschinenbauer DMG Mori seit einiger Zeit die verschiedenen Schichten in den Fabriken getrennt. Überschneidungen werden vermieden – und notwendige Meetings finden nur per Video- und Telefonkonferenz statt. Die beiden DMG-Mori-Werke in Italien sind geschlossen.

Das Bielefelder Unternehmen hat den Ernstfall bereits hinter sich. Ein Mitarbeiter der Tochterfirma Deckel Maho im bayerischen Pfronten hatte sich mit dem Coronavirus infiziert. Der Standort wurde daraufhin geschlossen. Rund 1600 Mitarbeiter blieben zu Hause. Wer mit dem Erkrankten in Kontakt war, musste sich zweimal testen lassen – und dazwischen zwei Wochen in Quarantäne.

Erst als der zweite Test negativ ausfiel, durften sie zur Arbeit zurückkehren. „Wir können die Produktionsrückstände, die durch die Schließung entstanden sind, nur dank des zusätzlichen Engagements unserer Mitarbeiter einholen“, sagte DMG-Mori-Chef Christian Thönes dem Handelsblatt.

Auch ohne anhaltende Produktionsstopps wie in der Autoindustrie bedeutet der Corona-Ausbruch für viele deutsche Maschinenbauer einen schweren Rückschlag. Die Branche steckte schon vor der Pandemie in einer Krise und stellte sich für 2020 auf einen Produktionsrückgang von zwei Prozent ein.

Nach Corona sollen es nun minus fünf Prozent werden. „Die Störungen der Lieferketten machen sich immer deutlicher bemerkbar, wobei hier bislang die Lieferländer Italien und China die größten Sorgen bereiten“, sagte VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers.

Auch die Kölner Lanxess AG musste ihre Chemie-Produktion am norditalienischen Standort Filago für drei Tage stilllegen, als dort eine Corona-Infektion bei einem Arbeiter festgestellt wurde. Die Beschäftigten, die mit ihm in Kontakt waren, wurden untersucht, die Anlage wurde desinfiziert. Mittlerweile läuft das Werk ebenso wie der DMG-Mori-Standort in Pfronten wieder stabil. 

Der Spezialchemiekonzern hat eine Steuerungsgruppe eingesetzt. Sie soll die Gesundheit der Mitarbeiter schützen und gleichzeitig die Produktion so weit wie möglich arbeits- und handlungsfähig halten. Lanxess grenzt die Arbeitsteams so weit wie möglich voneinander ab und schränkt physische Kontakte und Begegnungen zwischen einzelnen Arbeitseinheiten ein.

So sollen etwa physische Besprechungen möglichst vermieden oder in Dauer und Teilnehmerzahl reduziert werden. In den Betrieben erfolgen etwa Schichtübergaben mit möglichst wenig persönlichem Kontakt zwischen den Teams und in möglichst kurzer Zeit. Der Empfang von externen Besuchern wurde auf ein Mindestmaß reduziert.

Beim Leverkusener Pharma- und Chemiekonzern Bayer hat die aktuelle Situation nach eigenen Angaben noch nicht zu Problemen in der Produktion geführt. An den Standorten in Leverkusen, Wuppertal und Bitterfeld stellt das Unternehmen zahlreiche Wirkstoffe für Medikamente her.

Kantinen im Fokus

Die Fertigung ist hochautomatisiert, dennoch hat Bayer den Schutz der Mitarbeiter dort verstärkt. So müssen sie etwa bei Schichtübergaben größtmöglichen Abstand halten. Gemeinschaftlich genutzte Arbeitsmittel werden beim Schichtwechsel gründlich desinfiziert. Dazu zählen etwa Tastaturen oder Steuerungsanlagen in einem Leitstand.

Eine ähnliche Strategie verfolgt der Kunststoffhersteller Covestro. „Neben dem Bewahren unserer Gesundheit muss es natürlich auch das große Ziel sein, unsere Anlagen trotz der sich verschärfenden Situation zuverlässig und sicher weiterzubetreiben“, sagt Daniel Koch, Produktionsleiter bei Covestro an den NRW-Standorten.

Im Fokus vieler Maßnahmen in den Unternehmen steht dabei die Kantine. Denn dort, wo sich zur Mittagspause normalerweise Hunderte Mitarbeiter gleichzeitig dicht an dicht an der Essensausgabe drängen, findet das Virus ideale Bedingungen, um sich weiter zu verbreiten. Bayer hat seine Mitarbeiter daher angewiesen, deutlich mehr Abstand als üblich voneinander zu halten. Die Sitzgelegenheiten wurden vorsorglich entzerrt.

Bei VW bleiben die Kantinen an den deutschen Standorten von Dienstag an geschlossen. „Unsere Mitarbeiter müssen sich jetzt etwas von zu Hause mitbringen“, sagte ein VW-Sprecher. Zusätzlich gebe es in den Fabriken auch Automaten, an denen sich Beschäftigte bedienen könnten.

Bei Porsche in Zuffenhausen haben die Mitarbeiter den Stillstand am Dienstag bereits geprobt: Der Sportwagenbauer unterbrach die Produktion am Stammsitz, um den baden-württembergischen Mitarbeitern die Gelegenheit zu geben, nach den plötzlichen Schulschließungen eine Betreuung für ihre Kinder zu organisieren.

Am Mittwoch macht auch das Leipziger Werk für einen Tag zu, wie ein Sprecher auf Anfrage bestätigte. In Sachsen war erst am Dienstag der letzte Schultag vor den außerplanmäßigen Coronaferien. Eine Ausweitung des eintägigen Produktionsstopps ist bei Porsche wohl in der Diskussion, aber noch nicht beschlossen.

China kehrt zur Normalität zurück

Während der Stillstand in den europäischen Fabriken immer näher rückt, kehren die Unternehmen in China langsam wieder zur Normalität zurück. So erklärte VW-Chef Diess parallel zur Verkündung des weitgehenden Produktionsstopps in Europa, im wichtigsten Markt des Konzerns stabilisiere sich die Situation wieder. „Mittlerweile haben unsere Fertigungsstätten mit wenigen Ausnahmen die Produktion wieder aufgenommen“, so der Manager. „Die Auslieferungszahlen steigen im März wieder und beginnen, sich langsam zu normalisieren.“

Auch der schwäbische Maschinenbauer Trumpf teilte zuletzt mit, wieder 90 Prozent der üblichen Produktionskapazität in seinen chinesischen Werken erreicht zu haben. Dennoch rechnet das Familienunternehmen mit Störungen in den Lieferketten infolge des Produktionsausfalls in vielen anderen Ländern. „Der Zentraleinkauf von Trumpf evaluiert laufend die weltweiten Lieferketten, um gegebenenfalls Engpässe rechtzeitig identifizieren zu können“, heißt es bei dem Unternehmen.

Erschwerend hinzu kommen dürfte die ausbleibende Nachfrage, die durch den Produktionsstopp in der Automobilindustrie entsteht. Zwar erklärte der Automobilzulieferer Continental, die vorübergehende Schließung von Werken sei eine Ultima Ratio und erfolge nur in Extremfällen sowie auf behördlichen Entschluss.

Doch schon jetzt rechnen Ökonomen damit, dass sich die Coronakrise zu einer Rezession entwickelt. Und schon jetzt nutzen viele Unternehmen das Instrument der Kurzarbeit, um so die Auswirkungen der Krise abzufedern.

Bereits vor drei Monaten lag der Anteil der Unternehmen, die das Instrument nutzten, in der gesamten Industrie mit 8,4 Prozent so hoch wie zuletzt im Nachgang der Finanzkrise 2010. Der Anteil dürfte seither noch deutlich gewachsen sein – auch, weil durch den Ausbruch des Coronavirus viel mehr Branchen betroffen sind als von der schon länger anhaltenden Industrierezession.

Branchenverbände wie der VDMA drängen darauf, die Regeln für die Vergabe der Hilfen zu lockern. Auch Personalabbau werde „in der mittelständischen Maschinenbauindustrie zunehmend zum Thema“, warnte VDMA-Chefvolkswirt Wiechers. So rechnen rund 70 Prozent der Maschinenbauer für 2020 mit Umsatzeinbußen, davon knapp die Hälfte mit Umsatzrückgängen von mehr als zehn Prozent.

VW stellt seine Produktion wegen Coronakrise weitgehend ein

Mehr: Sorgen um Güterverkehr wachsen – „Noch halten die Lieferketten“

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1 Kommentar zu "Industrie: Coronakrise legt die Wirtschaft lahm – Immer mehr Fabriken müssen schließen"

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  • Zu dieser Corona-Hysterie kann man stehen wie man will, aber die bedauerten Großunternehmen sind doch nicht wirklich das Problem der deutschen Wirtschaft. Die kleinen und mittleren Unternehmen leiden sehr viel stärker. Da geht es nicht um eine einstellige Umsatzreduzierung, sondern dem Wegfall des gesamten Geschäftsmodells durch Schließungsverfügungen oder bei sog. Ein-Mann: Frau-Selbstständigen der vorübergehende Wegfall des gesamten Umsatzes ohne Möglichkeit, dies in absehbarer Zeit wieder reinzuholen.

    Sollte die augenblickliche Situation etwas Positives haben, dann ist es, dass sich der Druck zur Digitalisierung erhöht und die Politik - und hier meine ich nicht nur die Bundesregierung - für die Rahmenbedingungen sorgt
    Vielleicht spricht sich ja auch mal rum, dass man nicht nur über Probleme diskutieren sollte sondern irgendwann auch mal zu Lösungen kommen muss. Sonst bauen sich eben immer mehr Probleme auf und die Menschen sprich Wähler reagieren irrational.

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