ThyssenKrupp und Tata Steel: Konzernaufspaltung und Fusion mit Tata abgesagt
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IndustriekonzernThyssen-Krupp sagt Konzernaufspaltung ab – und will 6000 Stellen streichen
Bei Thyssen-Krupp steht nach der gescheiterten Stahlfusion wieder alles auf Anfang. Auch die Aufspaltung ist vom Tisch. Nun sollen alle Sparten grundlegend voneinander getrennt werden.
Düsseldorf, München Es hätte ein Neuanfang werden sollen für Thyssen-Krupp. Noch vor wenigen Monaten lobte Vorstandschef Guido Kerkhoff die geplante Aufspaltung als „die beste Option“ des Ruhrkonzerns. Doch nun ist der historische Plan wieder vom Tisch. „Wir werden die Teilung des Unternehmens absagen“, erklärte Kerkhoff am Freitag in einem Telefongespräch mit Journalisten. „Stattdessen bauen wir ein grundlegend neues Thyssen-Krupp.“
Der strategischen Wende vorausgegangen war ein Gespräch zwischen Kerkhoff und EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in Brüssel, in dem es um den geplanten Zusammenschluss der Stahlsparte mit dem Konkurrenten Tata Steel Europe ging. Seit Oktober schon prüft Vestagers Behörde die Fusion, forderte immer wieder neue Zugeständnisse – bis sich der Deal am Ende nicht mehr gerechnet habe, so das Urteil des Thyssen-Krupp-Vorstandes.
Für die Aufspaltung des Ruhrkonzerns in ein Werkstoff- und ein Technologieunternehmen war der Zusammenschluss mit Tata eine der zentralen Bedingungen. Nicht nur hätte Kerkhoff auf diese Weise rund vier Milliarden Euro an Schulden und Pensionslasten an das Joint Venture auslagern können. Auch die erwarteten Synergien wären wohl beträchtlich gewesen – mit bis zu 600 Millionen Euro hatten die beiden Unternehmen nach eigenen Angaben gerechnet.
Doch vor allem in den Bereichen Auto- und Verpackungsstahl meldete die EU-Kommission Bedenken an. „Gemeinsam mit Tata Steel haben wir deshalb alles an Zugeständnissen in die Waagschale geworfen, was wirtschaftlich gerade so vertretbar war“, erklärte Kerkhoff. „Noch mehr, und das Joint Venture hätte sich nicht gerechnet.“
Noch ist das Kontrollverfahren nicht abgeschlossen – eigentlich hätten die Unternehmen noch bis Mitte Juni Zeit, um ein verbessertes Angebot abzugeben. Doch auch bei Tata rechnet man nicht mehr damit, den Deal noch unter zufriedenstellenden Bedingungen abschließen zu können, erklärte ein Sprecher.
Thyssen-Krupps Bestrebungen für ein Bündnis mit Tata
Anfang 2016
In der Stahlbranche mehren sich Spekulationen über eine Konsolidierung unter Beteiligung von Thyssen-Krupp Steel Europe. Eine Fusion der Stahlgeschäfte von Thyssen-Krupp und Salzgitter lehnt Salzgitter-Chef Heinz Jörg Fuhrmann ab. Ein Zusammenschluss mit Weltmarktführer ArcelorMittal gilt wegen hoher Kartellhürden als chancenlos. „Tata scheint der einzige mögliche Partner zu sein“, schreibt Warburg Research.
24. Februar 2016
Tata-Steel-Europa-Chef Karl-Ulrich Köhler gibt seinen Posten auf und wechselt an die Spitze des Schaltschrankherstellers Rittal. Bei Thyssen-Krupp war er über Jahre Stahlchef gewesen, musste aber 2009 nach der Kostenexplosion bei den Überseewerken seinen Hut nehmen. Nachfolger bei Tata Steel Europe wird Hans Fischer, der früher für Thyssen-Krupp und Salzgitter tätig war.
8. Juli 2016
Tata Steel bestätigt, mit Thyssen-Krupp Gespräche über ein Joint Venture der europäischen Stahlaktivitäten zu führen.
27. Januar 2017
Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger berichtet auf der Hauptversammlung, dass der Konzern mit mehreren Parteien im Gespräch sei, darunter Tata. Tata müsse aber eine Lösung für seine milliardenschweren Pensionslasten in Großbritannien finden. „Vorher ist ein Joint Venture mit diesem Partner nicht möglich. Das Risiko wäre zu hoch“, betont Hiesinger.
3. Mai 2017
In Duisburg demonstrieren mehrere tausend Beschäftigte von Thyssen-krupp Steel Europe gegen ein Joint Venture mit Tata. Stahl-Betriebsratschef Günter Back fordert Klarheit und wirft dem Vorstand eine Salamitaktik vor. Es stünden nicht hunderte, sondern mehrere tausend Jobs auf dem Spiel.
20. September 2017
Thyssen-Krupp und Tata schließen eine Grundsatzvereinbarung für ein Stahl-Joint-Venture. Die Vertragsunterzeichnung streben sie bis Anfang 2018 und den Vollzug bis Ende 2018 an.
23. November 2017
Im rheinland-pfälzischen Andernach demonstrieren rund 8000 Stahlarbeiter gegen die Fusionspläne. In Andernach sitzt die Thyssen-Krupp-Verpackungstochter Rasselstein. Die mehr als 2000 Mitarbeiter der Firma fürchten die EU-Kommission. Diese könnte aus Wettbewerbsgründen den Verkauf der Firma fordern.
21. Dezember 2017
Die IG Metall vereinbart mit dem Thyssen-Krupp-Vorstand für den Fall eines Joint Ventures mit Tata den Tarifvertrag „Zukunft Stahl“, der unter anderem eine Beschäftigungssicherung bis zum 30. September 2026 vorsieht. In einer Online-Befragung der Gewerkschaft stimmen 92 Prozent der Teilnehmer zu.
30. Juni 2018
Thyssen-Krupp und Tata Steel unterschreiben einen bindenden Vertrag zur Zusammenlegung ihrer europäischen Stahlgeschäfte. Das 50:50-Joint Venture soll Thyssen-Krupp Tata Steel heißen, rund 48.000 Mitarbeiter beschäftigen, einen Umsatz von 17 Milliarden Euro erzielen und auf eine jährliche Stahlproduktion von 21 Millionen Tonnen kommen. Die Zentrale soll in der Region Amsterdam sein.
5. Juli 2018
Nur fünf Tage nach dem Deal mit Tata tritt Vorstandschef Hiesinger völlig überraschend zurück. In einem Brief an die Mitarbeiter deutet er auf einen fehlenden Rückhalt durch Investoren hin.
30. Oktober 2018
Die EU-Kommission meldet Bedenken an dem JV an und verweist auf drei kritische Bereiche: Stahl für Verpackungen, für die Automobilindustrie und Elektrostahl. Die Wettbewerbshüter kündigen eine Entscheidung bis Ende März 2019 an. Die Frist wird später bis Ende April verlängert.
17. Dezember 2018
Die Konzerne einigen sich auf die künftige Führung des Joint Ventures. Den Chefposten soll der derzeitige Thyssen-Krupp-Stahlboss Andreas Goss übernehmen, Stellvertreter soll Tata-Europa-Chef Hans Fischer werden.
Februar 2019
Die EU-Kommission erhöht den Druck auf die Joint-Venture-Partner und verschickt ein „Statement of Objections“. Der IG Metall-Sekretär und Vize-Aufsichtsratschef von Thyssen-Krupp, Markus Grolms, warnt vor weitgehenden Zugeständnissen an die Wettbewerbshüter auf Kosten der Beschäftigten. Thyssen-Krupp will die Transaktion weiterhin im Frühjahr abschließen. Wenig später erklärt Kerkhoff, dass für die geplante Konzernaufspaltung ein Scheitern kein Problem wäre.
2. April 2019
Thyssen-Krupp-Chef Kerkhoff erklärt, dass die Konzerne der EU-Kommission weitreichende Zugeständnisse gemacht haben. Weiteren Spielraum gebe es kaum, sagen Insider. Im Bereich feuerverzinkter Stahl für die Automobilindustrie könnten die Konzerne zwei Anlagen in Spanien und Belgien verkaufen, das Werk in Spanien sei eher klein. Thyssen-Krupp ist in Spanien mit der Tochter Galmed vertreten, Tata in Belgien mit der Firma Segal. Beim Verpackungsstahl biete Tata die Abgabe zweier Anlagen in Belgien und Großbritannien an.
Mai 2019
Die EU-Kommission meldet weiter Zweifel an und fordert Insidern zufolge weitere Zusagen. Sonst werde das Projekt untersagt. Als Frist nannte sie laut Reuters den 17. Juni. Dazu kommt es jetzt nicht mehr.
Für Thyssen-Krupp beginnt nun von Neuem die Suche nach einer Strategie. Der Vorstand will dem Aufsichtsrat nun vorschlagen, Thyssen-Krupp künftig als Holding zu führen. Dabei sollen die einzelnen Geschäftsbereiche – Aufzüge, Stahl, Autoteile, Anlagenbau, Werkstoffhandel und Marineschiffbau – voneinander unabhängig geführt werden.
Die zentrale Verwaltung wird demnach deutlich verschlankt. Insgesamt sollen 6000 Arbeitsplätze wegfallen, hieß es. Davon entfallen 2000 auf die Stahlsparte, die auch im Falle des Zustandekommens der Fusion weggefallen wären. Weitere 2000 Jobs sollen in anderen Bereichen in Deutschland und weitere 2000 im Ausland gestrichen werden.
Zudem will Kerkhoff nun den Börsengang der profitablen Stahlsparte vorbereiten. Das soll die chronisch dünne Kapitaldecke des Industriekonglomerats stärken, die nach der gescheiterten Auslagerung von hohen Pensionsverpflichtungen der Stahlsparte belastet bleibt.
Es gehöre zu den unangenehmen Wahrheiten, erklärte Kerkhoff am Freitag, „dass die Aufzugsparte allein deutlich höher bewertet wird als das ganze Unternehmen Thyssen-Krupp insgesamt“. Derzeit ist Thyssen-Krupp Elevator mit rund 1,5 Milliarden Euro in der Bilanz bewertet. Experten trauen der Sparte fast das Zehnfache zu.
Bei der Teilung wäre die Differenz zwar als Bilanzgewinn angefallen, hätte aber gleichzeitig auch hohe Steuerverpflichtungen von etwa 800 Millionen Euro ausgelöst. Diese Kosten fielen nun nicht an, erklärte Kerkhoff. „Eine Aufstellung als eigenständiges börsennotiertes Unternehmen erlaubt Elevator aber auch bessere Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeiten.“
Auch seien die hohen Kosten durch die nun verworfene Teilung – mit Steuern und Beraterhonoraren insgesamt schätzungsweise eine Milliarde Euro – angesichts der derzeitigen Börsenbewertung von rund sieben Milliarden Euro nicht zu rechtfertigen gewesen, hieß es in Unternehmenskreisen.
Die Arbeitnehmervertreter des Industriekonzerns fordern nun eine klare Ansage vom Management. So erklärte der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und IG-Metall-Sekretär Markus Grolms der Nachrichtenagentur Reuters, die ganze Situation sei eine „unsägliche Belastung für die Beschäftigten“. Das müsse nun aufhören. „Der Vorstand muss sagen, wie es ist, und Vorschläge machen, wie es besser werden soll.“
Die IG Metall will darüber hinaus weiter an den Beschäftigungsgarantien festhalten, die der Vorstand den Stahlkochern im Austausch für ihre Zustimmung zum Joint Venture gemacht hat. So sagte der nordrhein-westfälische IG-Metall-Bezirksleiter Knut Giesler dem Handelsblatt, noch sei der Gewerkschaft keine schlüssige Begründung vorgelegt worden, „warum das nicht möglich sein soll“. Zuvor hatte Personalvorstand Oliver Burkhard erklärt, die Zusagen seien nur für den Fall einer erfolgreichen Fusion gültig.
Giesler mahnte darüber hinaus, die erwarteten Gewinne aus einem Teilbörsengang des Aufzugsgeschäfts auch tatsächlich für Restrukturierung und Zukunftsfragen zu nutzen. „Eine Ausschüttung an die Aktionäre wird es mit uns nicht geben.“
Die beiden größten Anteilseigner bei Thyssen-Krupp, die mit 21 Prozent beteiligte Krupp-Stiftung sowie der mit 18 Prozent beteiligte schwedische Investmentfonds Cevian, scheinen mit der Absage der Teilung grundsätzlich einverstanden. So hieß es seitens der Stiftung, es sei wichtig, „dass das Unternehmen in allen Geschäftsfeldern wettbewerbsfähig aufgestellt ist, mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen und einer nachhaltigen Dividendenfähigkeit“. Vor diesem Hintergrund würde die neue Strategie bewertet.
Auch Cevian-Mitgründer Lars Förberg meldete sich zu Wort. „Es ist klar, dass Thyssen-Krupp mit seiner bisherigen Strategie gescheitert ist“, so der Investor. „Alle Beteiligten sind sich bewusst, dass eine fundamentale Neuausrichtung jetzt dringend notwendig ist, um den Geschäftssparten von Thyssenkrupp eine Zukunft zu geben.“ Es dürfe keine historischen oder politischen Tabus mehr geben.
Der Fonds drängt schon länger darauf, die einzelnen Sparten voneinander unabhängig aufzustellen. Auch einen Teilbörsengang des Aufzugsgeschäfts hatte Förberg bereits ins Spiel gebracht. Doch lange hatte sich das Management gegen einen solchen Schritt gewehrt.
Mit dem doppelten Aus setzt sich der Niedergang des Traditionskonzerns fort. Seit Jahren leidet Thyssen-Krupp unter den Folgen von Missmanagement. Mit dem Bau von Stahlwerken in Brasilien und den USA hatte das Unternehmen rund zehn Milliarden Euro verloren.
Ab dem Jahr 2011 mühte sich dann Heinrich Hiesinger als Vorstandschef, den Ruhrkonzern ins Gleichgewicht zu bringen. Etliche Aktivitäten wie die der Edelstahlsparte verkaufte er. Nachhaltig konnte er Thyssen-Krupp aber nicht stabilisieren.
Im Sommer vergangenen Jahres gab er daher wie Aufsichtsratschef Ulrich Lehner seinen Posten auf. Sein letzter Akt war eben jene Stahlfusion mit Tata Steel. Ausgehandelt hatte diese im Wesentlichen Kerkhoff, der bis dahin Finanzvorstand war. Mit dem Aufspaltungsplan hatte sich Kerkhoff nach einer monatelangen Führungskrise für den Vorstandsvorsitz empfohlen.
Mit der Strategie ändert sich auch die Jahresprognose des Ruhrkonzerns. Durch die Wiedereingliederung des Stahlgeschäfts rechnet der Konzern für das Geschäftsjahr 2019/20 mit einem bereinigten Ebit von 1,1 bis 1,2 Milliarden Euro.
Der Free Cashflow vor Übernahmen und Verkäufen soll im hohen negativen dreistelligen Millionenbereich liegen. Eine detaillierte angepasste Prognose will das Unternehmen bei Vorlage der Quartalszahlen am Dienstag veröffentlichen. Spätestens am 21. Mai soll der Aufsichtsrat über den neuen Plan entscheiden.
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