Interview Gather und Troche über die Satzung der Krupp-Stiftung: „Wir möchten ein Zeichen der Öffnung setzen“

Ursula Gather und Volker Troche sitzen dem Kuratorium beziehungsweise dem Vorstand der Stiftung vor.
Essen Über Jahrzehnte galt die Satzung der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung als eines der bestgehüteten Geheimnisse der Ruhrwirtschaft. Nun wird das Dokument erstmals im Rahmen eines Forschungsprojekts veröffentlicht. Es enthält den vom Stifter formulierten Arbeitsauftrag der gemeinnützig wirtschaftenden Großaktionärin von Thyssen-Krupp.
Mit der Publikation tritt die Stiftung auch falschen Interpretationen des Begriffs der „Einheit des Unternehmens“ entgegen, der in der Präambel der Satzung als ein Zweck der Stiftung formuliert wurde.
So wurde der Institution bei Verkäufen von Unternehmensteilen in der Vergangenheit häufig vorgeworfen, sie komme ihrem Auftrag nicht nach. „Dass das Unternehmen immer in der gleichen Struktur und unverändert bleibt, ist ausdrücklich nicht gemeint“, sagte Ursula Gather, Vorsitzende des Stiftungskuratoriums, dem Handelsblatt. „Ich finde es gut, dass das nun so deutlich klargestellt wird.“
Für Thyssen-Krupp ist diese Klarstellung von großer Bedeutung. Denn der Konzern durchlebt derzeit den größten Umbau seiner Geschichte. Dabei soll die Stahlsparte, das Traditionsgeschäft des Konzerns, verselbstständigt werden. Eine Beteiligung daran könne sich die Stiftung in Zukunft durchaus vorstellen, so Gather.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Frau Gather, Herr Troche, die Satzung der Krupp-Stiftung galt lange als „bestgehütetes Geheimnis der Villa Hügel“. Oft schon wurde die Veröffentlichung gefordert – nun machen Sie das Dokument für jeden zugänglich. Warum?
Gather: Wir möchten durchaus ein Zeichen der Öffnung und Transparenz setzen. Als private Stiftung sind wir nicht verpflichtet, unsere Satzung zu veröffentlichen. Aber es steht auch nichts Geheimnisvolles drin. Insofern unterstütze ich es, wenn die Veröffentlichung nun dabei hilft, bestehende Mythen abzubauen.
Der Anlass der Veröffentlichung ist ein rechtswissenschaftlicher Aufsatz, der sich auch mit einer Frage auseinandersetzt, die zentral ist für das Verhältnis der Stiftung zum Unternehmen Thyssen-Krupp – und die in den vergangenen Jahren wegen der vielen Restrukturierungen immer wieder aufgekommen ist.
So heißt es in der Präambel der Satzung, es sei eine Aufgabe der Stiftung, die „Einheit des Unternehmens möglichst zu wahren“. Was ist damit gemeint?
Gather: Uns war es wichtig, dass die Satzung im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit unabhängig analysiert wird. Der Aufsatz arbeitet die Bedeutung der „Einheit des Unternehmens“ sehr sorgfältig heraus: Es war über die Generationen hinweg immer der Wunsch der Inhaber, dass es nur einen einzigen Erben gibt, um die Eigentümerschaft nicht zu verwässern.
Ziel war die Verhinderung der Zersplitterung des Beteiligungseigentums, nicht die Bewahrung des Status quo. Ich finde es gut, dass das nun so deutlich klargestellt wird. Denn der Begriff hat in der Vergangenheit die verschiedensten Interpretationen hervorgebracht. Dass das Unternehmen immer in der gleichen Struktur und unverändert bleibt, ist ausdrücklich nicht gemeint.
Der Hauptzweck der Stiftung ist seit der Gründung 1967 die Förderung gemeinnütziger Zwecke. Die „Einheit des Unternehmens“ hat es nur in die Präambel geschafft. Hat der letzte Krupp-Erbe hier mit der Tradition gebrochen?
Troche: Es gab in der Geschichte der Krupps, wie bei jedem Familienunternehmen, immer wieder die Frage, wie man das Unternehmen bestmöglich der nächsten Generation übergibt. Das bringt unter anderem steuerliche Fragen mit sich, die sicher auch dazu geführt haben, dass man die Gemeinnützigkeit zum einzigen Zweck der Stiftung gemacht hat.
Die Einheit des Unternehmens musste dahinter zurücktreten. Deshalb sind wir eine gemeinnützige unternehmensverbundene Stiftung, aber keine Unternehmensstiftung.
Es scheint, als habe Alfried Krupp von Bohlen und Halbach mit der Gründung der Stiftung ein Ziel verfolgen wollen, das sich wegen der rechtlichen Rahmenbedingungen nicht erreichen ließ.
Gather: Ich glaube eher, dass es sein Ziel war, dass die Firma und das Vermögen in eine einzige Hand, an einen Rechtsnachfolger übergeht – und dass die Einnahmen daraus nicht vollständig thesauriert werden. Das hat er erreicht. Der Erfolg eines Unternehmens ist jedoch von vielen, auch externen Faktoren abhängig. Deshalb wird unser Stifter gewusst haben, dass sich das Unternehmen im Laufe der Zeit verändern würde.
Troche: Es gab schon lange vor der Gründung der Stiftung Überlegungen dazu, die Eigentümerschaft bzw. Beteiligung von der Steuerung des Unternehmens zu trennen. Mit der Stiftung hat Alfried Krupp von Bohlen und Halbach eine Rechtsform gefunden, die dieses Ziel bis in alle Ewigkeit garantiert – und zwar mit einem gemeinnützigen Auftrag.
So, wie sich durch die Gründung der Stiftung die Steuerung des Unternehmens vom Eigentümer emanzipiert hat, so hat sich auch das Verständnis der Gemeinnützigkeit von unternehmerischen Interessen emanzipiert. Volker Troche, Stiftungsvorstand
Wie beeinflusst das Ihr Selbstverständnis heute? Der gemeinnützige Auftrag ist mit Wissenschaft, Bildung, Gesundheit, Sport und Kultur ja eher vage gehalten.
Gather: Alfred Krupp hat einmal gesagt: Der Zweck der Arbeit soll das Gemeinwohl sein. Insofern haben die früheren Eigentümer sich immer schon dem Gemeinwohl verpflichtet gefühlt, selbst wenn sich das vor allem auf die eigene Arbeiterschaft bezog. Das ist natürlich etwas anderes verglichen mit der Stiftung, die ganz allein dem gemeinnützigen Satzungszweck verpflichtet ist.
Wir richten bei unserer Fördertätigkeit den Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Erfordernisse. Wir möchten die Zukunft gestalten, nicht die Vergangenheit verwalten.
Troche: So, wie sich durch die Gründung der Stiftung die Steuerung des Unternehmens vom Eigentümer emanzipiert hat, so hat sich auch das Verständnis der Gemeinnützigkeit von unternehmerischen Interessen emanzipiert.
Das eröffnet Ihnen einen großen Spielraum. Nach welchen Prinzipien füllen sie ihn aus?
Gather: Wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten einige Schwerpunkte erarbeitet, die uns kennzeichnen. Bei Wissenschaft, Forschung und Bildung ist uns die Förderung junger Menschen besonders wichtig – beispielsweise die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit oder die Unterstützung von jungen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern.
Wir initiieren aber auch regelmäßig neue Projekte, von denen wir denken, dass sie gesellschaftlich wichtig sind, beispielsweise die Provenienzforschung. Anderes wiederum hat sich aus der Tradition entwickelt – etwa die Förderung von Fotokunst, die auch unser Stifter sehr geschätzt hat. Solche Geschichten wollen wir weitererzählen.
Kritiker werfen Ihnen vor, dass das Förderprogramm erratisch sei und sich zu sehr von den Wurzeln der Stiftung entfernt habe.
Troche: Das ist eine überspitzte Kritik an einer Programmatik, die wir uns selbst gegeben haben: Wir wollen Traditionen aufrechterhalten – und an anderen Stellen neue Schwerpunkte setzen. Diese Freiheit gibt uns die Satzung. Alfried Krupp hätte die gemeinnützigen Zwecke schließlich auch sehr detailliert vorgeben können, wie das bei anderen Stiftungen der Fall ist.
Das ist aber nicht passiert. Das gibt uns Freiheiten und ermöglicht uns auch, immer wieder Neues anzustoßen.
Dafür sind Sie auf Dividenden des Thyssen-Krupp-Konzerns angewiesen, die zuletzt ausgefallen sind. Wie steht es finanziell um die Stiftung?
Troche: Wir hatten in diesem und im vergangenen Jahr keine Einnahmen und wissen nicht, ob wir im kommenden Jahr mit einer Dividende rechnen können. Alle zugesagten Programme können wir einhalten, bei Neubewilligungen müssen wir zurückhaltend sein. Auch in der Verwaltung müssen wir einsparen – da gibt es einen gewissen Gleichschritt mit dem Unternehmen.
In dieser Situation steckt aber auch eine Chance. Wir haben die Monate der Pandemie dafür genutzt, gemeinsam mit dem Team der Stiftung einen Prozess der kulturellen und organisatorischen Weiterentwicklung anzustoßen. Wir gehen mit Elan nach vorn.
Wie sieht dieser Prozess denn konkret aus?
Troche: Wir haben zum Beispiel die internen Abläufe der Stiftung unter die Lupe genommen und im Rahmen von Team-Workshops die Prinzipien unserer Zusammenarbeit gemeinsam erarbeitet. Ebenso haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter viele neue Projekte zur Verbesserung unserer Prozesse vorgeschlagen, die sich nun in der Umsetzungsphase befinden. Durch diesen intensiven Prozess sind wir als Team näher zusammengerückt.
Wie lange hält die Stiftung finanziell noch durch?
Gather: Bei dem jetzigen Fördervolumen können wir unsere Tätigkeit ohne zusätzliche Einnahmen noch etwa zwei Jahre weiter fortsetzen. Durch die eben angesprochenen Maßnahmen lässt sich der Zeitraum strecken. Ich bin aber absolut überzeugt davon, dass die jetzige Strategie das Unternehmen in absehbarer Zeit wieder dividendenfähig macht. Die Geschäftszahlen lassen erkennen, dass die Performance-Maßnahmen bereits Wirkung zeigen.

Die Villa Hügel ist das ehemalige Wohn- und Repräsentationshaus der Industriellenfamilie Krupp. Heute beherbergt das Gebäude das historische Archiv. Das Gästehaus ist der Sitz der Stiftung.
Es gibt Überlegungen, die Stahlsparte abzuspalten. Dabei wird als eine Option auch ein Börsengang erwoben, der dazu führen könnte, dass die Stiftung danach an zwei Unternehmen beteiligt ist. Wäre das nicht eine Gelegenheit, das Stiftungsvermögen weiter zu diversifizieren?
Gather: Wir sind eine unternehmensverbundene Stiftung und wurden mit diesem Vermögenswert geboren. Es gibt keine Überlegungen, Anteile zu verkaufen oder sich an anderen Unternehmen zu beteiligen. Wir bleiben treu – das gilt übrigens auch für die Stahlsparte, bei der wir uns sehr gut vorstellen können, beteiligt zu bleiben – sollte sich diese Frage irgendwann einmal stellen.
Troche: Das hat mit unserem Selbstverständnis zu tun. Wir sind zwar laut Satzung nicht verpflichtet, den Anteil an Thyssen-Krupp zu halten. Doch wir sehen gute Gründe, das zu tun – sowohl historische als auch in die Zukunft gerichtete. Deshalb sind wir eine zuverlässige Ankeraktionärin, die vielleicht noch eher als andere Investoren den Anspruch hat, auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten dabei zu bleiben.
Auf Gedeih und Verderb?
Gather: Der Ausdruck suggeriert, dass das Unternehmen kurz vor dem Verderb steht – das stimmt aber nicht und trifft auch auf die vergangenen Jahre nicht zu. Natürlich gab es eine sehr kritische Situation im Jahr 2011, als sich die Hoffnungen in die neu gebauten Stahlwerke in den USA und Brasilien nicht eingelöst hatten. Doch in jüngster Vergangenheit hat sich das Unternehmen wieder deutlich zum Besseren entwickelt. Alle Analysten raten zum Kauf. Deshalb stellt sich die Frage für uns nicht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Hier gibt es die komplette Satzung auf der Seite der Krupp-Stiftung zum Download.
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