Intrigen, Seilschaften, Vertrauensverlust Wie VW-Chef Müller an der Wolfsburger Auto-Kratie scheiterte

München, Düsseldorf, Frankfurt Die turnusmäßige Vorstandssitzung im Konferenzraum HT 10 der Wolfsburger Volkswagen-Zentrale hatte pünktlich um 8:30 Uhr begonnen. Es ging um Dauerthemen wie den Umbau der Konzernstruktur. Da betrat überraschend Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch den Saal und begann, den völlig überraschten Vorständen die Ad-hoc-Mitteilung zu verlesen, die kurz darauf herausgegeben werden sollte: Vorstandsvorsitzender Matthias Müller werde abberufen und durch den Pkw-Chef Herbert Diess ersetzt.
Als den VW-Vorständen die Auswirkung dieser knappen Meldung klar geworden war, hatte Pötsch die Sitzung schon wieder verlassen. Die Augen der überraschten Vorstandsmitglieder richteten sich auf VW-Boss Müller, der immerhin einige Stunden vor der Sitzung von seiner bevorstehenden Ablösung informiert worden war. Doch Müller, so heißt es aus dem Umfeld des VW-Vorstands, habe nur starr zu Boden geblickt und jede Debatte verweigert.
Anschließend soll es zu jener denkwürdigen Szene gekommen sein, die geradezu als Antithese des versprochenen Kulturwandels in die jüngere Wirtschaftsgeschichte eingehen könnte: Einzeln wurden die Vorstände aus dem Sitzungssaal heraus zu Diess und Pötsch zitiert und darüber informiert, ob man für sie in der künftigen VW-Welt noch Verwendung habe – was im Fall von Personalvorstand Karlheinz Blessing nicht der Fall sein wird.
Er soll ausgerechnet durch Gunnar Kilian ersetzt werden, bislang Generalsekretär des Konzernbetriebsrats. Wer mit seinem Gespräch fertig war, ging zurück in die Vorstandssitzung und zeigte auf den Nächsten, der heraustreten sollte zum Rapport beim Oberaufseher und seinem neuen CEO.
Die Vorstandssitzung am Dienstag in Wolfsburg markiert das Ende einer großen Hoffnung – dass sich der Weltkonzern im Schnellwaschgang von seinen Schattenseiten lösen kann, von all den Fehlentwicklungen, die der Abgasskandal („Dieselgate“) offenbart hatte. Das Zaubermittel gegen die Pathologien im PS-Reich hieß „Kulturwandel“, und monatelang hatten Müller und andere VW-Manager die schöne Vokabel vor sich her gesagt, als sei das neue Mantra von Volkswagen schon die Lösung aller Probleme.
Es war dieser Ruf nach „Kulturwandel“, der den vorher bei Porsche in Stuttgart erprobten Divisionsmanager Müller auf den Chefsitz des Konzerns gebracht hat. Der Novize hatte sich die Generalreform des unter seinem Vorgänger Martin Winterkorn etablierten Führungssystems ins Fahrtenbuch geschrieben.
Statt Auto-Kratie war nun Freiheit angesagt, statt Befehl und Gehorsam ein neues kreatives, kollaboratives Denken. Statt der Herrschaft von Seilschaften und Intrigen eine neue Offenheit und Ehrlichkeit im Umgang miteinander. Denn nur so würde Deutschlands größtes Industrieunternehmen den Weg in die Zukunft des Automobils finden, hin zu Elektromobilität und Digitalität.

Unrühmlicher Abschied.
Doch wie dominant der alte Geist bei Volkswagen noch ist, das zeigen allein schon die unwürdigen Umstände, unter denen Müller und Blessing in dieser Woche abserviert wurden. So unwürdig, dass nach Handelsblatt-Informationen nun auch Einkaufsvorstand Francisco Javier García Sanz zurücktreten wird. Er wolle mit der neuen Führung nicht zusammenarbeiten, heißt es in Konzernkreisen.
Ein VW-Topmanager zum Handelsblatt: „Müller stand für Offenheit. Diese Offenheit wird unter Diess ein Ende finden.“ Eine selten deutliche Form des Misstrauensvotums gegenüber dem neuen Vorstandschef Herbert Diess und vor allem gegenüber Aufsichtsratschef Pötsch. Infernalischer als mit dem derzeitigen Wolfsburger Personalchaos kann ein Kulturwandel nicht scheitern.
Oder vielleicht doch? Schließlich musste innerhalb weniger Tage nicht nur der Chef des größten deutschen Industrieunternehmens gehen, sondern auch der von Deutschlands größtem Finanzkonzern. Auch bei John Cryan von der Deutschen Bank lautete einer der Gründe, dass er den Wandel im Haus nicht entschlossen genug vorangetrieben habe.
Und wie bei Volkswagen zeigt auch der Fall Deutsche Bank, wie dominant die alte Führungs-Unkultur noch immer ist. Es ließe sich lange darüber philosophieren, welcher Aufsichtsratsvorsitzende seinen CEO nun ruchloser entsorgt hat, nicht zuletzt um den eigenen Job zu retten: Pötsch bei Volkswagen – oder Paul Achleitner bei der Deutschen Bank. Das obligatorische Bekenntnis zum Wandel erscheint in beiden Fällen als wohlfeile Phrase, die bei Bedarf jederzeit hinter die eigenen Machtinteressen zurückzutreten hat.
Gerade in Zeiten großer Umbrüche, in denen alle von „Disruption“ reden, ist die Theorie vom Wandel in der Firmenkultur überaus populär. Die Idee: Wer den Kulturwandel beherrscht, schafft den Wechsel von der alten in die neue Zeit, kann in einem Umfeld einstürzender Geschäftsmodelle überleben. Dieser Glaube hat in Deutschland zunächst den von Stahlkrise und Korruptionsaffären gebeutelten Konzern Thyssen-Krupp in Essen verändert und später die Deutsche Bank in Frankfurt, die der Zockermentalität ihrer Trader abschwor und verbal den „ehrbaren Kaufmann“ wiederentdeckte.
Lehren wie die vom „Kulturwandel“ werden von Beratern, Experten und Vordenkern aller Art weiterverbreitet. Bezeichnenderweise waren es sowohl bei Thyssen-Krupp wie auch bei der Deutschen Bank und bei Volkswagen Abgesandte der Kommunikationsagentur Hering Schuppener, die den CEOs und ihren Truppen den Weg wiesen. In ihren Papieren, Folien und Szenarien waren die Sünden der Vergangenheit zu Randbemerkungen geworden, es dominierte der Katechismus der reinen Lehre.
Wolfsburg lernt ein Wort
In Wolfsburg sollte nicht weniger als ein Neustart gelingen, ein Abschied von der Schein-Idylle der Benziner und Zylinder, von der Kraftmeierei der Motoren. In dieser alten Ära hatten Müllers Vorgänger Martin Winterkorn sowie vor allem dessen Ziehvater Ferdinand Piëch den riesigen Verbund VW über Seilschaften geführt. Loyalität galt hier mindestens so viel wie Fachwissen. Und wer Entscheidungen der Führung hinterfragte, landete im Aus. „Nordkorea minus Arbeitslager“ spöttelte einst der „Spiegel“ über die Wolfsburger Firmenkultur.
Die Pflicht zum Gehorsam entdeckte Reformator Müller denn auch als Grund, warum der Skandal um manipulierte Abgaswerte von Dieselautos überhaupt erst entstehen konnte. Aus Angst vor Sanktionen und Schelte hatten die Motorenentwickler mit ihrer Software getrickst – mit ihrem Kostenbudget bekamen sie die Abgase nicht so sauber, wie der Gesetzgeber das forderte. 25 Milliarden Euro hat der Dieselskandal bisher Volkswagen und all seine Marken wie VW, Audi, Seat oder Porsche bereits gekostet.
Mit Matthias Müller sollte Volkswagen nun ein anderes Unternehmen werden. Eines, in dem der Mitarbeiter Widerworte geben und eigene Gedanken einbringen kann. Die magische Formel vom „Kulturwandel“ nahm zuerst – noch vor Müllers Berufung – der mächtige Betriebsratschef Bernd Osterloh in den Mund. „Wir brauchen eine Kultur, in der alle Abteilungen – über Bereiche hinweg – zusammenarbeiten, um Probleme zu lösen“, schrieb er am 24. September 2015 an die Belegschaft.
Da war die Dieselabgas-Affäre ein paar Tage öffentlich. Mit den Vorgesetzten dürfe und müsse um den besten Weg gestritten werden, formulierte Osterloh weiter: „Volkswagen braucht einen grundlegenden Kulturwandel. Dies werden wir im Aufsichtsrat deutlich einfordern.“ Einen Tag nach diesem Brief beriefen die 20 Kontrolleure Matthias Müller zum Vorstandsvorsitzenden.
Bald nach Osterloh sprach auch Müller vom nötigen Kulturwandel. Es war, als könnten sich der Konzern und sein Vormann quasi über Nacht neu erfinden, als seien sie auf ein mentales „defeat device“ gestoßen, als könnte die Vergangenheit entsorgt werden wie eine alte Batterie, die nicht mehr lädt. Wer wollte da schon als Störer gelten? Wer wollte schon anmerken, dass Müller, damals 62, seit mehr als vier Jahrzehnten im Konzern war und im Windschatten Winterkorns Karriere gemacht hatte, von Audi zu VW geholt und schließlich zu Porsche geschickt.
Wahrscheinlich war das der erste Fehler. Der sogenannte Kulturwandel bei VW begann mit Worten, nicht mit neuen Gesichtern. Immerhin hatte der in den Wirren von „Dieselgate“ eher zufällig nach oben getriebene CEO Müller eine Vorstellung, wie die gewaltige Aufgabe zu bewältigen sei: mit einem Mix aus Sonne und Wolken, mit schöner Symbolik und harten Einschnitten. „Wir müssen unser Denken ändern, die Art, wie wir miteinander umgehen, auch mit Problemen und Fehlern“, versprach der frisch gekürte Vorstandschef im Herbst 2015 bei seiner ersten Bilanzvorlage.
Müller weiß von seinen Beratern, wie wichtig solche Narrative von Demut und Einsicht sind. Es darf nach dem Dieseldebakel im börsennotierten Konzern ja nicht einfach so nach altem Muster weitergehen, auch wenn die Absatzzahlen weiterhin glänzend sind und die Gewinne sprudeln. Ohne Neuanfang würden all die wichtigen Gruppen im Umfeld des Konzerns unruhig, die gerne als Stakeholder angeführt werden und bei Volkswagen eine besonders einflussreiche Rolle spielen.
All die Investoren, die ihr Geld in die VW-Aktie gesteckt haben. All die Politiker, die Jobs erwarten für ihre Wähler, zumal in einem Haus, in dem das Land Niedersachsen 20 Prozent der Anteile hält – was dank des VW-Gesetztes für eine Sperrminorität ausreicht – sowie zwei Aufsichtsratsmitglieder stellt. Die IG Metall und die gewählten Arbeitnehmervertreter, die Volkswagen als Musterarbeitgeber erhalten wollen. Und letztlich all die Kunden, die mit ihrer Entscheidung pro Diesel nicht die Dummen sein möchten.
Doch was hat sich seit 2015 wirklich in Wolfsburg geändert? Was ist, jenseits der Seminarraum-Weisheit vom „Kulturwandel“, tatsächlich anders geworden? Und wie wird es mit dem Konzern und seinem Wandel ohne Müller weitergehen?
Auf ihre Statussymbole jedenfalls legen die Manager weiter Wert. Mit der „Düse“ – so heißen intern die firmeneigenen Flugzeuge – reisen sie wie ehedem um die Welt. Die Kosten für diese Touren kann VW mit seinen Milliardengewinnen leicht schultern, aber die Wirkung auf die Belegschaft ist verheerend. „Nichts hat sich geändert“, klagen sie in den Werkshallen.
Volkswagen hat die Rhetorik geändert, nicht aber die Motorik. Man verharrt im alten Modus. Und das liegt auch an Matthias Müller selbst, dem ernannten und selbst ernannten Heros des Wandels. Während der CEO die Belegschaft auf Einschnitte und Verzicht vorbereitet, die wegen der Milliardenausgaben für die Dieselaffäre nötig seien, lässt er sich auf dem Dresdener Opernball mit Champagnerglas in der Hand ablichten.
Als der Konzerntochter Audi Ende 2015 ebenfalls ein massenhafter Abgas-Betrug nachgewiesen werden kann, weilt er bei einem Autorennen in der Golfregion. Mitarbeiter klagen, dass sie in dieser wichtigen Phase ihren Chef nicht erreichen können.
Überhaupt, der Chef und das Bunte. Sehr zum Erstaunen des Personals steigt Müller zum Stammgast in den Promi-Spalten der Zeitungen und Zeitschriften auf. Zuerst zu sehen ist er mit Ex-Sportstar Barbara Rittner vom Tennisverband, den der Konzern sponsert, später taucht dann die Chefin der VW-Zuliefererfirma Coroplast als vertraute Begleiterin auf. Der Kulturwandel scheint für Müller auch ein ganz persönliches Erweckungserlebnis zu sein.
Konfrontiert mit medialer Kritik, poltert der VW-Chef regelmäßig los. Was den Reportern denn einfalle, über Derartiges zu berichten, klagte er. Schon zu Beginn seiner Amtszeit war Matthias Müller nicht bereit gewesen, die Rolle des reuigen Diesel-Sünders einzunehmen. Vor allem ließ er es an Konsequenz bei den angekündigten Aufräumarbeiten vermissen.
Worten müssen Taten folgen
Der VW-Chef verhielt sich so ganz anders als zum Beispiel Heinrich Hiesinger, der im Januar 2011 den skandalgeplagten Stahlkonzern Thyssen-Krupp übernommen hatte und freimütig die Fehler seiner Firma einräumte, also die Beteiligung von Mitarbeitern an Kartellen und Bestechungen. Hiesinger griff hart durch. „Wir müssen mehr Zeit und Mut haben, intensiv über Themen nachzudenken und Verbesserungen einzuleiten“, sagte Hiesinger.
Die obersten drei Führungsreihen unterhalb des Vorstands wurden fast komplett ausgetauscht. Deshalb gilt Thyssen-Krupp als jener Fall eines Kulturwandels, der zumindest nicht offensichtlich gescheitert, womöglich sogar gelungen ist.
VW-Lenker Müller jedoch ließ seinen Worten zu wenige Taten folgen. „Eine neue Kultur kann man nicht einfach so festlegen oder verordnen. Sie muss wachsen“, hatte er noch am 5. Oktober 2015 vor Tausenden VW-Arbeitern bekannt, alle müssten daran mitwirken: „Ich für meinen Teil stehe auf diesem Weg für ein paar klare Grundsätze: Ich erwarte und stehe für Offenheit und Ehrlichkeit.“
Doch persönliche Integrität an der Spitze ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für gelungenen Kulturwandel. In der Firmenstruktur und bei den Verantwortlichen änderte sich zu wenig – und wenn, dann oft nur, wenn die Presse wieder irgendwelche Unregelmäßigkeiten rund um „Dieselgate“ aufgedeckt hatte. Oder wenn mal wieder die Staatsanwälte zu Gast waren und Razzien auf dem Firmengelände veranstalteten.
Auch die Kommunikationsoffensive, mit der Matthias Müller seinen Kulturwandel flankiert hatte, kollabierte rasch. Als er im Januar 2016 am Rande einer Automesse in Detroit von einem US-Reporter zum Dieselskandal befragt wurde, entgegnete Müller: „Wir haben nicht gelogen“, Volkswagen habe lediglich die US-Gesetze „falsch interpretiert“. Diese Verharmlosung der zahllosen Gesetzesverstöße, die VW wenige Monate später offiziell einräumen musste, wäre an sich schon schlimm genug gewesen. Aber richtig zum Desaster wurde das Detroit-Zwischenspiel, als die Pressestelle von VW bat, das Radiogespräch neu aufzuzeichnen. Geglättet, geschönt, gefiltert.
Es sollte nur der erste in einer Reihe von PR-Fehltritten sein. Erstaunlich, wie Müller nach einem Dieselgipfel mit der Politik im August 2017 als Einziger aus der Wirtschaft vor TV-Kameras redete und dabei knarzig verfügte, man wolle sich lieber mit der Entwicklung neuer Modelle beschäftigen, als bei alten Motoren nachzubessern. So brüskierte er die vielen Millionen Autofahrer, die mit ihren Autos womöglich bald nicht mehr in die Fahrverbotszonen deutscher Großstädte reisen können.
Der Mann an der Spitze gab Interviews, die Freund und Feind verwirrten. Je nach Situation teilte er aus oder ein, schlug vor oder – argumentativ – zu. So überraschte er im „Handelsblatt“ mit dem Vorschlag, die Diesel-Subventionen doch besser durch eine Förderung der E-Mobilität zu ersetzen. Was wie ein Hohn auf die Hunderttausenden Kunden wirkte, die von Volkswagen mit angeblich umweltfreundlichen Schummeldieseln betrogen wurden und denen der Konzern bis heute jede Entschädigung verweigert.
Die publizistische Irrfahrt krönte der VW-Chef dann im März mit einem „Spiegel“-Interview. Angesprochen auf sein Jahresgehalt von zehn Millionen Euro fiel ihm zur Rechtfertigung ein, als Konzernchef stehe man „immer mit einem Fuß im Gefängnis“. Dabei lassen sich die Konzernchefs, die in der Bundesrepublik tatsächlich jemals eine Haftstrafe antreten mussten, bequem an den Fingern abzählen. Unschuldig Verurteilte befanden sich nach derzeitigem Kenntnisstand nicht darunter.
Im politischen Berlin, im eigenen Unternehmen, aber auch bei den Mehrheitseigentümern, der Porsche-Piëch-Familie, kamen die kommunikativen Eskapaden immer schlechter an. Häufigste Reaktion: Kopfschütteln. So beginnt Mitte 2017 die Zeit der wachsenden Entfremdung im Verhältnis zu seinen wichtigsten Förderern. Wolfgang Porsche („WoPo“), Sprecher eines Familienstamms und einer der wichtigsten Aufsichtsräte, rückt allmählich von jenem Mann ab, den er wenige Monate zuvor noch als „kompetenten Manager“ gelobt hatte.

Als „Nordkorea minus Arbeitslager“ beschrieb der „Spiegel“ die Firmenkultur.
Auch andere Mitglieder der Dynastie fremdeln mit dem einstigen Porsche-Chef. Ein Grund: Müller reagiert zunehmend ungehalten auf kritische Fragen aus dem Aufsichtsrat. „In den Sitzungen räkelt er sich auf seinem Stuhl und gibt nur widerwillig Antworten“, klagt ein Aufseher. „Der Job war möglicherweise ein paar Nummern zu groß für ihn“, sagt ein langjähriger VW-Manager.
Auch Müller, der jäh Aufgestiegene, fühlt sich zunehmend unwohl. Er weiß um seine Defizite. Komplizierte Fragen der Finanzen kann er nicht beurteilen. Auch fehlt ihm für einen solchen Riesenkonzern die Führungstechnik.
Also alles Müller – oder was? War der Konzernchef mit seinen Defiziten zum Hemmschuh jenes Kulturwandels geworden, den er doch eigentlich vorantreiben wollte?
So einfach ist es nun auch nicht. Leute aus Müllers Umfeld bemängeln die Arbeitsweise im Aufsichtsrat. Die Diskussionskultur sei teilweise mangelhaft, zudem würden manche Aufsichtsräte ihre Rolle missverstehen, sagt ein hochrangiger Manager. Das wird deutlich, als Müller einen Verkauf von Beteiligungen prüfen lässt, etwa am italienischen Motorradhersteller Ducati.
Clanführer Wolfgang Porsche spricht sich öffentlich gegen den Verkauf aus. Müllers Reaktion: Mit einem Umsatz von unter einer Milliarde Euro sei es doch vollkommen unerheblich, ob Ducati zu VW gehöre oder nicht.
Aber es geht halt auch um die Frage, wer das Sagen hat. Müller mit seinem Fachwissen? Oder die Großaktionäre der Erbengeneration, die nur eingeschränkt die Geschäfte überblicken?
Zum Verhängnis wird Müller schließlich, dass er auch das Vertrauen des zweiten Großaktionärs verliert. Stephan Weil stört sich immer stärker am Verhalten des CEO. Der SPD-Politiker sitzt als Ministerpräsident von Niedersachsen im Aufsichtsrat. Im Verlauf des Jahres 2017 reift bei ihm der Gedanke, VW brauche, wieder mal, einen Neuanfang mit neuem Personal. In vertraulichen Gesprächen mit Wolfgang Porsche, Hans Michel Piëch und Aufsichtsratschef Pötsch wirbt er für seine Agenda, heißt es in Konzernkreisen.
Zunächst stößt er noch auf Skepsis. Aber je öfter Müller in der Kommunikation patzt, desto offener werden die Leute vom Clan für den Vorschlag des Politikers. Die Müller-Initiative, statt Dieselautos künftig Elektroautos zu subventionieren, ist mit den Porsches und Piëchs nicht abgestimmt. Die Familien gehen auf Distanz.

Betriebsratschef Bernd Osterloh mit Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil und dem bisherigen VW-Chef Matthias Müller.
Es zeigt sich: Echter Kulturwandel muss noch oberhalb der Vorstandsetage beginnen, nämlich in den Tagungszimmern des Aufsichtsrats. Müller wurde zusehends intern von Pötsch bei Tagesfragen düpiert. „Er mischt sich in unsere Arbeit ein“, klagt ein Vorstand, der ungenannt bleiben will. Pötsch erwarb sich so intern den Namen „Schatten-CEO“. Der Österreicher, ein Vertrauter führte immer wieder Gespräche mit Investoren – eigentlich die Aufgabe seines Nachfolgers, des aktuellen Finanzvorstands.
Natürlich betrieb Pötsch die Ablösung Müllers auch im Geheimen. Von regelmäßigen vertrauensvollen Gesprächen mit dem CEO konnte keine Rede sein. Eine transparente Firmenkultur sieht anders aus.
In dem Maße, wie der unglückliche Herr Müller seine wichtigsten Stützen verliert, bekommt mit werbender Zähigkeit ein Mann Bühnenpräsenz, der schon lange von dem Wolfsburger Chefposten geträumt hat, und der mit entsprechend großen Erwartungen 2015 von BMW zu Volkswagen gestoßen war: Herbert Diess. Der Ingenieur ist ein Manager mit breitem Fachwissen und exzellenten Managementqualitäten, hat zunächst allerdings ein Problem mit dem Betriebsrat und dessen Chef Osterloh.
2015 und 2016 streiten sie über Einsparungen in den Werken. Kulturclash statt Kulturwandel. Im April 2016 soll Diess sogar in einem Brief an Osterloh seinen Rücktritt angeboten haben. Der Empfänger lehnt ab. Ja, er schließt dann sogar im vorigen Herbst, so berichten Eingeweihte, in aller Stille einen Burgfrieden mit dem Manager. Plötzlich wird Diess nicht mehr als Buhmann auf den Betriebsversammlungen dargestellt. Er ist nun einer, der die Kernmarke aus der Krise holt, der Kulturwandel mit Effizienz paart.
Um die Bande zu den Gewerkschaftlern zu stärken, trifft sich Diess fortan regelmäßig mit Osterloh und anderen Betriebsräten. Parallel geht der VW-Kronprinz mehr in die Öffentlichkeit. In Talkshows stellt er sich kritischen Fragen – und kann punkten. „Er hat dabei CEO-Qualitäten gezeigt“, sagt ein Manager. Müller wagt sich erst gar nicht mehr in solche Runden.
In dem veränderten Umfeld hilft es dem Vorstandschef auch nicht, dass er einige ökonomische Erfolge vorweisen kann. So hat die Dieselkrise bisher weit weniger als die befürchteten 60 Milliarden Euro gekostet; es fällt nur die Hälfte der Summe an. Die Bilanz 2017 fällt gut aus, und in die Elektromobilität wird drastisch mehr Geld investiert.
Auch intern hat Müller ganz neue Maßstäbe gesetzt. „In den Besprechungen mit ihm konnte jeder Mitarbeiter seine Meinung sagen“, berichten Manager aus dem Mittelbau. Fachkompetenz galt bei Müller tatsächlich mehr als die Hierarchie. Umgekehrt kam es vor, dass er einen Top-Manager aus dem Raum warf, weil der zu einem Thema wenig beitragen konnte. „Er wollte mit den Leuten reden, die an den Lösungen arbeiteten“, sagt einer, der dabei war.
Positiv kam in der Mannschaft an, dass Müller innovative Fachleute wie Johann Jungwirth um sich scharte, einem Digitalisierungsexperten, der für Apple gearbeitet hat. In der Wolfsburger Zentrale wurde das von vielen registriert, berichtet ein Top-Manager, „außerhalb Wolfsburgs nahm davon aber kaum einer mehr Notiz.“

Erst 2022 kommt der VW I.D. Buzz auf den Markt. Mit Elektroantrieb soll der Bus die Zukunft einläuten.
Resigniert musste Müller im September 2017 einräumen, dass der Kulturwandel kaum vorankomme: „Wenn ich eine Zahl nennen müsste, haben wir bislang vielleicht 30 Prozent des Wandels geschafft.“ Und: „Wenn ich den Vorstandsvorsitz abgebe, dann will ich bei 80 Prozent sein.“
Dazu wird es nicht kommen, und das ist manchem im Gesellschafterkreis schon zu jenem Zeitpunkt klar, als Müller sein 80-Prozent-Ziel nennt. Den beiden Familienstämmen graust es vor der anstehenden Hauptversammlung im Mai. Sie haben nicht vergessen, wie hart sie 2017 von Kleininvestoren und Fonds angegangen worden waren. All das trug dazu bei, dass Müller nun gehen muss und im Gegenzug seinen noch bis Februar 2020 laufenden Vertrag ausbezahlt bekommt, rund 20 Millionen Euro für zwei Jahre Kurzarbeit.
Alle Last liegt nun bei Herbert Diess. Er muss die missglückten Umstände seines Einstands vergessen machen, muss die Vorurteile im Müller-Lager überwinden, dem er eher für die Rückkehr zur alten Unkultur steht als für weiteren Wandel. Die richtige Rhetorik dafür hat er drauf: „Wir müssen schneller werden und vor allem schneller entscheiden“, ist eine von Lieblingsformulierung von Diess.
Dafür steht auch seine eigene Karriere. Bei BMW senkte er das Einkaufsvolumen um vier Milliarden Euro, bei der Marke Volkswagen steigerte er innerhalb von zwei Jahren die operative Rendite von etwas über Null auf mehr als vier Prozent. Nicht ausgeschlossen, dass es unter Herbert Diess wirklich etwas mit dem beschleunigten Kulturwandel wird.
Mitarbeiter erleben ihn als Selbst- und Sendungsbewussten, der seinen Leuten sagt, wie‘s gemacht werden soll. Mit Widerspruch und Kritik aber habe der neue Konzernchef manchmal so seine Schwierigkeiten, sagt ein anderer.
In Wolfsburg wird Neu-Chef Diess um einiges mächtiger sein als Vorgänger Müller. Die Trennung von Marken- und Konzernfunktion wird wieder aufgehoben. Der Mann, der von BMW kam, bleibt auch nach seiner Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden der Chef der Kernmarke Volkswagen.
Also alles so wie einst bei Ferdinand Piëch und Winterkorn, alles zusammen in einer Hand: Strategie im Konzern und Operatives bei der wichtigsten Marke Volkswagen. Diese Renaissance der Allmacht hatte nicht zuletzt Betriebsratschef Osterloh gefordert. Er verspricht sich davon mehr Einfluss im Konzern.
Diess kommt gut an
Außerhalb des Volkswagen-Konzerns und der Wolfsburger Welt kommt die Personalie Diess gut an. Die Finanzmärkte signalisieren steigende Kurse. „Volkswagen bekommt jetzt hoffentlich die Chance dazu, sich zu entflechten und zu entfalten“, sagt Arndt Ellinghorst, Automobilexperte beim Investmenthaus Evercore ISI. Es sei „faszinierend“, wie schnell jetzt Veränderungen im Konzern möglich würden. Kaum sei der Wechsel an der Konzernspitze bekannt geworden, gehe es auch mit dem Börsengang der Lastwagen- und Bus-Sparte voran.
Es herrscht Aufbruchstimmung. Investoren verstehen Kulturwandel freilich auch so, dass nach der Lkw-Sparte noch weitere Divisionen oder Geschäfte ausgegliedert werden könnten. Dann locken höhere Erträge und steigende Börsenkurse. Experte Ellinghorst: „Die Finanzgemeinde erwartet, dass dieser Turnaround-erfahrene Manager Diess aus Volkswagen ein effizienteres und zeitgemäßes Unternehmen macht.“
Mit dem Machertyp Diess, dem anders als Müller die Lust am öffentlichen Fabulieren abgesprochen wird, soll VW schneller reformiert werden, heißt es in Konzernkreisen. Dazu gehört eine Neuordnung der Markenstruktur. Bislang machen sich die einzelnen Marken noch zu häufig Konkurrenz, oft wird parallel an ähnlichen Modelle gearbeitet.
Die Marken VW, Seat und Skoda sollen nun in einer Gruppe gebündelt werden. Porsche, Bugatti und Lamborghini bilden eine Luxusgruppe und Audi wiederum bedient Premiumkunden. Mit Kulturwandel haben diese noch unter Müller ausgearbeiteten Restrukturierungsspielchen allerdings wenig zu tun.
Und schließlich hat im großen VW-Konzern auch Larry noch ein Wörtchen mitzureden, Larry Thompson, jener Rechtsexperte, der bei Volkswagen als „Monitor“ im Auftrag des US-Justizministeriums nach dem Rechten sieht. Er hat im Volkswagen-Werk ungehinderten Zugang zu allen Büros und Fabrikanlagen, um seine Aufgabe erfüllen zu können – nämlich ein zweites „Dieselgate“ zu verhindern. Volkswagen musste dem 2017 zustimmen, im Rahmen eines Agreements zur Regulierung von „Dieselgate“ in den USA.
„Bei Volkswagen gab es bei einigen Mitarbeitern eine verdorbene Unternehmenskultur. Sie war nicht von Ehrlichkeit und Offenheit geprägt“, sagt Thompson. Den für die Affäre verantwortlichen Mitarbeitern sei offensichtlich nicht klar gewesen, in welch bedrohliche Situation sie den Volkswagen-Konzern bringen würden. „Wir müssen nun dafür sorgen, dass alle von VW aufgelegten Programme für eine bessere Unternehmenskultur auch wirklich funktionieren.“
Nun sei viel Training und ein wirkliches Bekenntnis nötig, um eine neue Unternehmenskultur zu gestalten. „Compliance und Integrität müssen im Konzern dieselbe Bedeutung bekommen wie Fahrzeugentwicklung, Produktion oder Vertrieb“, konstatiert Thompson, 72. Der US-Monitor sieht vor allem den Vorstand in der Pflicht.
Alles sei eine Frage des Führungsstils. In einem ersten Zwischenbericht über die Lage bei Volkswagen an das Justizministerium soll sich Thompson nicht zufrieden gegeben haben mit dem, was bei Volkswagen bislang in Sachen Kulturwandel passiert ist.
Larry Thompson kann vielleicht verhindern, dass Volkswagen erneut lügt und betrügt. Doch das ist nicht mehr als eine Minimalkonfiguration. Die Mentalität, die zum Dieselskandal geführt hat, muss der Konzern selbst ablegen. Es liegt nun bei Diess, die Vorbehalte Lügen zu strafen, die ihm im VW-Management entgegenschlagen.
Er muss die neue Führungskultur bei Volkswagen vorantreiben und vor allem glaubhaft vorleben. Die Umstände, unter denen Diess an die Konzernspitze gelangte, bedeuten da eine schwere Hypothek. Die Ära, in der der Vorstand dem Vorstand ein Wolf ist, scheint in Wolfsburg noch immer nicht vorbei zu sein.
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Ja Kulturwandel - was wie eine schnöde Zauberformel klingt, kann auch nicht wirken. Der jahrzehntelange Tunnelblick im VW Konzern bezüglich aller Errungenschaften des Deutschen Otto-Verbrennungsmotors, kann nicht durch einzelne Vorkämpfer im Konzern, neu gelenkt werden. Müller hatte als Monteur und Informatiker zumindest einen jahrzehntelangen Überblick und weiss, wovon er beim Autobau spricht.
Nun - vielleicht muss durch das Köpfe rollen noch mehr Chaos in diesem Mega-Konzern entstehen, damit sich ein SYSTEMWANDEL anbahnt. Die revolutionäre Entdeckung der Nutzbarkeit von Neutrino- Energy, die seit Vergabe des Nobelpreises für Physik 2015 den offiziellen Startschuss gab, ist die Grundlage eines neuen Systems der ENERGIENUTZUNG in der mobile, dezentrale Haushaltsenergie (ein Powercube pro Haushalt 5kw) machbar wird und für die Elektromobilität ein erstes Fahrzeug PI, mit unendlicher Reichweite durch die Tag und Nacht strömende Neutrino-Energy angetrieben und damit die herkömmlichen Akkus und Batterien ablöst werden: http://motorzeitung.de/news.php?newsid=455551
Die Berliner Neutrino Energy Group und ihr Team an Wissenschaftlern wie ua. PROF.KONSTANTIN MEYL stehen für diesen revolutionären SYSTEMWANDEL. Auch der kürzlich verstorbene Prof.Hawking, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats, war überzeugt von dieser grossartigen Entdeckung. Es wird entscheidend für die erfolgreiche Umstrukturierung der deutschen Autoindustrie sich diesen Innovationen zu öffnen, um nicht an der Autokratie zu scheitern.
Ich kenne den Konzern nicht persönlich, fuhr aber brav einen Golf Diesel als Dienstwagen neun Jahre lang. Bekannte, die den Konzern besser kennen, würden jeden Satz im Artikel unterstreichen. Ich bin jetzt auf Bahn und Car Sharing umgestiegen. Ein ganz neues Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit. Und etwas mehr Geld habe ich auch in der Tasche. Besser auf jeden Fall angelegt als KUG für Ex Vorstände und Dividenden für aristokratische Autofamilien mitzufinanzieren.