Kooperation mit Valeo Siemens geht auf Distanz zum E-Auto

Unter der Haube des chinesischen Premiumherstellers Wey steckt ein Elektromotor von Siemens.
München, Paris Vielleicht sind Namen manchmal verräterisch. In den großen Gemeinschaftsunternehmen Bosch Siemens Hausgeräte und Nokia Siemens Networks ließ Siemens beim Doppelnamen dem Partner jeweils den Vortritt. Nach mal sehr erfolgreichen, mal eher desaströsen Jahren verkauften die Münchner in beiden Fällen ihre Hälfte an den Partnern und verabschiedeten sich aus dem Geschäft.
So könnte es auch auf dem Zukunftsfeld der Elektromotoren für Autos kommen, in das Siemens einst sehr große Hoffnungen gesetzt hatte. Ende 2016 brachte das Dax-Schwergewicht unter Führung von Joe Kaeser sein Geschäft in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem französischen Autozulieferer Valeo ein. „Unser gemeinsames Unternehmen wird ein echter globaler Führer auf dem wachsenden Markt für Elektromobilität sein“, hatte Siemens-Vorstand Klaus Helmrich zum Start im Dezember noch betont.
Was damals nicht gesagt wurde: Siemens hat sich nach Angaben aus französischen Industriekreisen eine Ausstiegsklausel gesichert. Nach Informationen des Handelsblatts ist vereinbart, dass Siemens ab Dezember 2021 eine Verkaufsoption hat und Valeo eine Kaufoption auf die Siemens-Anteile ausüben kann. Die Münchener können demnach über ihre Put-Option ihre Hälfte des Gemeinschaftsunternehmens dem Partner andienen.
Siemens und Valeo wollten das nicht kommentieren. „Valeo Siemens hat sich als starkes wettbewerbsfähiges Unternehmen entwickelt. Seit Beginn der Geschäftstätigkeit vor rund einem Jahr konnten signifikante Auftragseingänge verbucht werden“, hieß es bei Siemens lediglich.
Der Fall zeigt, dass die Ausgliederung von Aktivitäten in ein gemeinsames Unternehmen – wie es gerade auch im Zuggeschäft mit Alstom diskutiert wird – auch den späteren Ausstieg erleichtert. Bei den Motoren für Elektroautos sah Siemens laut Branchenexperten nicht so viele Synergien mit seinen Industrie-Elektromotoren wie erwartet – und damit ist es dann kein Kerngeschäft mehr.
Valeo Siemens eAutomotive entwickelt etwa Elektromotoren und Bordladegeräte für E-Autos. Ein echter Wachstumsmarkt, haben die Autohersteller aus aller Welt auf der Messe IAA doch gerade erst Dutzende neuer Elektromodelle für die kommenden Jahre angekündigt. Die Geschäfte sind gut angelaufen, ist zu hören. Das Joint Venture habe seit Dezember 2016 bereits Aufträge für mehr als drei Milliarden Euro eingeheimst. Valeo Siemens ist unter anderem bereits Motorenlieferant für chinesische Hersteller.
An dem Joint Venture sind Siemens und Valeo mit je 50 Prozent beteiligt. Das Unternehmen wird – vertraglich vereinbart – derzeit gemeinsam geführt. Chef ist der Franzose Louis Pourdieu (CEO), der Deutsche Peter Geilen ist als Finanzchef (CFO) der zweite Mann. Sitz des Unternehmens mit rund 1.000 Beschäftigten ist Erlangen. Valeo hat seine Aktivitäten für Hochspannungskomponenten und Antriebssysteme für Hybrid- sowie vollelektrische Autos eingebracht. Siemens Teil der Aussteuer sind Antriebseinheiten und Systeme für deren elektronische Steuerung.
Nach Angaben aus deutschen Industriekreisen war von Beginn an vereinbart, dass die Franzosen die Chance bekommen, die unternehmerische Führung zu übernehmen. „Es ist bedauerlich, dass sich Siemens aus so einem Zukunftsmarkt schleichend verabschiedet“, meint ein Insider. Der Markt für elektrische Antriebe, deren Steuerung und ergänzende Systeme wie Lader und Wechselrichter (die Gleichstrom in Wechselstrom umwandeln können) wird nach Expertenschätzungen in den kommenden Jahren um mindestens 20 Prozent per annum wachsen. In Industriekreisen wurde zwar betont, Optionen bedeuteten nicht automatisch, dass sie auch gezogen werden. Aber es deutet Stand heute vieles darauf hin, dass Siemens sich von dem Geschäft trennen könnte.
Siemens und die Elektromobilität, das ist eine lange Geschichte. Der Konzern entwickelte vor weit mehr als 100 Jahren bereits die „Elektrische Viktoria“, eines der ersten Elektroautos weltweit. 1905 fuhr es zwischen Pferdekutschen durch Berlin. Später konzentrierte sich Siemens eher auf Elektromotoren für die Industrie. Dort sind die Münchener sehr erfolgreich, das gilt auch für die Antriebe von Zügen.

Elektromotoren sind ein Wachstumsmarkt.
Doch als sich abzeichnete, dass das Elektroauto den Durchbruch schaffen könnte, nahmen die Münchener einen neuen Anlauf. „Das wird ein großes Geschäft für Siemens, da bin ich sicher“, verkündete Ex-Vorstand Siegfried Russwurm, als er 2011 eine Kooperation mit Volvo verkündete. Der Motorenbau sei „eine ureigenste Kernkompetenz“ von Siemens, schließlich bauten die Münchener schon seit Jahrzehnten Elektromotoren unter anderem für den ICE und für Industrieanwendungen. Später kündigte Siemens den Bau einer Motorenfabrik in China mit hohen Kapazitäten an.
Doch allein tat sich Siemens in der Autobranche schwer – den Zulieferer VDO hatte man einst an Conti verkauft. Und so schlossen die Münchener 2016 das Bündnis mit Valeo. Die Franzosen wollen Marktführer bei Elektromotoren werden. Sie brachten viel Erfahrung mit Hybridmotoren ein, Siemens die bei reinen Elektroantrieben. Branchenbeobachter spekulierten früh, dass es Ziel von Valeo ist, Siemens nach einigen Jahren herauszukaufen. Nur wenige ziehen in Zweifel, dass Valeo ein Interesse daran haben dürfte, sich das Gemeinschaftsunternehmen einzuverleiben, wenn es weiter erfolgreich sein sollte.
Starkes Standbein in Deutschland
Allerdings würde das nicht zwangsläufig bedeuten, dass Arbeitsplätze in Deutschland verloren gehen, im Gegenteil: Valeo arbeitet mittlerweile mehr für die deutsche als für die französische Industrie. Die Franzosen folgen der deutschen Autoindustrie an alle ihre Standorte weltweit, und sie nutzen die gute deutsche Forschungsinfrastruktur. Das Gemeinschaftsunternehmen mit Siemens hat Entwicklungszentren in Deutschland, Frankreich, Kanada und China. Seit Jahren expandiert Valeo mehr im Ausland als in Frankreich. Der Chef Jacques Aschenbroich folgt einer pragmatischen Logik: Entwickelt wird da, wo es die besten Rahmenbedingungen gibt, und produziert wird an den Standorten, die von den Kunden vorgegeben werden und die stärkste Dynamik bei der Nachfrage aufweisen.
Die Ausgliederung der Elektroauto-Aktivitäten bei Siemens passt in die Strategie von Joe Kaeser. Nachdem er 2013 die Führung übernommen hatte, betonte er auch die Stärken von Siemens als integriertem Industriekonzern. Er wollte zeigen, dass es Synergien zwischen den Geschäften geben kann.
Doch verpasste er Siemens zuletzt einen stärkeren Holdingcharakter. Er will einen Flottenverband mit vielen agilen Schiffen statt des schwerfälligen Tankers Siemens. Die einzelnen Einheiten bekommen mehr Selbstständigkeit, bleiben aber im Einflussbereich von Siemens. Die Windkraftaktivitäten wurden mit denen des Konkurrenten Gamesa zusammengelegt und so an die Börse gebracht. Der Start war unter anderem wegen Problemen auf dem indischen Markt schwierig. Doch gehen Beobachter davon aus, dass Siemens in der Windkraft noch länger aktiv sein will – der Name steht bei Siemens Gamesa ja auch vorn.
Auch die Medizintechnik-Sparte Healthineers soll im kommenden Jahr an die Börse. Bei beiden Geschäften behält Siemens die Kontrolle und mit Sicherheit die Mehrheit. Der Fall Valeo Siemens zeigt aber, dass solche Ausgliederungen immer auch einen späteren Abschied vereinfachen. Arbeitnehmervertreter sehen die Strategie daher kritisch. Sie setzen auf die Stärken eines integrierten Technologiekonzerns.
Noch ist es bei Valeo Siemens nicht so weit, offiziell führen die Konzerne ja gemeinsam. Sollte Valeo die unternehmerische Führung übernehmen, könnte dies den Einstieg in den Ausstieg bedeuten. Denn ein 50:50-Gemeinschaftsunternehmen, bei dem der Partner die Führung übernimmt, gilt vielen bei Siemens als problematisch. So war es einst bei Nokia Siemens Networks. Da mussten die Münchener die jahrelangen Verluste mittragen, hatten aber nur beschränkte Eingriffsmöglichkeiten, da die Führung bei den Finnen lag.
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