Krisenstimmung Der Corona-Schock: Wie das Virus die Weltwirtschaft infiziert

Das Coronavirus versetzt nicht nur Peking in Krisenstimmung.
- Geschlossene Läden, stockende Fließbänder: Die Furcht vor dem Coronavirus lähmt die Wirtschaft. China ergreift drakonische Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen.
- Gleichzeitig leiden lokale und internationale Firmen darunter. Die Produktion, insbesondere in der Autobranche, läuft schleppend.
- Wie berechtigt ist die Angst vor dem Coronavirus? Und wie kann man sich am besten vor dem Erreger schützen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
- IfW-Chef Gabriel Felbermayr schätzt die Risiken für die Wirtschaft im Interview mit dem Handelsblatt als enorm ein. Die jetzige Krise könne der Beginn einer weniger globalisierten Weltwirtschaft sein.
Auf dem Weg zur Arbeit muss Benjamin Scheidel auf der Autobahn anhalten. Männer in Schutzanzügen, mit Atemschutzmasken und Schutzbrillen halten ihm ein kleines, längliches Plastikgerät an seine Stirn, messen seine Temperatur. Wie er sich fühle, wird er gefragt. Und ob er jemanden kenne, der mit dem Coronavirus infiziert ist. Erst wenn das Thermometer unter 37,3 Grad anzeigt und er alle Fragen beantwortet hat, darf er weiterfahren.
Der nächste Stopp ist am Parkplatzeingang. Ein Sicherheitsbeamter hat einen Tisch vor dem Lufthansa-Gebäude aufgebaut. Wieder wird die Temperatur gemessen, der Name geprüft. Scheidel ist Leiter von Lufthansa Technik Shenzhen, seine fast 700 Mitarbeiter reparieren in der südchinesischen Stadt wichtige Flugzeugteile.
Auf das Betriebsgelände kommt nur, wer auf einer Liste steht, erstellt von der Lokalregierung. Hat jemand einen Coronavirus-Erkrankten im gleichen Wohngebäude oder im Bekanntenkreis, muss er zu Hause bleiben.
In den Büroräumen der Lufthansa geht es gespenstisch zu. Durch die Lautsprecher dröhnen Hinweise, sich die Hände zu waschen. Die Konferenzräume sind versiegelt, eine Vorsichtsmaßnahme von Scheidel. „Um die epidemische Situation unter Kontrolle zu bringen, ist dieser Meetingraum geschlossen“, steht dort auf Englisch und Chinesisch auf großen Aufklebern. Meetings finden virtuell statt. Kollegen, deren Büros nebeneinanderliegen, telefonieren miteinander.

Mit allen Mitteln gegen das Virus.
Die betriebseigene Küche ist geschlossen. Die Mitarbeiter bringen ihr Essen mit, gegessen wird in der Kantine – in Schichten, damit ein Mindestabstand eingehalten werden kann. Pappaufsteller sorgen zusätzlich dafür, dass kein Kontakt entsteht. Wenn die eine Gruppe raus ist, wird der Raum desinfiziert, bevor die nächste hineindarf. „Die Maßnahmen sind sehr strikt“, sagt der 40-jährige Deutsche.
Arbeiten in Zeiten der Seuche. Wie in dem Steve-Soderbergh-Film „Contagion“ ist ein neuartiges Virus ausgebrochen, das sich in rasender Geschwindigkeit ausbreitet, die Atemwege angreift – und bereits mehr als 2000 Menschen dahingerafft hat. Als ob es Soderbergh in dem Kinohit von vor neun Jahren geahnt hätte, kommt das als „Coronavirus“ bekannte Sars-CoV-2-Virus aus China, aus der Millionenstadt Wuhan in der Provinz Hubei.
Die gute Nachricht: Anders als das Sars-Virus 2003 ist das Coronavirus statistisch gesehen weniger tödlich. Bei den meisten Erkrankten zeigen sich nur milde Symptome. Die schlechte Nachricht: Selbst mit der niedrigeren Sterbequote sind immer noch Millionen Menschen weltweit bedroht.
Die Ausweitung außerhalb von China ist so gut wie sicher nicht mehr aufzuhalten. „Eine drohende Pandemie spricht Urängste im Menschen an“, warnt Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Berliner Charité.
Die Unsicherheit durch das Coronavirus wird anhalten. Markus Steilemann (Vorstandschef Covestro)
Die Furcht lähmt die Wirtschaft. China ergreift drakonische Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Straßen sind wie leer gefegt, Kinos oder Geschäfte geschlossen. Die Bekämpfung der Epidemie lässt den chinesischen Automarkt förmlich in sich zusammenbrechen, die Produktion läuft in allen Branchen aufgrund von Arbeitskräftemangel nur schleppend.
Vor allem kleine Firmen und Selbstständige leiden. Die Folgen seien schon jetzt „sehr, sehr ernst“, sagt Ding Yuan, Vizepräsident der in Schanghai ansässigen China Europe International Business School (Ceibs), im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Die Bedrohung trifft auf eine globale Ökonomie, die bereits durch den Handelsstreit zwischen China und den USA und den Austritt Großbritanniens aus der EU geschwächt ist. „Die Epidemie ist gegenwärtig die größte Bedrohung für die Weltwirtschaft“, sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft.
Das Thema steht überall ganz oben auf der Agenda. Am Wochenende beraten die G20-Finanzminister und -Notenbankchefs in Riad in Saudi-Arabien über das Thema. Kaum ein Land außerhalb Asiens ist so betroffen wie Deutschland.
Zum einen produzieren viele deutsche Firmen in China, Lieferketten sind bedroht; beispielsweise könnten Medikamente wie bestimmte Antibiotika in wenigen Monaten knapp werden. Zum anderen ist China ein großer Absatzmarkt für Autohersteller wie Volkswagen oder Kunststoffhersteller wie Covestro. Insgesamt stehen rund 200 Milliarden Euro Umsatz allein bei den börsennotierten deutschen Unternehmen auf dem Spiel.
So gehen Covestro die Fässer aus, mit denen das Unternehmen seine Kunststoffe verfrachtet. Geschätzte 60 Millionen Euro Gewinn wird der Dax-Konzern durch die Lieferprobleme in China allein im ersten Quartal einbüßen. Das Schlimmste daran: Ein Ende ist nicht abzusehen. „Die Unsicherheit durch das Coronavirus wird anhalten“, sagt Covestro-Vorstandschef Markus Steilemann.
Im Staatsfernsehen ließ Präsident Xi Jinping vor wenigen Tagen Optimismus vermelden: China werde 2020 trotz des Virus seine Ziele erreichen. Doch wie die in Zahlen aussehen, sagte er nicht. Analysten sind weniger optimistisch. So geht die Deutsche Bank von 5,8 Prozent Wachstum aus, Ökonom Felbermayr spricht von fünf Prozent im optimistischen Szenario.
Die Folge für Deutschland: Im ersten Quartal wird das Coronavirus die deutsche Wirtschaft in die roten Zahlen stoßen und um 0,2 Prozent schrumpfen lassen. Insgesamt gehen Deutschland 2020 laut der Deutschen Bank 0,3 Prozentpunkte an Wirtschaftswachstum verloren.
Die Wirtschaftsforscher von Oxford Economics gehen in ihrem „Baseline Scenario“ davon aus, dass das Virus sich zwar massiv ausbreitet, aber auf China beschränkt bleibt – und die Epidemie rasch eingedämmt werden kann. Bereits für diesen optimistischen Fall rechnet Oxford Economics damit, dass die Weltwirtschaft saisonal bereinigt im ersten Quartal 2020 schrumpfen wird – zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Finanzkrise.
„Die Märkte sind mit dem Coronavirus zu sorglos umgegangen“
Insgesamt rechnet das Institut in diesem Szenario mit einem Wachstum der Weltwirtschaft im Jahr 2020 von 2,3 Prozent. Auch das wäre der schwächste Wert seit 2009. Sollte sich Corona zu einer weltweiten Pandemie ausweiten, würde das die Euro-Zone und die USA im ersten Halbjahr 2020 in eine Rezession stürzen, allerdings laut Oxford Economics gefolgt von einer zügigen wirtschaftlichen Erholung im zweiten Halbjahr.
„Uns trifft das Coronavirus schwer“
Die Idee entstand beim gemeinsamen Bier: Ein Bekannter von Patrick Schmieder ist Tischler und brauchte eine Werkstatt. Warum dafür nicht einen Seecontainer nehmen? Aus der Idee entstand vor vier Jahren Mein Lagerraum3 in Dresden. Die Firma baut heute für Großkunden wie Siemens, ZTF und viele Start-ups jährlich Hunderte Seecontainer um – für industrielle Anwendungen wie Blockkraftheizwerke oder Rechenzentren zur Bitcoin-Herstellung. Spezialität des Hauses sind „Tiny Houses“, bewohnbare kleine Häuser mit Badezimmer. Kostenpunkt: bis zu 70.000 Euro.
Der Bedarf ist groß, das Geschäft ging seit der Gründung 2016 „steil nach oben“, erzählt Geschäftsführer Schmieder. Heute arbeiten 30 Schlosser, Tischler oder Angestellte für Mein Lagerraum3. Allerdings gibt es derzeit Probleme: Seit dem Ausbruch des Coronavirus stiegen die Preise für chinesische Seecontainer um 20 Prozent – Tendenz steigend. Andere Lieferanten etwa aus Osteuropa kommen laut dem Geschäftsführer nicht infrage, die Qualität des Stahls dort sei schlechter, die Preise doppelt so hoch.
Die kleine Firma steht für ein großes Problem. Der feinjustierte Mechanismus weltweiter Lieferketten kommt ins Stocken, die „Werkbank China“ arbeitet nicht wie gewohnt. Probleme gab es bereits bei Autoherstellern in Korea und Japan. Seit dem vergangenen Wochenende ruht auch die Produktion in einer Fiat-Fabrik in Serbien.
„Uns trifft das Coronavirus schwer“, sagt der Programmleiter eines deutschen Autozulieferers, „spätestens in zwei Wochen werden wir den ein oder anderen Meilenstein beim deutschen Hersteller nicht mehr halten können.“
Bei den Autokonzernen herrscht wegen der Lieferengpässe Alarmstimmung. „Bei uns in Wolfsburg gibt es jetzt einen Krisenstab, der sich täglich trifft“, berichtet ein VW-Manager. Noch gebe es keine Probleme, die Lagervorräte würden bis zu acht Wochen reichen. Doch genau weiß niemand, wie die Lage wirklich aussieht. „Wir können uns nicht jeden Unterlieferanten ansehen“, sagt die VW-Führungskraft.
Die Zulieferketten der Autohersteller seien mehrstufig aufgebaut. Am Ende dieser langen Kette könnten kleinere Zulieferer stehen, die kaum jemand kenne, die aber vielleicht ein einzelnes, sehr wichtiges Bauteil produzierten. „Und wenn es ganz schlecht läuft, sind in wenigen Wochen in einem unserer Werke alle Vorräte aufgebraucht.“ Auch bei den meisten anderen Autoherstellern gibt es jetzt vergleichbare Krisenstäbe für die Teileversorgung.
Unternehmen wie Volkswagen halten Ausschau nach alternativen Bezugsquellen. Doch nirgendwo in der Welt gibt es Zulieferer mit genug freien Produktionskapazitäten, um die Lücken in China kurzfristig schließen zu könnten. „Das Problem wird natürlich auch dadurch größer, dass sich jetzt jeder Autohersteller nach neuen Zulieferern umsieht“, heißt es in Wolfsburg.
Chinesische Zulieferer haben sich in der weltweiten Automobilfertigung vor allem als Produzenten von elektronischen Bauteilen etabliert. Dazu gehören Leiterplatten, die in vielen Steuergeräten eines Autos verwendet werden. Die Zulieferer spielen auch eine bedeutende Rolle bei Bildschirmen, die heute in jedem Navigationsgerät gebraucht werden.
Durch die Digitalisierung ist der Anteil elektronischer Bauteile in den Autos deutlich gestiegen. China hat sich zugleich wegen günstiger Löhne zu einer zentralen Drehscheibe für die Fertigung elektronischer Bauteile entwickelt. Besonders stark exportiert China laut einer neuen Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) Bremsen, Karosserien und Räder an europäische Autohersteller.
Nicht nur die deutschen Produzenten haben Probleme. „Unsere Fabrik in China steht“, sagte Jaguar-Land-Rover-Chef Ralf Speth in der vergangenen Woche auf einem Branchentreffen in Bochum. In China sei der Verkauf von Neuwagen beinahe zum Erliegen bekommen. „Wer interessiert sich denn jetzt für ein neues Auto?“, fragte er. Auch die Teileversorgung aus China für Europa ist bei Jaguar Land Rover ein Thema. Niemand könne heute sagen, wie lange die Zulieferkette noch halte, so Speth weiter.
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