Liebherr tüftelt an der Zukunft: Der selbstfahrende Muldenkipper kommt
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Liebherr tüftelt an der ZukunftDer selbstfahrende Muldenkipper kommt
Die Zeiten, da Baumaschinenhersteller wie Liebherr einfach nur ihre Krane und Bagger verkauften, sind längst vorbei. Der Konzern bietet Schulungen, arbeitet an Automatisierung und Vernetzung und tüftelt an selbstfahrenden Baggern, Seilen aus Kunstfaser und der Blackbox im Kran.
Stuttgart Kranbauer müssen überall auf der Welt schwindelfrei sein. Aber auf einer Baustelle ganz besonders: der Zugspitze. Ein gelber Liebherr-Kran markiert in 2975 Meter Höhe beim Bau der neuen Eibsee-Seilbahn Deutschlands höchste Baustelle – sogar noch ein paar Meter weiter oben als das Gipfelkreuz. Die Anforderungen sind extrem. Der Kran muss Temperaturen bis minus 25 Grad und Windgeschwindigkeiten von 280 Stundenkilometern aushalten.
„Wir freuen uns, dass Liebherr dieser spezielle Auftrag zugetraut wurde“, sagt Direktoriumsmitglied Stefan Heissler. Ein Fall fürs Prestige, besonders in diesem Jahr. Denn die spektakuläre Baustelle ist keine 100 Kilometer Luftlinie entfernt vom größten Branchentreff der Welt. In einer Woche beginnt die Baumaschinenmesse (Bauma) in München. Mit einer Ausstellungsfläche von 605.000 Quadratmetern – das entspricht 85 Fußballfeldern – ist sie flächenmäßig die größte Veranstaltung ihrer Art. Liebherr belegt als größter der 3.400 Aussteller eine Fläche von rund zwei Fußballfeldern. Ausgestellt werden unter anderem ein neuer achtachsiger Mobilkran, eine 70-Tonnen-Planierraupe, neu entwickelte 200-Tonnen-Bagger und das Mammut unter den Ausstellungsstücken: der Großmuldenkipper für den Bergbau. Der hat fast vier Meter Reifendurchmesser und eine Führerkabine auf rund sieben Meter Höhe.
Einer der größten Messestände der Welt
Liebherr Muldenbagger T264
Noch braucht es einen Fahrer. In Zukunft könnten Großmaschinen dieser Art allein fahren.
(Foto: Liebherr)
Fünf Monate hat der Aufbau des Messestandes gedauert, in dem 200 Lkw-Ladungen Material verbaut sind. Es ist einer der größten Messestände der Welt mit zwei dreigeschossigen weißen Büroriegeln, 14 Meter hoch, 14 Meter breit und je 100 Meter lang. Der Bau würde so mancher Firma als Zentrale zur Ehre gereichen. Liebherr baut ihn zum dritten Mal.
„Auf der Bauma als unserer Heimmesse müssen wir schon etwas bieten“, sagt Heissler. Mit über 60 Exponaten zeigt die Firmengruppe mit deutschen Wurzeln und rechtlichem Sitz in der Schweiz einen Ausschnitt ihres Produktprogramms bei Bau- und Bergbaumaschinen. Über die Kosten für die alle drei Jahre stattfindende Messe schweigt Heissler. Nach Branchenschätzungen dürften es mehrere Millionen Euro sein.
Die Kunden kommen aus aller Welt, um diese Technik-Monster unter die Lupe zu nehmen. Bei den Mobilkränen ist Liebherr mit fast 50 Prozent Marktanteil Weltmarktführer. Technologisch gilt die Gruppe mit ihren mittelständisch geführten Einzelgesellschaften bei Qualität und Zuverlässigkeit als das Nonplusultra in der Branche.
Mekka-Unfall ohne Prestigeschaden
Daran haben auch tragische Kran-Unfälle wie im vergangenen September in Mekka nichts geändert. Ein vom Liebherr-Werk Ehingen gefertigter Raupenkran war bei einem starken Sturm am 11. September auf die Große Moschee in Mekka gestürzt. Dabei kamen mehr als 111 Personen ums Leben und 331 weitere wurden verletzt. Böse Schlagzeilen für Liebherr. Aber die offiziellen Untersuchungen ergaben, dass das verantwortliche Bauunternehmen die Betriebsanleitung nicht befolgt hatte. Der Ausleger des außer Betrieb befindlichen Krans hätte bei dem starken Wind vorbeugend abgelegt werden müssen, um das Umkippen zu vermeiden.
Kranunfälle sind selten, haben dafür meist schwere Folgen. Liebherr hat seine großen Kräne deshalb mit einer „Blackbox“ ausgerüstet, die ähnlich wie bei Flugzeugen alle wichtigen Daten aufzeichnet. Der Kran misst beispielsweise Windgeschwindigkeiten, Traglasten und Betriebsart. „Im Prinzip kann man schon heute jeden Kran auf der Welt von fern überwachen“, sagt Heissler.
Vernetzung werde auch auf der Bauma ein großes Thema, erklärt Reinhold Festge, Präsident der Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Liebherr entwickelt beispielsweise gerade autonomes Fahren im Tagebau, bei dem die riesigen Muldenkipper ohne Fahrer auf ihren Strecken bewegt werden. Bis zur Einsatzreife wird es aber noch einige Jahre dauern.
Die Zeiten, da Baumaschinenfirmen nur ihre Krane und Bagger verkauften, sind ohnehin längst vorbei. Der Konzern bietet bei den komplizierten Kranen Schulungen an Simulatoren, vergleichbar mit der Ausbildung von Piloten in der Flugzeugindustrie.
Kundenberatung im Fokus
An Automatisierung, lückenloser Dokumentation, Vernetzung und Beratung arbeitet Liebherr intensiv. Vermehrt reisen Experten des Unternehmens an eine geplante Baustelle oder in ein Abbaugebiet und beraten den Kunden vor Ort, wie er welche Maschinen am effizientesten einsetzt. Durch intelligente Einsatzplanung und Vernetzung der Maschinen können Kapazitäten zukünftig noch besser ausgenutzt werden. Dass der Kunde deshalb eine Maschine weniger bestellen könnte, nimmt Heissler gern in Kauf. „Wichtiger ist, dass der Kunde zufrieden ist und wieder zu uns kommt“, sagt er. Es wäre viel schlimmer, wenn man dem Kunden eine Maschine zu viel verkaufen und ihn falsch beraten würde.
Liebherr Baumaschinen
Das 1949 in Kirchdorf bei Biberach von Hans Liebherr gegründete Unternehmen wird heute in zweiter Generation von seinen Kindern Willi und Isolde Liebherr im Präsidium des Verwaltungsrats gesteuert. Vier Mitglieder der dritten Generation arbeiten bereits im Unternehmen. Das operative Geschäft führt das mit einem Vorstand vergleichbare Direktorium aus familienfremden Managern.
1982 verlegte Hans Liebherr mit Gründung der familieneigenen Liebherr International AG den Konzernsitz in die Schweiz, um die Zahlung von Erbschaftsteuer in Deutschland zu vermeiden, die den Bestand des Konzerns gefährdet hätte.
Zusätzlich bietet Liebherr echte Innovationen auf der Messe. Eine der für die Branche spektakulärsten ist ein für Krane elementar wichtiger Bestandteil: das Seil. Zusammen mit dem österreichischen Seilhersteller Teufelberger Holding AG hat Liebherr ein hochfestes Faserseil entwickelt. Im Vergleich zu Stahlseilen ist es 80 Prozent leichter, deutlich langlebiger und ermöglicht neue Konstruktionen etwa bei Mobilkranen. Durch das reduzierte Gewicht des Seils können bei unverändertem Gesamtgewicht die Traglasten gesteigert werden. Zudem brauchen die Seile nicht mehr geschmiert zu werden. Seit September laufen Feldtests. In München zeigt Liebherr das Faserseil unter anderem an einem Raupenkran.
Liebherr zeichnet eine hohe Fertigungstiefe von teilweise über 60 Prozent aus, das zeigt auch das Komponentenprogramm der Firma. Im Vertrauen auf die eigene Expertise baut Liebherr den Großteil der Motoren und Steuerungstechnik selbst. Das erfordert hohe Investitionen, 2015 waren es 746 Millionen Euro. „Wir richten uns nicht nach Branchenkonjunkturen und investieren regelmäßig zwischen 700 und 900 Millionen Euro“, sagt Heissler.
Der Familienkonzern mit mehr als 130 Einzelgesellschaften auf allen Kontinenten und weltweit 42.000 Beschäftigten – davon 17.600 in Deutschland – kann sich seit Jahren auch gegen den viel größeren Konkurrenten Caterpillar aus den USA oder die japanischen Konzerne Komatsu und Hitachi sowie gegen Volvo mit einer vergleichsweise stabilen Entwicklung behaupten.
Umsatzplus in China
Insgesamt stiegen die weltweiten Erlöse 2015 um knapp fünf Prozent auf 9,2 Milliarden Euro an. Die abkühlende Konjunktur in China setzte dem Unternehmen, das seinen Hauptsitz im schweizerischen Bulle hat, nicht zu. Im vergangenen Jahr sei dort ein Umsatzplus verzeichnet worden. Auch bei den Baumaschinen. Rückläufig waren die Geschäfte des Mischkonzerns im Bereich maritime Krane oder den Gerätschaften für den Bergbau, die bei Liebherr unter der Bezeichnung Mining firmieren. „Die Talsohle dürfte aber durchschritten sein“, sagt Liebherr-Manager Heissler. Bergbaumaschinen zählen bei Liebherr zusammen mit den Baumaschinen zum größten Produktbereich, der insgesamt ein Umsatzplus von 6,4 Prozent auf 5,6 Milliarden Euro erzielte. Das sind knapp zwei Drittel des Gesamtumsatzes der Firmengruppe, die auch Hafenkrane, Kühlschränke, Flugzeugzubehör herstellt.
Unternehmer, Erfinder, Visionär
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In diesem Holzhaus begann 1949 in Kirchdorf die Unternehmensgeschichte von Liebherr. Auf 100 Quadratmetern lebt die Familie mit ihren fünf Kindern, während das Unternehmen wächst und 1951 schon 400 Beschäftigte zählt.
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Hans Liebherr wird am 1. April als Sohn des Müllers Wilhem Liebherr in Kaufbeuren geboren. Ein Jahr später fällt sein Vater im 1.Weltkrieg.
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Hans Liebherr übernimmt im Jahr 1938 nach der Meisterprüfung die Leitung des elterlichen Baugeschäfts. Schon während des Militärdienstes hat er eine erste Idee für einen Turmdrehkran. Nach 1945 beginnt in Deutschland der Bauboom der Nachkriegsjahre. Vieles ist damals Handarbeit. Es gibt nur wenige Baukräne. Stein und Mörtel müssen häufig über Treppen und Leitern geschleppt werden (Das Foto zeigt Hans Liebherr im Jahr 1953).
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Im Jahr 1949 entwickeltLiebherr einen mobilen Turmdrehkran. Schnell zu transportieren, einfach aufzubauen und relativ günstig sollte er sein. Liebherr meldet das Patent für „Fahrbarer Turmdrehkran“ an und gründet die Hans Liebherr Maschinenfabrik.
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Liebherr entwickelt im Jahr 1953 einen Hydraulikbagger, der mit 7,5 Tonnen Gewicht leichter und leistungsfähiger ist als alle Konkurrenzmodelle.
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Der Einstieg in das Kühlschrankgeschäft geschieht 1954 eher zufällig. Der Filialleiter seiner Hausbank, fragt, ob er nicht Interesse an einem in Konkurs gegangenen Unternehmen hätte. 90 Prozent aller Haushalte haben damals noch keinen eigenen Kühlschrank. Liebherr wittert ein gutes Geschäft. Das Werk kauft er nicht, sondern baut eine eigene moderne Fertigung auf.
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Im Jahr 1964 verleiht der Dekan der Technischen Hochschule Aachen, Prof. Dr. Weyres, Liebherr den „Doktor-Ingenieur Ehren halber“.
Liebherr schlug sich damit beachtlich. Denn die schwachen Rohstoffmärkte haben vor allem Weltmarktführer Caterpillar stark zugesetzt. Der Konzernumsatz der Amerikaner erodierte in den vergangenen drei Jahren von über 60 Milliarden auf nur noch 47 Milliarden Euro. Die Amerikaner schließen Werke, bauen derzeit 10.000 Beschäftigte ab und schreiben dennoch rote Zahlen. Der Verfall der Ölpreise hat nachhaltig negative Auswirkungen auf die Branche gehabt, weil dadurch viele Investitionen in neue Maschinen zurückgehalten wurden. In großen Märkten brach die Nachfrage weg, in Russland (minus 64 Prozent), China (minus 36 Prozent), in Lateinamerika (minus 35 Prozent). Der Weltmarkt schrumpfte um 20 Prozent.
Die deutschen Baumaschinenhersteller, die 70 Prozent ihrer Maschinen exportieren, schlugen sich noch recht wacker. Insgesamt profitierten sie vom schwachen Euro und konnten 2015 laut VDMA beim Umsatz um sieben Prozent auf neun Milliarden Euro zulegen.
Dass sich Liebherr im Konzert der Großen etablieren konnte, liegt auch an der eisernen Finanzdisziplin. „Die Gewinne bleiben im Unternehmen“, betont Heissler. Die Eigenkapitalquote liege bei über 50 Prozent, die freie Liquidität bei mehreren Hundert Millionen Euro. Den Gewinn nennt das Unternehmen traditionell erst im Juni. Im Jahr 2014 war der Konzerngewinn unter dem Strich um 48 Millionen Euro auf 316 Millionen Euro gesunken.
Die Konzernführung plant für dieses Jahr vorsichtig und rechnet mit einem „leichten“ Umsatzplus. Die deutsche Branche erwartet einen Anstieg um drei Prozent. Der Optimismus beruht auch auf der Bauma, denn die sorgt alle drei Jahre für besondere Nachfrageimpulse.