Markus Steilemann im Interview Covestro-Chef: „Wir dürfen das rohstoffverzehrende System nicht einfach wiederbeleben“

"Die Ankündigungen von Präsident Joe Biden geben dem Thema Nachhaltigkeit global eine neue Dimension."
Düsseldorf Für Markus Steilemann, den Chef des Kunststoffherstellers und Dax-Konzerns Covestro, ist die Coronakrise eine Zäsur. So wie es die Finanzkrise 2008 war – und doch ganz anders. Er beobachtet, dass die Menschen neu auf Wachstum, Wohlstand und Konsum blicken und Veränderungen wünschen. Das kann die Industrie aus seiner Sicht nicht ignorieren – und sollte es auch nicht.
Die Industrie müsse vielmehr die Chancen erkennen und ergreifen, die sich durch den grünen Wandel ergeben, sagt er im Interview mit dem Handelsblatt. Spätestens seit der neue US-Präsident Joe Biden angekündigt hat, über zwei Billionen Dollar für grüne Infrastruktur bereitzustellen, und die Chinesen ihre Klimaneutralität ab 2060 erklärten, ist für ihn klar: Die aktuelle Lage sei „eine perfekte Mischung, um den Umbau in eine klimaneutrale und kreislaufgetriebene Wirtschaft mit nachhaltigem Wachstum voranzubringen“.
Die deutsche Industrie, und gerade die Chemie, kann aus seiner Sicht Vorbild, Vorreiter und Ausrüster des Wandels sein, denn in den Kerntechnologien wie Wasserstoff oder Windkraft sei Deutschland führend. „Diese Chance dürfen wir uns nicht entgehen lassen“, sagt er.
In der deutschen Diskussion störe ihn, dass nur über das geredet wird, was man alles nicht mehr machen will. Statt weiterer Verbote fordert er Ziele und konkrete Pläne für das, was das Land beim Umbau zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit erreichen kann und will.
Steilemann, der auch Präsident des Industrieverbands Plastics Europe ist, verteidigt Kunststoffe gegen Kritik. Plastik dürfe seiner Meinung nach nicht entsorgt werden. Die Stoffe müssten mit neu entwickelten Technologien immer mehr in einen Kreislauf der Wiederverwendung gebracht werden.
Lesen Sie hier das komplette Interview mit Covestro-Chef Steilemann:
Herr Steilemann, angesichts erschreckender Bilder von Plastikmüll-Bergen in Abfalltonnen und an Stränden wächst die Kritik an Kunststoffen. Lässt Sie das kalt?
Überhaupt nicht, denn es gibt ein riesiges Abfall-Problem. Das betrifft aber nicht nur Plastik. Wir müssen unabhängig vom Material darüber reden, wie wir das lösen können. Kunststoff führt uns nur vor Augen, was wir grundsätzlich falsch machen: Abfall sollte nicht deponiert werden, in der Umwelt landen oder im Meer treiben. Sondern man muss ihn als Rohstoff sehen, der wiederverwertet und zurück in einen Kreislauf gebracht werden kann.
Das klingt gut, aber die Praxis zeigt doch, dass Recycling bei Kunststoffen schwierig ist – die Quoten sind noch immer niedrig.
Das mechanische Recycling ist bereits gut entwickelt, es wird bloß nicht konsequent genug angewendet. Wenn wir Verpackungen von Beginn an sortenrein herstellen, kann Kunststoff sehr gut wiederverwertet werden, wie man bei PET-Flaschen sieht. Bei Hochleistungskunststoffen etwa für Windräder kommt das mechanische Recycling allerdings an seine Grenzen. Aber hier machen Technologien zum chemischen Recycling große Fortschritte.
Bleiben wir bei Verpackungen: Ist Papier hier nicht einfach die bessere Alternative?
Der Verbraucher nimmt das so wahr, aber unterm Strich stimmt es nicht. Wenn wir Kunststoff durch Papier ersetzen, produzieren wir noch größere Abfallmengen. Für das Recycling von Papier werden gewaltige Mengen Wasser und Energie und auch chemische Prozesse benötigt, zudem ist der Zyklus der Wiederverwertung begrenzt. Die ehrliche Gesamtbilanz zeigt: Kunststoff ist sehr nachhaltig und wird zu Unrecht quasi zum Staatsfeind Nummer eins gemacht. Wir müssen nur endlich ein wirkungsvolles Abfallmanagement etablieren.
„Corona ist die Chance für einen nachhaltigen Umbau“
Plastik steht wie kein anderer Stoff für jahrzehntelange Ressourcenverschwendung, Wegwerfgesellschaft und Umweltverschmutzung. Können wir so weitermachen?
Nein, das können und dürfen wir nicht. 2008 haben wir nach der Finanzkrise den Fehler gemacht, das alte, rohstoffverzehrende Wirtschaftssystem einfach wiederzubeleben. Jetzt bietet uns Corona die einmalige Chance für den Umbau zu mehr Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft.
Warum sollte das jetzt besser gelingen?
Viele Menschen blicken in der aktuellen Krise neu und kritischer auf Wachstum, Wohlstand und Konsum und wünschen Veränderungen. Zahlreiche führende Wirtschaftsnationen bekennen sich heute umfassend zum Klimaschutz, die EU, Japan, China und nun auch wieder die USA. Es werden gigantische Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Das ist eine perfekte Mischung, um den Umbau in eine klimaneutrale und kreislaufgetriebene Wirtschaft mit nachhaltigem Wachstum voranzubringen. Es muss nur richtig gesteuert werden.
Welche Rolle sollte die deutsche Industrie dabei spielen?
Wir haben die riesige Chance, dank unserer starken Industrie und Forschung Treiber und Vorbild einer globalen grünen Transformation zu sein und die Märkte dafür zu schaffen. Bei Covestro entwickeln wir zum Beispiel ständig neue Möglichkeiten, um Öl als Rohstoff durch Kohlendioxid zu ersetzen. Elektromobilität, erneuerbare Energien wie die Windkraft, Wasserstoff – das sind alles Technologien, in denen Deutschland führend ist.
Ist die Vormachtstellung deutscher Firmen nicht längst in Gefahr durch die Ambitionen asiatischer und amerikanischer Firmen – siehe Tesla?
Wettbewerb ist wichtig, denn das hält den Druck zu Innovationen hoch. Natürlich müssen wir aufpassen, dass uns andere Länder nicht den Rang ablaufen. Die deutsche Industrie hat aber die besten Voraussetzungen, die Welt mit grüner Technologie auszurüsten, und die Chemie liefert dafür die Grundlagen. Das dürfen wir uns nicht entgehen lassen.
„Wir brauchen keine Verbote, sondern Ziele und Pläne“
Was erwarten Sie vom neuen Wirtschaftskurs des US-Präsidenten?
Die Ankündigungen von Präsident Joe Biden geben dem Thema Nachhaltigkeit global eine neue Dimension. Das Bekenntnis zum Klimaschutz rückt ganz nach oben auf die Agenda. Die USA wollen zwei Billionen Dollar für grüne Infrastruktur ausgeben und 2050 klimaneutral sein. Nehmen Sie jetzt noch China hinzu: Das Land schickt sich an, die führende Industrienation zu werden, und treibt seine Innovationen in grüne Technologien wie die E-Mobilität voran. Das sind riesige Märkte für deutsche Firmen.
Viele Länder setzen sich detaillierte Ziele für nachhaltiges Wirtschaften und Umweltschutz. Fehlt es daran in Deutschland?
Wir reden ständig nur über das, was wir nicht machen wollen. Beim Kohleausstieg etwa haben wir ein gutes Ergebnis gefunden, aber jetzt wird immer weiter darüber debattiert. Wir brauchen aber keine weiteren Verbote, sondern Ziele und Pläne, was wir wie erreichen können und wollen. Die Windkraft ist ein gutes Beispiel. Es ist jetzt schon klar, dass wir mit den aktuellen Ausbauplänen die bis 2030 gesetzten Ziele nicht erreichen werden.
Wie wichtig ist billiger grüner Strom für den Umbau der Chemieindustrie?
Der Zugang zu preiswerter Energie ist entscheidend, denn die Umstellung auf eine grüne Industrie bringt einen massiv höheren Stromverbrauch mit sich. Eine Modellrechnung zeigt: Wenn die gesamten Prozesse der deutschen Chemie 2050 elektrifiziert werden sollen, bräuchte die Branche so viel Strom wie aktuell ganz Deutschland. Die Politik muss dafür sorgen, dass erneuerbare Energien günstiger werden, und sie muss vor allem den Ausbau vorantreiben – sehr viel massiver als in den heutigen Konzeptpapieren vorgesehen.
Herr Steilemann, vielen Dank für das Interview.
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Genau so, sollten wir es machen!!
Sehr gut.