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Martin Brudermüller im Interview „Brauchen keine Verbote, sondern Innovationen“: BASF-Chef warnt vor Folgen der EU-Chemiepolitik

Die europäische Chemie fürchtet um ein Drittel ihres Geschäfts. BASF-Chef Brudermüller sucht nun einen Pakt zwischen Politik und Industrie.
02.12.2021 - 14:02 Uhr 2 Kommentare
Der BASF-Chef warnt vor der EU-Chemie-Politik. Quelle: dpa
Martin Brudermüller

Der BASF-Chef warnt vor der EU-Chemie-Politik.

(Foto: dpa)

Düsseldorf In der europäischen Chemieindustrie wächst der Unmut über die geplante neue Chemikalienstrategie der EU. Die Europäische Kommission will im Zuge des „Green Deals“ zahlreiche als gefährlich geltende Chemikalien und Kunststoffe neu bewerten und ihren Einsatz teilweise verbieten. Die Industrie fürchtet um Umsatz, Arbeitsplätze und um die Versorgung der gesamten Wirtschaft mit wichtigen Produkten wie Lacken, Schmier- und Klebstoffen.

Eine am Donnerstag veröffentlichte Studie mit Daten aus 100 europäischen Chemieunternehmen legt dazu erstmals Zahlen vor. Sollten die EU-Pläne nach aktuellem Stand umgesetzt werden, würden in den kommenden zwei Jahrzehnten 28 Prozent der gesamten europäischen Chemieaktivitäten von scharfer Regulierung und Verboten betroffen sein. Das wären rund 150 Milliarden Euro Marktvolumen gemessen am Umsatz der Branche von 2019.

Erstellt hat die Untersuchung die britische Beratungsgesellschaft Ricardo Energy & Environment im Auftrag des europäischen Chemieverbands Cefic. Dessen Präsident ist BASF-Chef Martin Brudermüller. Der Manager richtet im Interview mit dem Handelsblatt einen Appell an die europäische Politik: „Wir brauchen jetzt endlich einen verlässlichen Plan, der uns für die nächsten Jahre eine sichere Perspektive und die richtigen Weichenstellungen bringt“, sagt er. „Ohne die Chemie und ihre Innovationen wird die grüne Transformation der europäischen Wirtschaft nicht gelingen.“

Brudermüller betont, dass er kein Gegner des Green Deals ist: „Wir müssen dieses Megaprojekt zum Erfolg machen. Wenn wir es richtig anstellen, kann es eine echte Wachstumsstory für Europa werden.“

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Doch auf diesem Weg sieht er das Projekt noch längst nicht. Es würden zwar immer neue, ambitionierte Ziele aufgestellt – sei es im Klimaschutz oder bei Chemikalienverboten. Doch wie diese industriepolitisch sinnvoll erreicht werden sollen, sei vollkommen unklar, kritisiert er.

EU will schädliche Chemikalien aus Spielzeug und Textilien verbannen

Der BASF-Chef sucht in der Chemikalienpolitik nun einen Pakt zwischen der Kommission und der Industrie. Ziel der EU ist: Sie will schädliche Stoffe aus Produkten wie Spielzeug, Kosmetik, Waschmittel oder Textilien verbannen. Brüssel will sicherstellen, dass Chemikalien so produziert und genutzt werden, dass sie der Gesundheit der Verbraucher und der Umwelt nicht schaden.

Das sind Ziele, gegen die Brudermüller nichts einzuwenden hat. Wohl aber am aktuellen Stand der Umsetzung. Die würde einen gravierenden Einfluss auf die Branche haben und deren Wachstum erheblich bremsen.

Laut der Untersuchung von Ricardo Energy & Environment sind vor allem Chemieprodukte für Klebstoffe, Dichtungen, Kosmetika, Farben, Schmierstoffe und Reinigungsmittel gefährdet. Etwa zwölf Prozent des aktuellen Chemie-Portfolios könnten den Schätzungen zufolge aufgrund neuer Auflagen komplett aus der europäischen Chemieindustrie verbannt werden.

Das wiederum würde darauf hinauslaufen, dass die Branche zwischen 2023 und 2040 jährlich zwischen 47 und 81 Milliarden Euro an Umsatz und 40 bis 68 Milliarden Euro an Wertschöpfung verliert. Noch nicht eingerechnet sind darin die Einbußen durch ein mögliches Exportverbot für die betroffenen Chemikalien.

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Die Studie geht gleichzeitig davon aus, dass unter diesem Szenario mehr als 40.000 Arbeitsplätze – rund drei Prozent aller Stellen in der Branche – entfallen dürften.

Eine derartige Einschränkung der Verfügbarkeit von Chemikalien könnte weitere schwerwiegende Folgen haben. Die Chemie befürchtet einen „Welleneffekt“. Ihre Produktionsketten sind eng vernetzt. Ein abruptes Verbot einzelner Stoffe innerhalb dieser Kette würde die Belieferung der verarbeitenden Industrie mit wichtigen Produkten gefährden.

Chemie sieht die Ziele des Green Deals gefährdet

Letztlich, so argumentiert die Branche, wäre damit auch dem Green Deal nicht gedient. Denn breit angelegte Verbote würden die Herstellung zahlreicher Produkte verhindern oder erschweren, die für klimafreundliche Technologien wichtig sind: etwa Additive, Hochleistungskunststoffe oder Materialien für Batterie- und Wasserstofftechnologie. „Das ist absurd“, heißt es in einem gemeinsamen Positionspapier des deutschen Chemieverbands VCI und der Gewerkschaft IG BCE.

Einen Großkonzern wie BASF würden Verbote einzelner Chemikalien wohl nicht ins Wanken bringen. Doch die Chemie ist zum überwiegenden Teil mittelständisch geprägt. „Viele kleinere und mittlere Firmen in Europa wären in ihrer Existenz gefährdet, wenn die EU-Chemikalienstrategie falsch umgesetzt wird“, sagt Brudermüller.

Für diese Unternehmen ist die grüne Transformation ohnehin schon ein Kraftakt. Der Green Deal der EU hat für 2050 eine klimaneutrale Wirtschaft zum Ziel. Für die energieintensive Chemie heißt das: Sie muss massiv in neue Verfahren, Technologie und grünen Strom investieren. Zudem soll die Branche das Konzept der Kreislaufwirtschaft umsetzen, bei der Abfallstoffe nicht entsorgt oder verbrannt werden, sondern wiederverwendet werden. Das wäre ein kompletter Systemwechsel.

Breit angelegte Verbote würden die Herstellung zahlreicher Produkte verhindern oder erschweren, die für klimafreundliche Technologien wichtig sind. Quelle: BASF SE
Laborant bei BASF

Breit angelegte Verbote würden die Herstellung zahlreicher Produkte verhindern oder erschweren, die für klimafreundliche Technologien wichtig sind.

(Foto: BASF SE)

Nun kommt die neue Chemikalienregulierung noch hinzu. Umweltschützer unterstützen das Vorhaben. „Die EU-Chemikalienstrategie ist enorm wichtig, weil sie Leitlinien für den notwendigen Umbau der Chemie im Sinne von Klimaschutz und Artenvielfalt vorgibt“, sagt Manuel Fernández vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). „Wir müssen insgesamt weniger, weniger gefährliche und leicht recycelbare Stoffe produzieren und verbrauchen. Das Ziel ist eine schadstofffreie und funktionierende Kreislaufwirtschaft.“

Dem würde sich die Industrie grundsätzlich sicher anschließen. „Wir können aber nicht alles gleichzeitig schultern“, warnt Brudermüller. Er fordert einen Plan, der die Prioritäten bei der Transformation festlegt und an bewährten Ansätzen festhält.

Bewährt hat sich aus seiner Sicht etwa das seit 2007 geltende europaweite Reach-System für die Registrierung und Beschränkung von Chemikalien. Danach werden deren Risiken immer auch mit Blick auf den praktischen Einsatz bewertet. Die EU-Chemikalienstrategie sieht in der aktuellen Form hingegen vor, ganze Stoffgruppen allein wegen ihres grundsätzlichen Gefahrenpotenzials verbieten zu können.

Neue Bundesregierung hat Chemikalienpolitik im Visier

Die neue EU-Chemiepolitik könnte auch zu einem ersten Test für das Verhältnis der neuen Bundesregierung zu der Branche werden. Die Ampelkoalition hat dem Thema im Koalitionsvertrag sogar ein eigenes Kapitel gewidmet. Sie will „die Risiken des Einsatzes gesundheitsgefährdender Stoffe reduzieren“. Die Koalition stützt eine „Risikobewertung im Kontext der Anwendung“, wie es sich die Industrie wünscht, will aber das Reach-System weiterentwickeln.

Grünen-Politiker Sven Giegold, designierter Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck, hat das Thema fest im Visier. „Wir können bei der zentralen EU-Chemikalienstrategie keine weiteren Verzögerungen hinnehmen“, sagt er. „Saubere Chemikalien sind ein wichtiger Teil des Übergangs zu einer nachhaltigen Gesellschaft.“

Auch BASF-Chef Brudermüller würde „am liebsten schon im Januar damit beginnen, gemeinsam mit der EU-Kommission einen Transformationsplan für die Chemieindustrie zu erarbeiten“, wie er sagt. Industrie und Politik müsse klar werden, wie ihr Beitrag fürs Gelingen der Transformation in den kommenden zehn oder zwanzig Jahren genau aussehe.

„Mein Wunsch ist: Statt Verboten brauchen wir eine gemeinsame Innovationsstrategie“, sagt Brudermüller. „Wenn uns das in Europa besser gelingt als in Amerika oder China, wird sich für uns ein echter Wachstumsschub ergeben.“

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2 Kommentare zu "Martin Brudermüller im Interview: „Brauchen keine Verbote, sondern Innovationen“: BASF-Chef warnt vor Folgen der EU-Chemiepolitik"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Aufgrund der aktuellen politischen Lage traut sich doch derzeit kein Vorstandsmitglied die Wahrheit zu sagen,
    weder in Richtung Energiepolitik noch anderer gewünschter, grüner Ausrichtung.
    Warum nicht, weil die Wahrheit leider keiner hören möchte und man dann eher einem Shitstorm produziert, getrieben von EU, Umwelthilfe oder FFF. Also planen wir lieber eine Energiewende und EU-Verboten ohne die Unternehmer mit ins Boot zu holen, China gefällt das.

  • „Brauchen keine Verbote, sondern Innovationen“ - Das sollten wir uns nicht nur für die EU-Chemiepolitik vornehmen, sondern für die gesamte EU-Politik. Wir müssen das endlich verstehen.

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