Musterfeststellungsklage Vergleich steht: Das zahlt VW den betroffenen Dieselfahrern
VW zahlt geschädigten Dieselhaltern 830 Millionen Euro
Düsseldorf Der Durchbruch gelang vor dem Oberlandesgericht Braunschweig: Der Volkswagen-Konzern und der Verbraucherzentrale-Bundesverband (VZBV) haben einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen. Bei ihren Güteverhandlungen einigten sich beide Seiten auf eine „umfassende Vereinbarung“, wie das Gericht am Freitag mitteilte.
Rund 260.000 Dieselkunden aus der Musterklage sollen demnach je nach Modell und Alter ihres Autos Entschädigungen zwischen 1350 und 6257 Euro erhalten. Volkswagen und der VZBV hätten sich darauf geeinigt, dass im Schnitt rund 15 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises ausgezahlt werden, teilten die Verbraucherschützer am Freitag in Berlin mit.
VW-Chefjustiziar Manfred Döss betonte: „Wichtig war beiden Seiten, dass eine unabhängige Kontrolle der Umsetzung und eine transparente Abwicklung des Vergleichs erfolgt.“ Beides sei gewährleistet. „Zusätzlich unterstützt Volkswagen im Bedarfsfall und auf Wunsch auch eine anwaltliche Beratung.“
Es ist eine überraschende Kehrtwende. Erst vor wenigen Tagen ließ Volkswagen einen schon ausgehandelten Deal platzen. Begründung: Die Rechnung der Verbraucheranwälte mit pauschal 50 Millionen Euro sei zu undurchsichtig.
Als „inakzeptabel“ hatte Hiltrud Werner, VW-Vorständin für Integrität und Recht, die Forderungen bezeichnet. Ein Vorwurf, den der Verband und seine Anwälte strikt zurückwiesen. VZBV-Vorstand Klaus Müller sprach in einem Interview mit dem Handelsblatt gar von einem „zweiten Betrug“.
Dem wollte das Oberlandesgericht Braunschweig nicht zusehen. Das Gericht rief die Streitparteien zur Räson und ordnete neue Vergleichsgespräche an. Unter der Führung das OLG-Präsidenten Wolfgang Scheibel setzten sich die Vertreter von Volkswagen und VZBV erneut zusammen. Am Freitag gab es eine Fortsetzung – mit Erfolg.
Die Teilnehmer der Musterfeststellungsklage können nun doch schneller auf eine Entschädigung hoffen als zuletzt erwartet. Der Vergleich ermöglicht es ihnen, ihren Fall zu den vereinbarten Konditionen abzuschließen. Eine womöglich langjährige juristische Hängepartie bleibt ihnen dann erspart.
Große Bandbreite beim Schadensersatz
An den Eckdaten hat sich nichts geändert. Für die am Ende geschätzt 260.000 potenziell Berechtigten steht ein Topf von 830 Millionen Euro bereit. Der durchschnittlich zugrunde gelegte Kaufpreis liegt bei 21.350 Euro pro Fahrzeug, im Mittel zahlt VW darauf eine Entschädigung von 14,9 Prozent.
Ob der Gesamtbetrag am Ende ausreicht, hängt letztlich allerdings von der Anzahl der tatsächlich Betroffenen ab. Wer mit dem Vergleich nicht zufrieden ist, kann aussteigen und sein Glück mit einer Individualklage versuchen.
Offenbar gab es auch im Hinblick auf bis zuletzt umstrittene Fragen eine Einigung. Der Verbraucherverband hatte moniert, dass Volkswagen die Vergleiche selbst abwickeln wolle und keine Kontrolle zulasse. „Für den Einzelnen ist es aber komplett intransparent, ob Volkswagen die richtige Summe auszahlt“, sagte Müller nach dem Scheitern des ersten Anlaufs. Hier gab es nach den Gesprächen am Oberlandesgericht eine Lösung. Auch die Frage der Anwaltsvergütung scheint geklärt.
Die Musterfeststellungsklage werde nun beendet, teilten die Verbraucherschützer am Freitag mit. „Der VZBV hat für mehr gestritten. Aber im Rahmen der schwierigen Verhandlungen ist das Ergebnis das maximal Erreichbare“, sagte Vorstand Klaus Müller. Das Angebot von VW liege im Rahmen der bisher vor deutschen Gerichten in ähnlichen Prozessen erzielten Entschädigungssummen.
Kein Vergleichsangebot werden Dieselbesitzer bekommen, die ihr Auto nach dem 31. Dezember 2015 gekauft haben oder zum Zeitpunkt des Kaufs ihren Wohnsitz nicht in Deutschland hatten. „Wir finden zwar, dass auch diese Menschen Ansprüche haben“, sagte Müller. Die Grundlagen seien aber so individuell, dass sie im Rahmen einer Musterklage nicht geklärt werden könnten. Der Skandal um manipulierte Abgaswerte bei weltweit Millionen von Dieselautos aus dem VW-Konzern war Ende September 2015 öffentlich geworden.
Die Betroffenen müssten nun bis zum 20. April entscheiden, ob sie das Vergleichsangebot von VW annehmen wollten, so die Verbraucherschützer. Volkswagen habe auf diesem Termin bestanden, da sich der Bundesgerichtshof am 5. Mai erneut mit dem Dieselbetrug befassen will.
Namhafte Persönlichkeiten für die Ombudsstelle
Unter anderem werde es in Karlsruhe dann voraussichtlich darum gehen, ob Schadensersatzansprüche und eine Nutzungsentschädigung gerechtfertigt seien. Damit trügen sowohl VW als auch die Dieselfahrer ein gewisses Risiko. „Wer weniger Risiko eingehen möchte, kann den Vergleich annehmen“, sagte Müller.
Der Vergleich sieht vor, dass Volkswagen Kosten für individuelle Anwaltsberatung in Höhe von bis zu 190 Euro übernimmt. Wer sich dann entscheidet, das Angebot nicht anzunehmen, kann immer noch aussteigen und bis Oktober 2020 Einzelklage erheben.
Außerdem haben sich VW und VZBV darauf geeinigt, dass unabhängige Wirtschaftsprüfer stichprobenartig die Abwicklung des Vergleichs prüfen. Für mögliche Streitfragen oder Beschwerden bei der Abwicklung des Vergleiches wird eine Ombudsstelle eingerichtet, die von drei namhaften Persönlichkeiten geleitet werden soll.
Nach Handelsblatt-Informationen sind dafür die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, der ehemalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, sowie Günter Hirsch, Ex-Präsident des Bundesgerichtshofes, im Gespräch.
Mit Agenturmaterial
Hier finden Sie die Übersicht über alle betroffenen Modelle und die Höhe der Vergleichssumme
Modelle / Modelljahr | 2008 | 2009 | 2010 | 2011 | 2012 | 2013 | 2014 | 2015 | 2016 |
Polo, Fabia, Roomster, Ibiza, A1, Praktik | 1.350 | 1.561 | 1.772 | 1.983 | 2.194 | 2.405 | 2.616 | 2.827 | 3.038 |
Altea, Golf Plus, Leon, Toledo | 1.566 | 1.811 | 2.055 | 2.300 | 2.545 | 2.789 | 3.034 | 3.279 | 3.524 |
Exeo, Golf, Octavia, A3, Golf Variant, Caddy, Yeti, Beetle, Jetta, Scirocco, Rapid | 1.769 | 2.045 | 2.321 | 2.597 | 2.874 | 3.150 | 3.426 | 3.703 | 3.979 |
Q3, Touran, Tiguan, Amarok | 1.971 | 2.279 | 2.587 | 2.895 | 3.203 | 3.511 | 3.819 | 4.127 | 4.435 |
Passat, Passat Variant, Alhambra, Superb, CC, Eos, TT Coupé, Passat CC | 2.174 | 2.513 | 2.853 | 3.192 | 3.532 | 3.872 | 4.211 | 4.551 | 4.890 |
A4, Sharan, A5 | 2.376 | 2.747 | 3.119 | 3.490 | 3.861 | 4.232 | 4.604 | 4.975 | 5.346 |
Q5 | 2.579 | 2.981 | 3.384 | 3.787 | 4.190 | 4.593 | 4.996 | 5.399 | 5.802 |
A6 | 2.781 | 3.21€ | 3.650 | 4.085 | 4.519 | 4.954 | 5.388 | 5.823 | 6.257 |
Quelle: VW, Angaben in Euro
Mehr: Chef des Bundesamts für Justiz – „Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Fall wie VW wiederkommt“
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