Neuzulassungen von Medikamenten Schub aus dem Labor

Unter den Erstzulassungen des Jahres 2015 befinden sich mindestens zehn Wirkstoffe, denen Analysten einen Umsatz von jeweils mehr als einer Milliarde Dollar im Jahr zutrauen.
Frankfurt In vielen Branchen trüben Sorgen wegen schwacher Konjunktur den Start ins neue Jahr. Im Pharma- und Biotechsektor ist davon nicht einmal ein Hauch zu spüren. Wenn sich die Branche in der kommenden Woche zur renommierten Healthcare-Konferenz von JP Morgan in San Francisco versammelt, dürften vielmehr Begeisterung und Zuversicht die Stimmung prägen. Und das liegt nicht nur an der generellen Konjunkturresistenz des Gesundheitsgeschäfts. Die weltweite Pharmaindustrie mit etwa 800 Milliarden Dollar Jahresumsatz kann sich derzeit auch in einem ausgeprägten Innovationsboom sonnen.
Jüngstes Signal dafür sind die Zulassungszahlen der US-Arzneimittelbehörde FDA: Sie genehmigte 2015 insgesamt 45 neue Wirkstoffe, vier mehr als im bereits starken Vorjahr und so viele wie seit Mitte der 90er-Jahre nicht mehr. Bezieht man Impfstoffe mit ein, kann sich die Branche über mehr als vier Dutzend Neueinführungen auf dem wichtigen US-Markt freuen.
In Deutschland ist die Zahl der Neuzulassungen nach Daten des Branchenverbandes VFA zwar von 49 auf 36 zurückgegangen, liegt aber weiter deutlich über dem langjährigen Durchschnitt.
Die Zulassungszahlen sind ein wichtiger Indikator für die Fähigkeit der Unternehmen, ihre Produktsortimente immer wieder zu erneuern und damit ihr Geschäft zu erweitern. Denn letztlich können die Pharmafirmen nur mit neuen, patentgeschätzten Medikamenten steigende Erlöse und hohe Margen erzielen. Die starken Zahlen von 2015 sprechen dafür, dass sich die Effizienz in der Produktentwicklung gegenüber dem letzten Jahrzehnt nachhaltig verbessert hat.
Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind zuletzt nur noch leicht gestiegen. Hingegen hat sich die Zahl neuer Wirkstoffe in den letzten zehn Jahren in etwa verdoppelt. Marktforscher wie IMS Health gehen daher davon aus, dass sich das Wachstum des Pharmasektors dank der vielen neuen Produkte auf etwa sieben Prozent pro Jahr beschleunigen könnte.
Über die meisten Neuzulassungen konnten sich 2015 Branchenführer Novartis (4) und der US-Biotechkonzern Amgen (3) freuen. Roche, Johnson & Johnson sowie Bristol-Myers erhielten für jeweils zwei Neuentwicklungen die Freigabe.
Die deutsche Pharmaindustrie ist 2015 nur mit einem einzigen Produkt in der Liste vertreten – dem von Boehringer entwickelten Wirkstoff Praxbind. Er kann als Gegenmittel eingesetzt werden, wenn es unter dem Gerinnungshemmer Pradaxa (ebenfalls von Boehringer) zu gefährlichen Blutungen kommt. Die Performance könnte in den nächsten Jahren wieder besser aussehen. Denn Boehringer, Bayer und Merck arbeiten an Produktkandidaten, für die 2016 abschließende Resultate erwartet werden.
Das kommerzielle Potenzial der Neuentwicklungen des letzten Jahres dürfte insgesamt zwar nicht an das der Innovationen von 2014 heranreichen, zu denen unter anderem das sehr umsatzstarke Hepatitismittel Harvoni von Gilead gehört. Immerhin befinden sich unter den Erstzulassungen des Jahres 2015 nach Daten von Bloomberg aber mindestens zehn Wirkstoffe, denen Analysten einen Umsatz von jeweils mehr als einer Milliarde Dollar im Jahr zutrauen. Dazu gehört das neue Brustkrebsmittel Ibrance von Pfizer, das Herzmittel Entresto von Novartis, die Cholesterinsenker Repatha und Praluent von Amgen und Sanofi sowie das gegen die Erbkrankheit Zystische Fibrose wirksame Medikament Orkambi, das vom US-Biotechunternehmen Vertex entwickelt wurde.
Der positive Trend dürfte nach Einschätzung von Experten zudem anhalten. IMS Health etwa erwartet bis 2020 mindestens 225 weitere Neuzulassungen für die Industrie, was einem Schnitt von weiterhin mehr als 40 neuen Medikamenten pro Jahr entsprechen würde. Die britische Analysefirma Evaluate Pharma geht davon aus, dass ähnlich wie 2015 auch 2016 wieder rund ein Dutzend neue Arzneien mit einem Umsatzpotenzial von mehr als einer Milliarde Dollar pro Jahr die Erstzulassung erhalten wird. „Wer nach Zeichen sucht, dass der Biopharma-Sektor an Schwung verliert, wird 2016 wenig Signale finden. Die Produktivität in Forschung und Entwicklung bleibt hoch“, schreiben die Analysten Lisa Urquhart und Jonathan Gardner.