Onkologie Bayer, Boehringer, Merck: Wie deutsche Pharmafirmen im Krebsmittelgeschäft aufholen wollen

Bessere Perspektiven in der Onkologie vermitteln deutsche Biotechunternehmen.
Frankfurt Deutsche Pharmahersteller spielen im globalen Handel mit Krebsmitteln nur eine untergeordnete Rolle. Deshalb haben sie in den vergangenen Monaten versucht, ihre schwache Position zu verbessern.
Das jüngste Signal dafür ist die Übernahme der kleinen US-Biotechfirmen Noria Therapeutics und PSMA Therapeutics, die Bayer in der vergangenen Woche vereinbart hat. Der Chemie- und Pharmakonzern verstärkt sich damit im Bereich der sogenannten Radiotherapeutika. Dabei geht es um Wirkstoffe, die mit radioaktiven Molekülen im Gepäck an Tumorzellen andocken und diese so zerstören – ein Feld, auf dem Bayer bereits mit seinem Krebsmittel Xofigo vertreten ist.
Einen Tag vor der Bayer-Übernahme gab die Münchener Morphosys AG bekannt, das US-Biotechunternehmen Constellation Pharmaceuticals übernehmen zu wollen, das mehrere Blutkrebsmittel entwickelt. Merck erwarb vor wenigen Wochen die Rechte an einem Krebswirkstoff der Schweizer Debiopharm; Boehringer Ingelheim verstärkte sich Ende des vergangenen Jahres, als das Unternehmen die Schweizer Biotechfirma NBE kaufte.
Die Aufholjagd in der Krebsforschung ist für die deutschen Pharmahersteller dringend geboten. Denn trotz einiger Zulassungserfolge liegen sie in den vergangenen Jahren weit hinter der Konkurrenz. Die Schweizer Pharmariesen Roche und Novartis und auch US-Konzerne wie Merck & Co., Pfizer, BMS und Johnson & Johnson haben die Fortschritte in der Grundlagenforschung in den vergangenen beiden Jahrzehnten genutzt, um neue, milliardenschwere Geschäftssegmente mit Krebsmitteln aufzubauen.
Bayer, Merck und Boehringer sind operativ zurückgefallen
Die deutschen Pharmaunternehmen haben es verpasst, stärker an dem mehr als 160 Milliarden Dollar großen Krebsmittelgeschäft zu partizipieren. Ihre Produkte spielen nur eine Nischenrolle. In den vergangenen Jahren sind Bayer, Merck, Boehringer und Co. operativ sogar weiter zurückgefallen. Der Anteil der drei führenden deutschen Pharmahersteller am globalen Onkologiemarkt ist seit 2015 von circa drei auf schätzungsweise noch etwa zwei Prozent geschrumpft.
Die marginalisierte Rolle der deutschen Arzneimittelunternehmen im Krebsmittelgeschäft reflektiert letztlich die Schwäche der deutschen Krebsforschung. Es gelang ihr nicht, die wissenschaftlichen Fortschritte ab Ende der 90er-Jahre für die eigene Produktentwicklung zu nutzen.
Nahezu alle bahnbrechenden neuen Therapieklassen wurden primär von US-Pharma- und -Biotechfirmen oder den beiden Schweizer Pharmariesen entwickelt. Dazu gehören etwa die sogenannten zielgerichteten Krebswirkstoffe, die an bestimmten Wachstumsfaktoren von Tumorzellen angreifen, oder die neuen Immuntherapien, die seit 2015 die Krebstherapie erobert haben. Auch bei den neuartigen Zell- und Gentherapien, die in der Therapie einiger Blutkrebsarten (Leukämie) für Furore sorgten, liegt die deutsche Pharmaindustrie weit zurück.
Immerhin stellen die aktuellen Forschungsstrategien in Aussicht, dass sich die Performance des deutschen Pharmasektors in der Onkologie in den kommenden Jahren etwas verbessern könnte. Bei den etablierten Pharmaherstellern schlummert eine Reihe interessanter Produktkandidaten. Dazu gehören ein Wirkstoff von Boehringer gegen das häufige und gefährliche Krebsgen KRAS oder auch der Krebsimmunwirkstoff Bintrafusp von Merck, der zwar bisher in zwei klinischen Studien enttäuschte, darüber hinaus aber noch bei einer ganzen Reihe weiterer Krebsarten getestet wird.
Biontech, Curevac, Immatics und Medigene – deutsche Hoffnungsträger
Bessere Perspektiven in der Onkologie vermitteln auch deutsche Biotechunternehmen: Die Münchener Morphosys AG hat 2020 für ihr Blutkrebsmedikament Monjuvi eine Zulassung der US-Behörde für Arzneimittel (FDA) erhalten. Es ist das erste zugelassene Krebsmedikament aus der deutschen Biotechforschung überhaupt. Weitere Kandidaten befinden sich bei Morphosys in klinischen Tests. Mit der geplanten Übernahme von Constellation Pharmaceuticals wird das Unternehmen weiter aufholen können.
Zu den großen Hoffnungsträgern im Krebsmittelgeschäft zählt auch Biontech. Das Mainzer Unternehmen ist aktuell zwar mit dem mRNA-Impfstoff gegen Covid-19 erfolgreich, primär aber als Krebsforschungsfirma gestartet. Rund ein Dutzend Produktkandidaten wurden dort in klinischen Tests untersucht, darunter individuell zugeschnittene mRNA-Vakzine gegen bestimmte Krebsarten und auch Zelltherapien. Wie erfolgreich die Projekte sein können, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.
Auch weitere Biotechfirmen arbeiten an neuen Ansätzen: So forscht Curevac derzeit ebenfalls an einem mRNA-Impfstoff gegen Corona. Und die an der Nasdaq gelistete Immatics und auch Medigene arbeiten an neuartigen Zelltherapien gegen Krebs. Ihre Projekte befinden sich jedoch in einem relativ frühen klinischen Entwicklungsstadium.
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