Pharmaunternehmen Boehringer steigert Forschungsausgaben auf Rekordniveau – und will noch stärker in Forschung investieren

2020 profitierte das Pharma-Unternehmen vor allem von starken Geschäften mit seinem Diabetesmittel Jardiance und dem Lungenmedikament Ofev.
Frankfurt Trotz Gegenwind durch die Coronakrise hat der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim das Geschäftsjahr 2020 in fast jeder Hinsicht mit neuen Spitzenwerten abgeschlossen. Das Familienunternehmen will seine üppigen Finanzressourcen nun nutzen, um die Pharmaforschung weiter deutlich auszubauen.
Mit Ausgaben von 3,7 Milliarden Euro leistet sich Boehringer schon bisher das größte Forschungsbudget der deutschen Pharmaindustrie, vor Bayer und Merck. Für 2021 gehe man von einer weiteren deutlichen Steigerung der F&E-Investitionen aus, kündigte Firmenchef Hubertus von Baumbach an. Schwerpunkte sieht er dabei im Bereich der Krebsforschung und im Bereich der Digitalisierung der Forschung.
Allein in diesen beiden Bereichen hat der Konzern nach Aussage des Firmenchefs seine bis 2030 geplanten F&E-Ausgaben um eine Milliarde Euro aufgestockt, zusätzlich zum bisher geplanten Forschungsbudget von 24 Milliarden für die nächsten fünf Jahre. Alles in allem läuft das darauf hinaus, dass die Forschungsausgaben auf durchschnittlich fast fünf Milliarden Euro pro Jahr wachsen sollen. Im Digitalbereich arbeitet Boehringer dabei unter anderem mit dem US-Konzern Alphabet (Google) in der Entwicklung eines Quantencomputers für das Moleküldesign zusammen.
Auch in der Entwicklung von Medikamenten gegen Covid-19 will Boehringer dabei weitere Projekte vorantreiben, obwohl Infektionskrankheiten bisher nicht zu den Forschungsschwerpunkten des Konzerns gehören und zuletzt ein Wirkstoffkandidat gegen Covid in klinischen Tests scheiterte. Hoffnungen richten sich nun vor allem auf einen Antikörper, den Boehringer in Kooperation mit der Universität Köln entwickelt. Er befindet sich aktuell noch in der Phase 1 der klinischen Tests, soll bald jedoch in einer größeren Studie geprüft werden.
Anders als die bisher bereits eingesetzten Antikörperwirkstoffe der US-Firmen Eli Lilly und Regeneron, die als Infusion verabreicht werden, kann das Mittel von Boehringer in relativ niedriger Dosierung als Spray eingesetzt werden. Es könnte damit eine neue Option für die Behandlung und Prophylaxe von Covid-Erkrankungen bieten. Wenn alles gut laufe, hoffe man Ende des Jahres eine Notfallzulassung beantragen zu können, sagte von Baumbach. Ein anderer Wirkstoff, von dem Boehringer hoffte, er könne gegen die akute Atemnot bei schweren Covid-Erkrankungen wirken, hat dagegen in klinischen Tests enttäuscht.
Schwerpunkt der Boehringer-Forschung bleiben ungeachtet der Pandemie weiterhin die Bereiche Krebs, Immunologie und neurologische Erkrankungen. Vor allem in der Onkologie hat der Konzern in den letzten Jahren sein Engagement kontinuierlich verstärkt, zuletzt auch durch die Übernahme des Schweizer Biotech-Unternehmens NBE Therapeutics, an dem man über den firmeneigenen Venture-Fonds zuvor bereits beteiligt war.
Gewinn nach Steuern erstmals über drei Milliarden Euro
Operativ bewegt sich der zweitgrößte Pharmahersteller Deutschlands dabei auf einem ausgesprochen soliden und ertragsstarken Kurs. Im vergangenen Jahr konnte das Unternehmen den Konzernumsatz um drei Prozent auf 19,6 Milliarden Euro und den Betriebsgewinn um ein Fünftel auf 4,6 Milliarden Euro steigern. Währungsbereinigt stieg der Umsatz nach Angaben des Unternehmens um 5,6 Prozent.
Rund drei Viertel der Erlöse entfallen dabei auf das Geschäft mit Human-Arzneimitteln, das währungsbereinigt um 5,8 Prozent auf 14,4 Milliarden Euro zulegte. Weitere 4,1 Milliarden Euro Umsatz (währungsbereinigt plus fünf Prozent) erzielt der Konzern mit Tierarzneien und 837 Millionen Euro (plus 6,6 Prozent) in der biotechnischen Auftragsfertigung für andere Pharmafirmen.
Der Gewinn nach Steuern legte um 12,5 Prozent auf 3,06 Milliarden Euro zu und übertraf damit erstmals in der Geschichte des Familienunternehmens die Marke von drei Milliarden Euro. Boehringer hat damit in jeder Hinsicht besser verdient als die beiden börsennotierten Konkurrenten Bayer und Merck.
Die starke Performance spiegelt sich zudem in einem hohen operativen Cashflow wider, der mit knapp vier Milliarden Euro ebenfalls ein neues Rekordniveau erreichte. Nach Sachinvestitionen verblieb ein Free Cashflow von 2,8 Milliarden Euro, auch dies ein neuer Spitzenwert für Boehringer. Die Netto-Finanzreserven des Konzerns stiegen dadurch auf rund 14 Milliarden Euro, womit Boehringer weiterhin eines der finanzstärksten Unternehmen der gesamten Pharmaindustrie ist. Umsatzmäßig rangiert der Konzern im Arzneimittelgeschäft aktuell auf Rang 19.
Es gibt dabei nach den Worten des Firmenchefs weiterhin keinerlei Ambitionen, die hohe Cash-Position für größere Akquisitionen einzusetzen. Von Baumbach betrachtet die hohen Reserven primär als Sicherheitspolster für die langfristige Unabhängigkeit des Familienunternehmens und verweist auf die sehr hohen Preise für Unternehmen mit marktreifen Neuentwicklungen.
Umsatzwachstum vor allem dank Diabetesmedikament und Lungenarznei
Boehringer beschränkt sich vor diesem Hintergrund vor allem auf kleinere ergänzende Akquisitionen, um die Technologiebasis und die Projekte in der frühen Forschungsphase zu stärken, wie zuletzt etwa mit dem Erwerb von NBE. „Unser Mantra ist weiterhin das organische Wachstum“, sagt von Baumbach.
Seinen bisher größten Deal bewältigte der Ingelheimer Konzern 2016 mit der Übernahme der Tierarzneisparte von Sanofi für 11,4 Milliarden Euro. Diese Akquisition wurde allerdings zum größten Teil mit der Abgabe des eigenen Selbstmedikationsgeschäfts an Sanofi finanziert.
Das Umsatzwachstum des Konzerns im Pharmabereich wird aktuell vor allem von dem erfolgreichen Diabetesmedikament Jardiance und dem Mittel Ovef gegen Lungenfibrosen getragen. Beide Produkte legten 2020 deutlich zweistellig zu, während ältere Bestseller wie das zum Teil patentfreie Atemwegsmedikament Spiriva Einbußen verzeichneten.
Mit 5,8 Prozent Umsatzplus dürfte Boehringer etwa zwei bis drei Prozentpunkte stärker zugelegt haben als der Pharmamarkt insgesamt und auch stärker als die heimischen Konkurrenten Bayer und Merck.
Die solide Geschäftsentwicklung trotz der zum Teil starken Einschränkungen in der ersten Pandemiewelle erklärt von Baumbach unter anderem mit einer robusten Produktionsstruktur des Konzerns und einer guten digitalen Vorbereitung. „Wir konnten relativ gut auf die Pandemie reagieren, weil wir uns in den Jahren davor intensiv mit der digitalen Interaktion mit unseren Kunden auseinandergesetzt hatten.“
Für 2021 erwartet Boehringer allerdings nur ein leichtes Umsatzwachstum und ein leicht rückläufiges Betriebsergebnis, bedingt vor allem durch höhere Ausgaben für Forschung und Entwicklung.
Der Konzern setzt dabei auf weiteres Wachstum und neue Einsatzfelder bei seinen beiden Top-Produkten. So erwartet er für Jardiance auch eine Zulassung zur Behandlung der Herzinsuffizienz. Darüber hinaus wird das Mittel auch gegen chronische Nierenerkrankung getestet. Das ursprünglich als Krebsmittel entwickelte Medikament Ofev ist inzwischen für mehrere fibrotische Lungenerkrankungen zugelassen, die durch eine krankhafte Vernarbung von Gewebe gekennzeichnet sind. Auch hier zielt Boehringer auf weitere Indikationen.
Ein weiterer wichtiger Pfeiler im aktuellen Pharmageschäft des Konzerns ist das Schuppenflechte-Medikament Skyrizi, das vom US-Partner Abbvie vertrieben wird. Für dieses von Boehringer entwickelte Medikament erwartet Abbvie Spitzenumsätze von etlichen Milliarden Dollar, woran Boehringer mit hohen Lizenzerträgen partizipieren wird. Im vergangenen Jahr vervierfachte sich der Skyrizi-Umsatz bereits auf 1,6 Milliarden Dollar.
Eine Reihe weiterer Wirkstoffe gegen Autoimmunerkrankungen testet Boehringer in früheren Phasen der klinischen Entwicklung. Hinzu kommt ein relativ breites Sortiment an neuen Krebswirkstoffen, die sich allerdings ebenfalls noch überwiegend in der Anfangsphase der klinischen Prüfungen befinden.
Einen weiteren Forschungsschwerpunkt bilden neurologische Erkrankungen. Mehrere Medikamentenkandidaten gegen Alzheimer, Depressionen und Schizophrenie befinden sich aktuell in Phase 2 der klinischen Prüfungen. Insgesamt umfasst das Forschungsprogramm des Konzerns mehr als 150 Projekte, davon 43 in klinischen Testphasen.
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