Edig, Jahrgang 1961, studierte an der Berufsakademie Karlsruhe Wirtschaft und belegte später Managementkurse an der französischen Wirtschaftshochschule Insead. Die Praxisphasen im dualen Studium absolvierte er bei der SEL AG, die heute Teil des Telekommunikationskonzerns Alcatel-Lucent ist. Edig blieb nach dem Abschluss 20 Jahre bei Alcatel, machte im Personalwesen Karriere. Nach einer kurzen Station bei der Deutschen Telekom wechselte er 2007 als Personalvorstand zum Autobauer Porsche. Seit 2009 ist er Vizechef der Porsche AG.
Porsche-Personalchef Thomas Edig „Nicht immer nur jammern“

„Realschüler oder Jugendliche mit Abitur haben in der Regel keine Lust darauf, lange am Band zu arbeiten.“
Stuttgart Der flexibelste Arbeitgeber war der Autobauer Porsche in der Vergangenheit wohl eher nicht. Das gibt Personalchef Thomas Edig, der sich in der Porsche-Zentrale im Stuttgarter Stadtteil Zuffenhausen Zeit für ein Gespräch nimmt, zu. In einem Punkt aber ist Porsche führend: Bei der Zahl der Hauptschüler unter den Lehrlingen.
Herr Edig, 40 Prozent der Auszubildenden bei Porsche haben grundsätzlich einen Hauptschulabschluss. Warum?
Diese Vereinbarung wurde schon vor mehr als einem Jahrzehnt zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung getroffen, aus heutiger Sicht war das gut und visionär. Schließlich machen immer mehr Jugendliche Abitur und studieren, gleichzeitig sinkt die Zahl der Schüler. Wir sehen das auch als soziale Verpflichtung. Die Hauptschule hat in unserem Bildungssystem massive Schwierigkeiten. Eigentlich müssen wir aber schon früher ansetzen.
Wo genau?
Wir verlieren immer noch zu viele junge Menschen, die nicht einmal den Hauptschulabschluss schaffen, die aber durchaus intelligent sind. Man kann diese Jugendlichen im Unternehmen entwickeln, wenn man sie fordert und fördert. Prinzipiell reden wir hier über Jugendliche, denen normalerweise aufgrund ihres Werdegangs und der Schulnoten die Ausbildungsreife abgesprochen würde. Mit dem „Porsche Förderjahr“ – einer gemeinsamen Initiative unserer Betriebsräte und der Ausbildungsleitung – wollen wir diese Jugendlichen innerhalb von neun Monaten ausbildungsreif machen. Von 22 Jugendlichen in den ersten beiden Jahrgängen haben wir 20 in die duale Ausbildung übernommen. Das war ein toller Erfolg, den wir in erster Linie unseren Meistern zu verdanken haben, die sich um diese Jugendlichen kümmern. Die Erfahrungen aus den ersten beiden Jahrgängen ermutigen uns, diesen Weg weiterzugehen.

„Bestimmte Nerds können wir heute nicht für das Thema Auto begeistern, das stimmt.“
Das ist doch aber auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ja, aber wenn es keiner macht, dann gibt es auch keine Vorbilder. Und etliche Industrieunternehmen und Handwerksbetriebe gehen den Weg ja mittlerweile auch. Diese Qualifizierung haben Arbeitgeber und Gewerkschaften hier im Südwesten tarifvertraglich verankert.
Machen es sich die Unternehmen zu leicht, wenn Sie Jugendlichen einfach das Etikett „nicht ausbildungsreif“ verpassen und sie ablehnen?
Als Unternehmen kann man nicht immer nur jammern, es kämen nicht die Jugendlichen aus den Schulen, die man braucht. Und man darf nicht vergessen: Realschüler oder Jugendliche mit Abitur, die eine Ausbildung machen, haben in der Regel keine Lust darauf, lange am Band zu arbeiten. Sie gehen dann studieren und sind für das Unternehmen als Facharbeiter verloren. Wir aber zählen auf die duale Ausbildung und geben unseren Auszubildenden daher eine Übernahmegarantie.
Immer mehr junge Menschen drängen an die Hochschulen, die sich mit der Bologna-Reform und der damit einhergehenden Umstellung auf die Abschlüsse Bachelor und Master massiv verändert haben. Der Bachelor reicht vielen Absolventen aber auf Dauer nicht.
20 bis 25 Prozent der Bachelorabsolventen, die wir einstellen, machen später noch den Master. Ein Teil dieser Bachelorabsolventen ist entweder direkt nach dem Abschluss oder innerhalb eines Jahres gegangen, um den Master zu machen. Wir wollen diese jungen Menschen aber nicht verlieren. Daher gibt es nun einen berufsbegleitenden Master an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Dieses Modell ist zukunftsweisend und wird von der Industrie unterstützt.
Zur Zukunft zählt auch die Industrie 4.0 – die Digitalisierung der Produktion und vieler anderer Unternehmensbereiche. Wie verändert sich die Ausbildung?
Industrie 4.0 wird alle produzierenden Bereiche treffen und auch Auswirkungen auf die Berufe in der Instandhaltung haben. In unseren Ausbildungsplänen ist das heute schon enthalten, auch an den Berufsschulen ist viel passiert. Aber es gibt Unterschiede: Die eine Schule hat sich sehr gut darauf eingestellt, die andere kaum. In der Ausbildung an den Hochschulen spielt das schon lange eine Rolle. Aber in der Sportwagenherstellung werden wir auch in Zukunft einen Manufakturcharakter haben, denn kein Porsche gleicht dem anderen. Damit steht der Mensch auch weiterhin im Mittelpunkt.
Welche Auswirkungen hat es auf das Personalmanagement?
Früher haben uns die Rankings, bei welchen Unternehmen IT-Absolventen gerne einsteigen würden, nie so interessiert. Seit fünf Jahren kümmern wir uns stärker darum, als Arbeitgeber auch in diesen Rankings präsent zu sein.
Sie suchen also IT-Experten, die Porsche spannender als Apple finden. Wie soll das gelingen?
Bestimmte Nerds können wir heute nicht für das Thema Auto begeistern, das stimmt. Interessant ist doch, was die Generation Y …
… also die zwischen 1980 und 1995 Geborenen …
… sich von ihrem Arbeitgeber wünscht. Sie suchen Herausforderungen und wollen sich verwirklichen, da müssen wir ansetzen. Wenn vor zehn Jahren jemand bei Porsche nach einem Sabbatical gefragt hätte, hätte man wohl geantwortet, was das denn nun wieder sei. Heute bieten wir Home-Office, flexible Arbeitszeiten, Kitas, Sabbatical und vieles mehr – übrigens nicht nur für die Generation Y.
Man erkauft sich also die Bereitschaft, hier einzusteigen?
Nein, wir reagieren als Unternehmen, das in der Vergangenheit vielleicht nicht so flexibel war, schlicht auf die geänderten Anforderungen. Und diese erhöhte Flexibilität nutzen wir bei allen Formen der Arbeitsorganisation ebenso wie bei den individuellen Bedürfnissen hinsichtlich der Arbeitszeiten. Ganz gleich, ob jemand mehr oder weniger arbeiten möchte.
Gerade in der Phase der Familiengründung wollen dann aber wieder viele weniger arbeiten.
Das ist mit unserer Wahlarbeitszeit ja auch möglich. Alle zwei Jahre können unsere Mitarbeiter entscheiden, wie viel sie arbeiten wollen, und können bis auf 20 Stunden reduzieren.
Herr Edig, vielen Dank für das Interview.
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