Razzia in Wolfsburg Gehaltsaffäre bei VW weitet sich aus

Die Gehaltsaffäre könnte auch für Bernd Osterloh äußerst unangenehm werden.
Düsseldorf, Wolfsburg Der VW-Konzern kommt nicht zur Ruhe. Erneut rückten am Dienstag die Staatsanwälte an, um Büros der Chefetage des Autobauers zu durchsuchen. Rund 80 Beamte waren nach Informationen des Handelsblatts im Einsatz. Auch Privatwohnungen wurden durchsucht. Dieses Mal hatten die Staatsanwälte allerdings Steuerfahnder im Schlepptau. Und sie hatten ein weiteres Ziel: das Büro des mächtigen Betriebsratschefs Bernd Osterloh.
Der Grund ist heikel und kommt noch hinzu zu den Ermittlungen, die schon wegen des Dieselskandals ins München und Braunschweig geführt werden. Und zu Untreuevorwürfen wegen eines womöglich überhöhten Gehalts von Osterloh. Die Braunschweiger Ermittler sind nun offenbar auch der Meinung, dass die Bezüge von Osterloh, die dieser selbst mit 750.000 Euro angegeben hat, zu Steuerhinterziehung geführt haben. Denn wäre ein Teil der Bezüge unrechtmäßig zu hoch ausgefallen, hätte VW diesen unzulässigerweise als Betriebsausgaben abgesetzt.
VW, das die Durchsuchungen selbst öffentlich gemacht hatte, wies derartige Vorwürfe als falsch zurück. „Wir gehen unverändert davon aus, dass das Gehalt von Bernd Osterloh in Einklang mit rechtlichen Vorgaben steht“, hieß es im Unternehmen.
Die Fahnder aber fühlen sich offenbar auf der richtigen Spur. Schon im Mai hatten sie einen Anfangsverdacht wegen Untreue bejaht. Ins Rollen gekommen war der Fall durch eine Strafanzeige. Nun nahmen sich die Fahnder die Büros von Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, Finanzvorstand Frank Witter und Personalvorstand Karlheinz Blessing vor. Sie beschlagnahmten Akten und Computer. Auch das Büro Osterlohs wurde nach Angaben von VW durchsucht.
Es geht offenbar um das Geschäftsjahr 2014. Die Steuererklärung für 2014 hatte Witter unterschrieben. Deshalb steht der Finanzchef jetzt im Zentrum der neuen Steuerermittlungen, daneben laut Durchsuchungsbeschluss auch Pötsch.
Hat Osterloh wirklich zu viel kassiert?
Volkswagen zahlt in Deutschland jedes Jahr etwa 3,5 Milliarden Euro Steuern. Ein mögliches Steuervergehen im Zusammenhang mit der Bezahlung von Osterloh hätte wahrscheinlich Steuernachforderungen von etwa 100.000 Euro zur Folge. In Unternehmenskreisen wurden die neuen Ermittlungen deshalb als „absurd“ bezeichnet. Der Aufwand der Durchsuchungen mit 80 Beamten und auch in Privatwohnungen wie etwa bei Witter sei alles andere als verhältnismäßig. Die Ausführungen des Konzerns wollte die Staatsanwaltschaft Braunschweig nicht kommentieren. Man werde die Razzia und ihre Hintergründe weder dementieren noch bestätigen, sagte ein Behördensprecher.
Fragwürdige Gesetzesinitiative
Osterloh selbst gilt bislang nicht als Beschuldigter. Allerdings könnte die Gehaltsaffäre auch für ihn äußerst unangenehm werden. Denn nach Informationen des Handelsblatts hatte offenbar nach Bekanntwerden der Ermittlungen ein Netzwerk aus Politik, Gewerkschaften und Autounternehmen versucht, die hohen Bezüge nachträglich per Gesetz zu legitimieren.
Im Juli 2017 hatte die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) einen Gesetzesplan vorgelegt, wonach Arbeitnehmervertreter nicht mehr nach ihrer möglichen beruflichen Entwicklung im Konzern vergütet werden sollen, sondern nach erworbener Qualifikation als Betriebsrat. Das hätte Osterlohs hohe Bezüge nachträglich rechtfertigen können. Das Gesetz, das bei Kritikern den Namen „Lex Osterloh“ erhielt, soll von der IG Metall und der Autoindustrie angeschoben worden sein. Es scheiterte letztendlich am Wirtschaftsflügel der Union.
Nach Informationen des Handelsblatts soll namentlich IG-Metall-Chef Jörg Hofmann an Nahles mit dem Thema herangetreten sein. Brisant: Hofmann sitzt zusammen mit Osterloh im Aufsichtsrat von Volkswagen. Gegenüber dem Handelsblatt hieß es bei der IG Metall, dass auf Betreiben Hofmanns schon 2013 eine Expertengruppe einberufen worden sei, die einen Vorschlag zu einer Neuregelung erarbeitet habe. Die Bundesregierung hätte den Vorschlag aber nicht aufgegriffen. Deshalb sei man Mitte 2017 erneut an Nahles herangetreten. „Die letzte Initiative von Jörg Hofmann rund um das Treffen der Bundesregierung mit den Sozialpartnern im Juni 2017 in Meseberg hatte das Ziel, die Bearbeitung zu beschleunigen, da sich die Legislatur dem Ende zuneigt.“
Auch im Ministerium heißt es auf Anfrage, der Anstoß sei von Unternehmen und Gewerkschaften gekommen. Von wem genau, daran will sich im Hause Nahles aber niemand mehr erinnern.
Alles reiner Zufall? Hofmann gibt zu, mit Osterloh über die Gesetzesinitiative gesprochen zu haben. „Jörg Hofmann hat mit vielen Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzenden und anderen Betriebsräten aus Klein- und Mittelbetrieben über die Initiative gesprochen“, heißt es bei der Gewerkschaft. Sie will die gewünschte Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes aber nicht als Gesetz zugunsten gut bezahlter Betriebsräte verstanden wissen. Ihr sei es im Gegenteil um Transparenz und faire Bezahlung gegangen. Osterloh selbst hat bislang stets erklärt, dass sein Gehalt vom Unternehmen festgelegt werde und dem Betriebsverfassungsgesetz entspreche. Der Betriebsrat und auch das Unternehmen hatten bestätigt, dass Osterloh korrekt eingruppiert worden sei. Die Vergütung für freigestellte Betriebsräte richtet sich derzeit nach dem Gehalt, das bei vergleichbarer Laufbahn und Verantwortung in einem Unternehmen gezahlt wird.
Konzern wie Betriebsrat berufen sich zudem auf das Gutachten externer Juristen. „Wir gehen deshalb davon aus, dass gegenüber der Staatsanwaltschaft überzeugend dargelegt wird, dass die internen Regelungen sowie die konkrete Vergütung rechtskonform sind“, betonte damals ein Sprecher des Konzernbetriebsrats. Osterloh werde vergleichbar zu Bereichsleitern vergütet. „Hätte er zuletzt das Angebot, Personalvorstand des Konzerns zu werden, angenommen, wäre seine Vergütung heute um ein Vielfaches höher.“ Stattdessen habe sich Osterloh dafür entschieden, sich weiterhin für die Belegschaft einzusetzen. Osterloh selbst allerdings veränderte im Laufe der Jahre auffällig seine Aussagen in Sachen Gehalt. Gab er 2005 noch an, ein Bruttogehalt von 6 500 Euro zu beziehen, sagte er 2007: „Wenn ein VW-Mitarbeiter 30.000 oder 50.000 Euro verdient, glaube ich nicht, dass er ein Problem damit hat, wenn der Betriebsratsvorsitzende das Doppelte verdient. Wenn es aber das Zehn- oder Zwanzigfache ist, führen wir eine ganz andere Diskussion. Mir ist wichtig, dass ich mein Gehalt moralisch vor meinen Kolleginnen und Kollegen vertreten kann.“
2016, als die VW-Dieselaffäre bereits in vollem Gange war und er offenbar längst mehrere Hunderttausend Euro jährlich kassierte, ließ Osterloh Anfragen zu seinem Gehalt gänzlich unbeantwortet. Gegenüber der „Zeit“ sagte ein Sprecher damals, dass man sich dazu nicht äußern werde – um die Höhe dann herunterzuspielen: „Er selbst hat 2008 darauf verwiesen, dass er vergleichbar mit einem Leiter im Personalwesen vergütet wird. Dies hat nach wie vor Bestand.“
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