Roland-Berger-Partner zur Türkei-Krise „In Vorstandsetagen müssen alle Alarmglocken klingeln“
Düsseldorf
Herr Haghani, die deutsch-türkischen Beziehungen sind an einem Tiefpunkt angelangt. Worauf muss sich die deutsche Wirtschaft jetzt einstellen?
Prinzipiell sind die deutschen Unternehmen durch ihre starke Exportorientierung gewohnt, mit Risiken in Auslandsmärkten umzugehen. Neu ist, wie schnell sich ein Land wie die Türkei, das bis vor ein, zwei Jahren noch als sicherer Hafen für Investitionen galt, auf einmal in eine Region der Instabilität verwandelt. Die entscheidende Frage ist jetzt: Wie stark kann die Situation noch eskalieren? Und da glaube ich, dass wir den Tiefpunkt in den deutsch-türkischen Beziehungen noch nicht gesehen haben.
Sie rechnen mit einer weiteren Eskalation?
Der Streit mit der Türkei schwelt seit Monaten. Bisher hat die Bundesregierung sehr besonnen und zurückhaltend agiert. Jetzt ist aber ein Punkt erreicht, wo Kante gezeigt werden muss. Wir werden daher wahrscheinlich eine weitere Eskalation sehen, denn die Türkei wird vermutlich nicht klein beigeben. Das würde zu einem Kräftemessen führen und eine Abwärtsspirale in Gang setzen.
Wie reagiere ich als Unternehmen darauf, wenn ich wie BASF oder Daimler von der Türkei verdächtigt werde, Terrorismus zu unterstützen?
Das ist eine ganz schwierige Situation. In den Vorstandsetagen müssen da alle Alarmglocken klingeln. Die Vorstände müssen sich jetzt selbst fragen, ob sie überhaupt noch ungehindert in die Türkei reisen können. Es besteht ja die reale Gefahr, dass sie in der Türkei festgehalten werden. Das wird zu einem Lackmustest werden. Solch eine Situation gab es schon mal: Nach dem Sturz des Schahs und der iranischen Revolution sind beispielsweise über Jahrzehnte keine deutschen und französischen Manager mehr nach Iran gereist. Im Zweifel dürfen deutsche Führungskräfte jetzt auch nicht in die Türkei reisen.

Sascha Haghani (49) startete seine berufliche Laufbahn in der Automobilzuliefererindustrie und war als Wertpapierhändler in New York aktiv. Er kam 1995 zu Roland Berger und wurde im Jahr 2000 zum Partner berufen. Seit 2013 ist der Autor mehrerer Bücher zum Thema Restrukturierung und Corporate Finance Managing Director Germany des traditionsreichen Beratungsunternehmens. Haghani berät seit mehr als zwei Jahrzehnten Topmanager im In- und Ausland.
Deutsche Staatsbürger werden in der Türkei anscheinend willkürlich verhaftet. Die Reise- und Sicherheitshinweise wurden verschärft. Sollten die rund 6.800 deutschen Firmen, die in der Türkei aktiv sind, ihre deutschen Mitarbeiter jetzt aus der Türkei abziehen?
Wichtig ist, zunächst Ruhe zu bewahren. Ich rate vor panischen Reaktionen ab. Es ist zudem eine sehr persönliche Entscheidung. Wenn sich in den nächsten Tagen oder Wochen die Situation verschärfen sollte, werden die Mitarbeiter vor Ort vielfach den Wunsch äußern, nach Deutschland zurückzukommen. Die Unternehmen müssen sich in größerem Umfang auf Ausreisen ihrer deutschen Mitarbeiter aus der Türkei gefasst machen.
Sollten Topmanager wie Daimler-Chef Dieter Zetsche jetzt auch aktiv auf ihre Mitarbeiter in der Türkei zugehen und ihnen alle Wahlfreiheiten zugestehen?
Ja, ich gehe davon aus, dass das passieren wird. Als Vorstand ist man für die Sicherheit seiner Mitarbeiter verantwortlich. Als Mitglied der Geschäftsführung von Roland Berger ist das auch für mich ein Thema, mit dem ich mich beschäftige. Wir haben zwar in der Türkei vorwiegend Berater, die selbst aus der Türkei kommen, aber wenn das Risiko zu groß ist, holen wir unsere Leute umgehend zurück. Wenn eine konkrete Reisewarnung für ein Land vorliegt, ist schnelles Handeln geboten. Man tauscht sich als Vorstand in so einer Situation intensiv mit dem Auswärtigen Amt, der deutschen Botschaft, den Handelskammern und den Mitarbeitern vor Ort aus.
Außenminister Sigmar Gabriel warnt deutsche Unternehmen mittlerweile davor, in der Türkei zu investieren. Der deutsche Staat könne für Investitionen keine Garantie mehr abgeben. Was bedeutet diese Ankündigung für Unternehmen?
Die Grundlage für deutsche Exporte ist eine gewisse Rechtssicherheit. Dass Außenminister Gabriel jetzt die Hermesbürgschaften, mit denen der Staat Auslandsgeschäfte deutscher Unternehmen absichert, für die Türkei infrage stellt, wird die türkische Wirtschaft hart treffen. Denn ohne die Bürgschaften wird es extrem schwierig für deutsche Firmen, überhaupt noch in die Türkei zu exportieren. Wir haben nach der Revolution in Iran gesehen, was passiert, wenn die Hermesbürgschaften wegfallen – da ist das Exportvolumen massiv eingebrochen. Deutsche Unternehmen werden in der Türkei darauf bestehen, im Voraus bezahlt zu werden, andernfalls ist das Risiko zu groß, viel Geld abschreiben zu müssen, etwa für Maschinen, die man in die Türkei liefert. Die Instabilität des Rechtsrahmens in der Türkei bringt unkalkulierbare Risiken mit sich.
Werden jetzt viele deutsche Firmen die Türkei verlassen?
Ich glaube, wenn man schon in der Türkei investiert ist, wird man nicht sofort aus diesem attraktiven Markt mit 77 Millionen Einwohnern rausgehen. Man wird sich eher über einen Teilrückzug oder einen Rückzug auf Raten Gedanken machen. Zuerst kann man Führungskräfte abziehen. Große Konzerne können durch ihre weltweite Präsenz Mitarbeiter aus anderen Regionen, die bessere Beziehungen zur Türkei unterhalten als Deutschland, in die Türkei entsenden. Wenn meine Produktion von Lieferungen aus der Türkei abhängt, werde ich mich nach alternativen Zuliefererländern umsehen. Das könnte etwa im Textilsektor eintreten. Wer in der Türkei produziert, wird sich nach alternativen Standorten für Fabriken umsehen. Aber all das passiert nicht von heute auf morgen. Und man wird zunächst abwarten, ob sich die Situation nicht doch in ein paar Monaten wieder entspannt.
Können Unternehmen wirklich auf so eine Entspannung hoffen?
Der Druck innerhalb der Türkei wird steigen. Die türkischen Firmen werden irgendwann lauter werden, weil die wirtschaftliche Stabilität ihres Landes in Gefahr gerät. Ich setze stark auf die Ratio. Irgendwann muss Vernunft einkehren.
Herr Haghani, vielen Dank für das Interview.
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