Satellitenhersteller Neue OHB-Vorständin will mehr Frauen im Weltraum

Die Raumfahrt-Ingenieurin hat schon bei Airbus und dem Satellitenbetreiber Eumetsat gearbeitet.
Bremen
Frauen sind im Weltraum, vornehm ausgedrückt, unterrepräsentiert. Die zwölf Menschen, die den Mond betreten haben, waren allesamt Männer. Und auch im größten deutschen Raumfahrt-Familienunternehmen, OHB aus Bremen, sind nur 18 Prozent der 2900 Mitarbeiter weiblich.
Immerhin: In den Vorstand von OHB System, der wichtigsten Konzerngesellschaft, zieht nun eine Frau ein. Chiara Pedersoli übernimmt die Verantwortung für die Entwicklung der Satelliten – und damit für das Kerngeschäft des Konzerns, der unter anderem den Großteil der Galileo-Satelliten für das europäische Navigationssystem produziert.
Nun spricht sie erstmals in der neuen Funktion über die bevorstehenden Aufgaben und ihr Führungsverständnis. „Ich bin Raumfahrtingenieurin aus Leidenschaft“, sagt sie gleich zu Beginn des Gesprächs mit dem Handelsblatt.
Heute führt sie die Leute, die ihre Leidenschaft teilen. Dass sie sich daher in der neuen Funktion leichter in die Rolle ihrer Mitarbeiter versetzen kann, sieht die gebürtige Italienerin „als großen Vorteil“.
Tatsächlich ist sie schon seit neun Jahren bei OHB. Dort wurde ihr immer mehr Verantwortung übertragen. „Das ist ein Plus in einem familiengeführten Unternehmen gegenüber einem internationalen Großkonzern: Man wird gesehen“, sagt Pedersoli, die auch schon bei Airbus und dem Satellitenbetreiber Eumetsat gearbeitet hat.
Eine Ausnahmestellung als Frau im männerdominierten Umfeld will sie nicht einnehmen. „Ich habe mich nie als ein Sonderfall gefühlt“, sagt sie. Auch dass sie beim Studium an der Mailänder Technischen Universität Politecnico kaum Kommilitoninnen hatte, schreckte sie nicht: „Ich habe mich mit sechs Jahren entschieden, dass ich Raumfahrtingenieurin werde.“
Schließlich sei sie in den 1970er-Jahren mit Filmen und Cartoons voller Raketen aufgewachsen. Später habe sie die Familie mit zwei Kindern gut mit der Arbeit vereinbaren können. Das will sie auch jungen Frauen mit auf den Weg geben.
Vielleicht kommt Pedersoli bei OHB auch zugute, dass schon lange eine Frau eine wichtige Rolle spielt: Christa Fuchs, die mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Manfred das Unternehmen übernahm, als es erst fünf Mitarbeiter hatte, und sich lange um die Finanzen kümmerte. Die resolute 81-Jährige ist heute im Aufsichtsrat.
Mehr Wachstum durch Neujustierung
Dabei sollen ihr eigene Erfahrungen helfen, aber auch der Austausch mit anderen Unternehmen, den Führungskräften und Vorstandskollegen. Das Wichtigste aber: Die Mitarbeiter „sollen ja nicht den Spaß und die Leidenschaft für Raumfahrt verlieren, indem sie sinnlose Kontrolle erleben müssen“.
Die Neujustierung soll auch Wachstum ermöglichen: Schließlich muss OHB System künftig mehr Projekte gleichzeitig abwickeln. „Mich fasziniert die Idee, etwas für die Menschheit erreichen zu können.“ Das Schöne an einem Satelliten sei, dass man ihn nicht allein entwickeln kann. „Das ist Teamarbeit von Anfang bis Ende. Und das macht die Maschine, die wir bauen, noch schöner“, sagt die Ingenieurin.
Pedersoli übernimmt die Aufgabe zu einem günstigen Zeitpunkt von ihrem Vorgänger Andreas Lindenthal, der zu Airbus gewechselt ist. Erkennbar ist das am Aktienkurs der OHB SE, der in den vergangenen Monaten deutlich zugelegt hat und in die Nähe des vor zwei Jahren erreichten Allzeithochs kommt.
Analysten führen die Kursgewinne auch darauf zurück, dass die ESA-Ministerratskonferenz Ende November 2019 unerwartet viele Projekte genehmigt und ein Rekordbudget für die nächsten Jahre angesetzt hat. Derzeit empfehlen die meisten, die Aktie zu halten. OHB rechnet sich beispielsweise gute Chancen aus, beim Satelliten-Programm Copernicus zur Erd- und Klimabeobachtung ausreichend beteiligt zu werden.
Auf eine Milliarde Euro prognostiziert Konzernchef und Hauptaktionär Marco Fuchs den Auftragseingang 2020. Die Analysten von Pareto Securities halten sogar die doppelte Summe für möglich. In den ersten neun Monaten 2019 kam der OHB-Konzern insgesamt auf 613 Millionen Euro Umsatz und 31 Millionen Euro Vorsteuergewinn.
Die Entwicklungsarbeit für die großen Projekte, die Umsatz und Gewinn treiben sollen, kommt auf die 987 direkten Mitarbeiter von Pedersoli zu. Der aktuelle Problemfall von OHB dagegen fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der 46-Jährigen. Das Augsburger Raketenwerk könnte unter der Umstellung von der fünften auf die sechste Ariane-Raketengeneration leiden.
Start-ups als Inspiration
Ansonsten will Pedersoli vom neu erwachten Interesse an der Raumfahrt profitieren. Tesla-Gründer Elon Musk treibt mit seinem Unternehmen SpaceX die Idee voran, mit kleinen Raketen ganze Satellitenschwärme in Erdumlaufbahnen zu befördern. Weltweit arbeiten Start-ups an solchen Ideen – auch solche innerhalb des OHB-Konzerns.
Die konzerneigene Rocket Factory, ebenfalls in Augsburg angesiedelt, will 2021 einen Erstflug von ihrem Mini-Launcher hinlegen. Pedersoli will die Kooperation mit dem jungen Team ausbauen. „Start-ups haben eine wichtige Rolle. Sie helfen, einen frischen Blick auf die Branche zu werfen“, sagt sie.
OHB war zuletzt dank seiner Entwickler auch eine starke Stimme in der vom BDI angestoßenen Diskussion um einen Raketenstartplatz auf deutschem Boden. Konzernchef Fuchs meldete sich zu Wort mit einer Studie, die eine mobile Hubinsel in der Nordsee als Standort empfiehlt.
Denn für Unternehmen wie OHB könnte der Trend zu kleinen Satelliten deutliches Wachstum bedeuten: Eine aktuelle Studie von Morgan Stanley rechnet vor, dass der globale Raumfahrtmarkt von 350 Milliarden Dollar auf eine Billion Dollar im Jahr 2040 wächst. Kurzfristig bildeten dabei Satelliten für Breitband-Internet die größte Chance.
„So wie einst innovative Aufzüge Wolkenkratzer ermöglicht haben, werden die Möglichkeiten im Weltraum reifen wegen besseren Zugangs und fallender Startkosten“, meint Studienautor Adam Jonas. Diese Zukunft will Pedersoli mitgestalten.
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