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Schunk-Gruppe In den Nischen liegt die Kraft

Der hessische Mittelständler Schunk ist gleich mehrfacher Hidden Champion. Der Mischkonzern setzt lieber auf viele Standbeine, statt sich auf ein Kerngeschäft zu fokussieren - und hat mit seiner Strategie Erfolg.
31.07.2017 - 12:05 Uhr Kommentieren
In der Klimakammer wird die Strahlung der Sonne simuliert. Quelle: Pressefoto
Auf dem Prüfstand

In der Klimakammer wird die Strahlung der Sonne simuliert.

(Foto: Pressefoto)

Heuchelheim In einem modernen Auto stecken bis zu 100 Elektromotoren. Sie öffnen die Fenster und verstellen die Sitze. In den Motoren befinden sich Kohlebürsten, die den Strom übertragen. Mit großer Wahrscheinlichkeit stammen diese Bürsten von der Schunk Gruppe.

Handys, Autos und ganze ICE-Loks werden in Klimakammern auf ihre Wetterbeständigkeit getestet. Auch hier hat Schunk oft die Finger mit im Spiel. Und die meisten Alu-Kabelbäume in deutschen Autos wurden wahrscheinlich mit Ultraschweißgeräten verarbeitet – häufig Technik von Schunk.

Fast jeder trifft im Alltag auf die Produkte des Mittelständlers, doch kaum einer kennt ihn – obwohl er rund 8000 Mitarbeiter in 29 Ländern beschäftigt und mehr als eine Milliarde Euro Umsatz macht. Die erste Besonderheit: Die Schunk Gruppe, Hidden Champion aus dem nordhessischen Heuchelheim, ist stark diversifiziert und gleich in mehreren Disziplinen Weltmarktführer. Die zweite Besonderheit: Das Unternehmen, das 1913 vom kinderlosen Ludwig Schunk gegründet wurde, gehört einem stiftungsähnlichen Verein – und ist damit nur sich selbst verpflichtet. Gewinne werden reinvestiert oder an die Mitarbeiter verteilt.

Dabei ist Diversifizierung derzeit alles andere als en vogue. „Geht es der Wirtschaft und den Kapitalmärkten gut, konzentrieren sich Großunternehmen auf ihr Kerngeschäft“, konstatiert Jens Kengelbach, Leiter Unternehmensentwicklung und M&A der Boston Consulting Group Deutschland. „Momentan beobachten wir viele Konzerne, die Unternehmensteile abspalten oder an die Börse bringen.“ Dazu zählen zum Beispiel Metro mit der Abspaltung Ceconomy, RWE mit Innogy und Eon mit Uniper.

Gegen den Trend, aber trotzdem erfolgreich, agiert die Schunk Gruppe – nicht zu verwechseln mit dem Greiftechnikspezialisten Schunk aus Baden-Württemberg. Die Hessen sind ein kleiner Mischkonzern, ähnlich wie die Werhahn-Gruppe, Freudenberg oder Diehl. 60 Firmen sind bei Schunk in vier Divisionen zusammengefasst. Die haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. „Das mag wie ein bunter Gemischtwarenladen wirken, aber eines ist unseren Firmen gemeinsam: Alle sind hochspezialisierte industrielle Nischenspieler“, sagt Arno Roth. Der Physiker und Ex-Berater (McKinsey) ist seit 1998 im Unternehmen und leitet die Gruppe seit 2013.

Knapp 3000 Hidden Champions hat die Beraterlegende Hermann Simon weltweit aufgespürt, rund die Hälfte davon kommt aus Deutschland. Schunk ist mit seinen so unterschiedlichen Nischenprodukten untypisch für die heimlichen Weltmarktführer. „Denn die klassische Hidden Champions sind Einprodukt-Einmarkt-Unternehmen, die mit schlanken funktionalen Organisationen auskommen“, schrieb Simon unlängst im Handelsblatt. Werden die Geschäfte oder die bedienten Märkte komplexer, so wechseln sie frühzeitig zu divisionalen Organisationsformen. „So sichern sie trotz zunehmender Komplexität ihre hohe Kundennähe“, beobachtet Simon.

Die größte Sparte der Schunk-Gruppe fertigt Karbonteile, sie bringt die Hälfte des Umsatzes ein und ist Ursprung der Firma. Gründer Schunk und sein Partner, der Maschinenbauer Karl Ebe, hatten 1913 eine Marktlücke entdeckt. Sie produzierten Kohlebürsten für Elektromotoren, vor allem für Straßenbahnen, bald auch für Anlasser und Lichtmaschinen in Autos. Bei Kohlebürsten ist Schunk heute Weltmarktführer.

Der Physiker und Ex-Berater leitet das Unternehmen seit 2013. Quelle: Pressefoto
Arno Roth

Der Physiker und Ex-Berater leitet das Unternehmen seit 2013.

(Foto: Pressefoto)

1970 kamen hochreine Graphitteile hinzu, auf denen Halbleiter gefertigt werden. Heute stellt Schunk auch große Karbontiegel zum Schmelzen von Silizium her, Grundstoff für die Chip- und Solarindustrie. Wie überdimensionale Dönerspieße werden dafür Bänder aus Karbonfasern mit Kunstharz übergossen, erhitzt und dabei stundenlang gedreht. „Computer-Chips werden immer kleiner, deshalb wachsen die Anforderungen an Reinheit und geometrische Genauigkeit bei der Herstellung“, sagt Roth. „Das können viele Wettbewerber insbesondere aus Fernost in der Feinheit noch nicht so wie wir.“

Der Grundstein für die Sparte Sintermetalle wurde bereits 1932 gelegt. Spritzguss aus feinem Metallpulver ist präziser und günstiger als normale Gussteile. Kein Auto bewegt sich heute ohne Sinterteile. Sie werden vorwiegend für Motor und Getriebe benötigt.

1978 übernahm Schunk einen Spezialist für Umweltsimulation und Klimatechnik, die heutige Weiss Technik. „In unseren Klimakammern simulieren wir im Zeitraffer Wüstenklima bis Polarkälte“, sagt Roth. Dazu kommen Wind, Regen, UV-Strahlung, Salzwasser und Vibration. Solche Härtetests müssen heute alle Produkte bestehen, ob Medikamente, Elektrogeräte, Autos, Lkws oder Loks. Wirkt die Schmerztablette noch, wenn sie drei Jahre in Omas Nachttisch lag? Ist das Auto wirklich regendicht? „Solche Tests werden sich nie komplett am Computer simulieren lassen“, ist Roth überzeugt.

Auch bei der Umweltsimulation sieht sich Schunk als Weltmarktführer, nur der japanische Wettbewerber Espec ist ähnlich groß. Klimakammern von Weiss Technik werden meist vor Ort maßgefertigt. „Wir haben sogar Schränke im Angebot, die das beste Wachstumsklima für Cannabispflanzen simulieren“, erzählt Roth.

Neuer Umsatzrekord

Die vierte Sparte Ultraschall-Schweißtechnik kam 1980 hinzu. Damit lassen sich Metalle präzise aneinander schweißen – etwa Kupfer und Aluminium. In Kabelbäumen von Autos etwa wurde der Großteil der Kupferleitungen durch leichteres Alu ersetzt. Das spart bis zu 40 Kilo Gewicht. „Beim diffizilen Ultraschall-Schweißen sind wir Weltmarktführer. Unsere Technik nutzen die Kabelbaumzulieferer aller großen Autobauer“, sagt Roth. Wettbewerber sind Branson aus den USA und Telsonic aus der Schweiz.

Mit seiner diversifizierten Nischenstrategie ist Schunk heute sehr erfolgreich: 2016 gab es einen Rekordumsatz von 1,1 Milliarden Euro, ein Plus von 6,6 Prozent zum Vorjahr. 2020 soll die 1,5 Milliarden Euro-Marke geknackt werden. Die Eigenkapitalquote liegt derzeit bei satten 64 Prozent. Auch der Gewinn erreichte einen Rekordwert. „Unser Ziel ist eine zweistellige Umsatzrendite bis 2020, da sind wir jetzt schon nahe dran“, meint Roth.

In guten Jahren werden die Mitarbeiter am Gewinn beteiligt. 2017 werden 26,5 Millionen Euro an die Mitarbeiter ausgeschüttet. Je nach Standort und Firmenzugehörigkeit sind das bis zu 5000 Euro pro Person. Das honoriert auch Stefan Sachs von der IG Metall Mittelhessen. Gründer Ludwig Schunk, der 1947 starb, hatte in seinem Testament verfügt: Erträge aus der Firma sollen „seiner Gefolgschaft“ (Belegschaft) zugute kommen. Jedoch sei eine gesunde Weiterentwicklung des Unternehmens „der beste Dienst an der Gefolgschaft“. Gewinne sollten im Sinne Schunks also möglichst in die Firma reinvestiert werden.

„Wir haben zwar keine Aktionäre oder Gesellschafter, denen wir Dividenden ausschütten müssen“, sagt Roth. „Aber wir stehen in hartem Wettbewerb. In Bereichen, die dauerhaft nicht profitabel sind, müssen wir handeln und sie im Notfall abstoßen.“ So geschehen mit der Automatisierungstechnik 1991. Nach Öffnung des Eisernen Vorhangs gab es im Osten genügend günstige Arbeitskräfte, Automatisierung war weniger gefragt. „Wir hatten aufs falsche Pferd gesetzt und von der Technik nicht genug Ahnung“, sagt Gunthard Sommer, Vorsitzender der Ludwig-Schunk-Stiftung.

Die Krise der Solar- und Halbleiterbranche setzte Schunks Karbonsparte mächtig zu. Das Geschäft mit der Solarindustrie brach 2012 um 80 Prozent ein. Trotzdem sank der Gesamtumsatz der Gruppe nur um 2,8 Prozent. „Das ist der Vorteil, wenn man mehrere Standbeine hat“, sagt Roth. „In Mischkonzernen lassen sich Risiken besser streuen und abfangen“, bestätigt BCG-Partner Kengelbach. Geht es einer Sparte schlecht, helfen die anderen, die Durststrecke zu überwinden.

Dezentrale Steuerung

Allerdings hat die Führung eines Mischkonzerns ihre Tücken. Zwar kann es Synergien geben in der gemeinsamen Verwaltung, Vertrieb oder Forschung. Doch entstehen bei stark diversifizierten Unternehmen oft Reibungsverluste und Ineffizienzen, warnt Kengelbach. „Die Holding darf kein Wasserkopf werden.“ Schunk-Chef Roth versucht deshalb, die Gruppe möglichst dezentral zu steuern und den einzelnen Sparten viele Freiheiten zu lassen: „Es ist wichtig, dass wir trotz unserer Größe unternehmerisch denken, schnell und pragmatisch handeln.“

Den Überblick über die vielen kleinen Nischengeschäfte zu behalten, das sei schon eine Herausforderung für einen CEO, räumt Roth ein. Für Manager ist es sehr anspruchsvoll, einen Mischkonzern zu steuern, bestätigt Kengelbach. Oft wüssten sie gar nicht, wo die eigentlichen „Perlen“ im Unternehmen sitzen. Der häufigste Fehler: Mittel werden von der Zentrale anteilig nach Umsatz verteilt und nicht nach dem Zukunftspotenzial der Sparten.

Dass Schunk wie eine Stiftung geführt wird, empfindet der Stiftungs-Vorsitzende Sommer als „Glücksfall für Unternehmen, Mitarbeiter und Region“. Seit er 1971 als Lehrling bei Schunk anfing, sind aus der Gegend viele große Firmen verschwunden. Schunk steht besser da denn je. Kritiker behaupten, ein Stiftungsmodell mache ein Unternehmen träge. Schunk hat zwar einen Aufsichtsrat, aber keine drängelnden Aktionäre oder Gesellschafter. „Krisen lassen sich oft mit langem Atem besser überstehen als mit Hektik“, meint Sommer.

Das bestätigt auch Sachs von der IG Metall: „In der Kombination von Stiftung und Mischkonzern ist Schunk krisenfester als andere Unternehmen, das gilt auch für die Arbeitsplätze.“ Zudem habe Schunk viel Geld in den Stammsitz Heuchelheim investiert. Trotzdem sei die Zusammenarbeit nicht immer konfliktfrei, so Sachs. Die Gewerkschaft gestalte die notwendige Transformation des Mischkonzerns mit. Denn Schunk ist stark von der Automobilbranche abhängig, die gewaltig im Umbruch ist.

„Wir dürfen nicht zu bedächtig werden“, weiß Stiftungschef Gunthard Sommer und sagt scherzhaft: „Damit die Karpfen kein Moos ansetzen, muss ab und zu mal ein Hecht dazukommen.“

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