Streit mit dem Betriebsrat Präsidium des VW-Aufsichtsrats berät am Dienstag über Konzernchef Diess

Ob es bereits zu einer Entscheidung über Diess’ Verbleib an der Konzernspitze kommt, ist unklar.
Düsseldorf Bei Volkswagen startet der Aufsichtsrat einen neuen Anlauf, um Konzernchef Herbert Diess doch noch an der Spitze des Wolfsburger Autokonzerns zu halten. Wie aus Unternehmenskreisen verlautete, trifft sich am Dienstag das achtköpfige Präsidium, das Spitzengremium der VW-Kontrolleure.
Das Präsidium sucht nach Möglichkeiten einer Einigung. „Im Moment sieht es so aus, dass sich die Fäden zusammenfügen“, hieß es am Montag in Wolfsburg. Möglicherweise könne sich Diess auf seinem Posten halten, sicher sei das aber derzeit noch nicht.
Der Konflikt zwischen Konzernchef Diess und dem Betriebsrat bestimmt seit bald zwei Monaten das Geschehen in der Wolfsburger Konzernzentrale. Diess hatte die Arbeitnehmer das erste Mal Ende September gegen sich aufgebracht. Im Aufsichtsrat hatte er angedeutet, dass Volkswagen in den kommenden Jahren noch einmal 30.000 Stellen abbauen müsse. Die Arbeitnehmer werteten das als massiven Vertrauensbruch und stellten daraufhin die weitere Zusammenarbeit mit Diess infrage.
Für den Betriebsrat ist es extrem wichtig, dass die Beschäftigung vor allem in den deutschen VW-Fabriken dauerhaft gesichert werden kann. Deshalb verbindet die Arbeitnehmerseite die Personalie Diess mit den Verhandlungen über vier sogenannte „Standortverträge“, die Auslastung und Investitionen in verschiedenen Werken mindestens bis zum Jahr 2030 sichern.
Würde der Fortbestand der Autofabriken garantiert, könnte es aus Sicht der Betriebsräte möglicherweise auch mit Herbert Diess an der Konzernspitze weitergehen. Zusätzlich müsse allerdings sichergestellt sein, dass es eine dauerhaft vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Management und Arbeitnehmern gebe.
Arbeitnehmer fordern vorgezogene Elektrofertigung in Wolfsburg
Im Zentrum der Diskussionen stehen das Stammwerk in Wolfsburg und die Nutzfahrzeugfabrik in Hannover. Für die Arbeitnehmer ist es essenziell, dass Wolfsburg nicht erst 2026, sondern bereits zwei Jahre zuvor seine erste Elektrofertigung bekommt. Im Stammwerk werden bislang ausschließlich Verbrennermodelle wie Golf und Tiguan gefertigt.
Der Betriebsrat hat die Befürchtung, dass Wolfsburg technologisch abgehängt wird, wenn es bei der bisherigen Konzernplanung bleibt. Für 2026 ist der Produktionsstart des „Trinity“-Projekts geplant. Dann soll das Stammwerk eine komplett neue Generation von Elektroautos produzieren.
In den aktuellen Verhandlungsrunden gilt die vorgezogene Elektrofertigung für die Arbeitnehmer als unverzichtbar. Ohne Einigung in dieser Frage scheint eine weitere Zusammenarbeit mit dem Konzernchef nur schwer möglich. Dem Vernehmen nach sperrt sich Herbert Diess vor allem aus wirtschaftlichen Gründen gegen das zusätzliche Elektroauto für das Stammwerk in Wolfsburg, die Fertigung sei viel zu teuer.
Ralf Brandstätter, Vorstandschef der Marke Volkswagen Pkw, hatte erste Pläne vorgelegt, wie trotzdem noch eine mögliche Lösung in der strittigen Frage des zusätzlichen Elektroautos für Wolfsburg gefunden werden könnte. „Wir prüfen aktuell die Einrüstung eines weiteren E-Modells in Wolfsburg“, erläuterte Brandstätter am Montag in einer Fragerunde mit Beschäftigten. Eine solche E-Fertigung im Stammwerk müsse aber wirtschaftlich sein. „Und darüber reden wir gerade“, so der Markenchef. Möglicherweise könnte es eine Teilfertigung im Stammwerk in Wolfsburg geben, das zusätzliche E-Auto würde dann nicht komplett dort produziert. Eine solche Teilfertigung ist in der Automobilindustrie durchaus nicht unüblich.
Im Nutzfahrzeugwerk in Hannover läuft zudem in den kommenden Jahren die Produktion des klassischen VW-Transporters aus. Auch dafür suchen die Verhandler nach einer Lösung. Eine ursprünglich geplante Fertigung von Porsche-Modellen in Hannover wird es aller Voraussicht nach nicht mehr geben.
Aufsichtsrat, Betriebsrat und Management sprechen in Wolfsburg außerdem über eine neue Vorstandsbesetzung. Als gesichert gilt bereits, dass der Konzern im neuen Jahr ein neues IT-Ressort bekommt, das künftig von Hauke Stars geleitet wird. Die 54-Jährige war zuvor Vorstandsmitglied der Deutschen Börse.
Zudem soll eine Nachfolgeregelung für Hiltrud Werner gefunden werden, die nach fünf Jahren voraussichtlich keinen neuen Vertrag bekommen dürfte. Sie leitet das Vorstandsressort Integrität und Recht, das nach Aufdeckung der Dieselaffäre neu bei Volkswagen geschaffen worden war. Auch die vorzeitige Verlängerung des im Frühjahr 2023 auslaufenden Vertrags von Personalvorstand Gunnar Kilian ist Teil der Verhandlungen.
Aufstieg für Markenchef Ralf Brandstätter
Die wichtigste personelle Veränderung zeichnet sich jedoch für VW-Markenchef Ralf Brandstätter ab. Wie es in Wolfsburg heißt, soll der 53-Jährige schon in wenigen Wochen in den Konzernvorstand von Volkswagen einrücken. Der Automanager leitet die Marke seit eineinhalb Jahren. Brandstätter hatte damals diesen Posten von Herbert Diess übernommen.
Während die dem Volumen nach deutlich kleineren Konzernmarken Audi und Porsche im Konzernvorstand vertreten sind, ist VW-Markenchef Brandstätter nur als Gast bei den Vorstandssitzungen zugelassen. Seine Berufung in den Vorstand würde diese Schieflage im Verhältnis zu den anderen Konzerntöchtern ausgleichen.
Dort soll der Wirtschaftsingenieur möglicherweise die Leitung der größten Markengruppe Volumen übernehmen, zu der VW, Skoda, Seat und die VW-Transportersparte gehören. Diese Gruppe fällt bisher in den Zuständigkeitsbereich von Diess als Konzernchef.
Dies würde einen weiteren Machtverlust für den Konzernchef bedeuten. Diess hatte nach früheren Turbulenzen angesichts seiner Kritik wegen undichter Stellen im Aufsichtsrat im Sommer 2020 bereits die Führung der Marke VW an Brandstätter abtreten müssen. Davor war Brandstätter schon für das operative Geschäft der Marke mit dem VW-Logo zuständig gewesen. Diess hat Mitgliedern des Aufsichtsrats in diesem Zusammenhang Gesetzesverstöße vorgehalten.
Brandstätter ließ am Montag erkennen, dass er sich auf die Leitung der Markengruppe einstellt, die für rund 80 Prozent der Auslieferungen des Konzerns steht. Auch er sagte, Synergien sollten künftig besser genutzt werden. Dafür müssten die Positionierung der Marken, die Produkte und die Technologie optimal aufeinander abgestimmt werden. „Mir ist in diesem Zusammenhang ganz wichtig: Jede Marke muss und soll sich erfolgreich entfalten können“, sagte er ebenfalls in der Fragerunde des Betriebsrats mit VW-Beschäftigten.
Konzernchef Diess hatte bereits in der vergangenen Woche eine Neuordnung für die Steuerung der einzelnen Marken angekündigt. In einem internen Videointerview sagte er auf Arbeitnehmerfragen: „Wir werden die Konzernsteuerung grundsätzlich überdenken.“ Ziel sei eine bessere Zusammenarbeit in den jeweiligen Markengruppen. „Der Konzern wird sich stark aus dem operativen Geschäft zurückziehen.“ Dadurch sollten Hierarchieebenen abgebaut und die Geschwindigkeit von Entscheidungen beschleunigt werden. Mit 13 verschiedenen Fahrzeugmarken ist der VW-Konzern im Unterschied zu anderen Autoherstellern sehr kompliziert aufgestellt.
Wenn im Laufe dieser Woche eine Einigung über das komplette Verhandlungspaket erzielt würde, könnte damit die Einladungsfrist zur entscheidenden Aufsichtsratssitzung am 9. Dezember eingehalten werden. Dann will das Kontrollgremium den Investitionsplan („Planungsrunde“) für die kommenden fünf Jahre beschließen, zu dem auch die künftige Fahrzeugbelegung der Werke gehört. Auch das „Trinity“-Projekt für Wolfsburg ist Teil dieses Investitionsplans.
Der nach dem erneut aufgebrochenen Streit über den Führungsstil von Diess vor Kurzem eingesetzte Vermittlungsausschuss mit Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Betriebsratschefin Daniela Cavallo und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hatte Ende vergangener Woche ein weiteres Mal beraten, verlautete aus Unternehmenskreisen. Für eine Einigung seien weitere Gespräche nötig. Volkswagen und die Porsche SE, über die die Familien Porsche und Piëch die Stimmrechtsmehrheit an dem Wolfsburger Autokonzern halten, äußerten sich nicht zu den jüngsten Entwicklungen.
Mehr: Verhärtete Fronten im Aufsichtsrat: Streit um Herbert Diess blockiert VW
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