Techniker belasten Management Audis „willenlose Werkzeuge“

Hier sitzt der Audi-Techniker Giovanni Pamio in Untersuchungshaft.
Düsseldorf Seit Anfang Juli sitzt Giovanni Pamio im Gefängnis München-Stadelheim in Untersuchungshaft. Regelmäßig holen zwei Justizbeamte den beschuldigten Audi-Techniker ab und fahren ihn quer durch die Stadt. Der Italiener wird in das Landeskriminalamt in der Maillingerstraße gebracht und dort vernommen. Offenbar ist er für die Ermittler der Staatsanwaltschaft München II eine ergiebige Quelle. Ende der vergangenen Woche wurden die Befragungen vorerst abgeschlossen. Pamio hat geliefert – nun sind die Staatsanwälte wieder am Zug. Die zentrale Frage lautet: Finden sich neben Pamio und ein paar weiteren Audi-Technikern aus untergeordneten Hierarchieebenen bald Top-Führungskräfte des Konzerns auf der Beschuldigtenliste?
Die Verteidiger Pamios sind überzeugt, dass nicht ihr Mandant, sondern seine Vorgesetzten den Dieselskandal bei Audi zu verantworten haben. Trotzdem haben sie nach den Befragungen große Zweifel daran, dass die Anklage erweitert wird. Den Staatsanwälten machen sie sogar heftige Vorwürfe. „Die Ankläger sind nicht daran interessiert, auch gegen die Vorstandsriege um Audi-Chef Rupert Stadler zu ermitteln“, ist Strafrechtler Walter Lechner überzeugt, der zusammen mit Klaus Schroth Pamio verteidigt. Die Anwälte sagen, dass die Staatsanwaltschaft ihnen gegenüber davon gesprochen habe, die Vorstände seien „undolose“ – also willenlose – Werkzeuge in der Hand der technischen Abteilung gewesen. Danach hätten die Techniker Stadler und Co. die Manipulationen der Dieselabgaswerte untergeschoben.
Das Bauernopfer?
Lechner will das nicht auf seinen Mandanten sitzen lassen. Pamio, wohnhaft in Karlsruhe und Vater zweier Kinder, sei ein Bauernopfer, sagt der Verteidiger. Drei Stufen unter dem Vorstand habe Pamio gar nicht die Befugnisse gehabt, über derart wichtige Fragen wie die Größe von Tanks für den Harnstoff Adblue zu entscheiden. Die Flüssigkeit ist notwendig, um giftige Stickoxide in den Dieselabgasen zu neutralisieren. Heute ist klar, dass die Tanks von Dieselfahrzeugen von Audi als auch bei anderen Marken des Volkswagen-Konzerns viel zu klein dimensioniert waren, um die vorgeschriebenen Grenzwerte einzuhalten. Die Adblue-Einspritzung wurde deswegen gedrosselt – die Fahrzeuge fuhren schmutziger als erlaubt.
Pamio ist der erste Angestellte aus dem VW-Konzern, der in Deutschland mit seiner Freiheit büßen muss. Für ihn und seine Verteidiger war deshalb schnell klar, dass er sein Wissen darüber preisgibt, wie es zu dem Skandal kam. Ende 2006 soll ein Dieselentwickler verschiedene Topmanager gewarnt haben. Auch Pamio will Alarm geschlagen haben. Am 16. Oktober 2007 habe er bereits gegenüber mehreren Audi-Führungskräften offen ausgesprochen, dass der als „Clean Diesel“ gepriesene VW Touareg den US-Umweltvorschriften nicht genüge. Pamio war von 2002 bis 2015 bei Audi Chef der Thermodynamik, muss also im Detail Bescheid gewusst haben.
Gegenüber der Staatsanwaltschaft hat der Beschuldigte nach Erkenntnissen des Handelsblatts insbesondere ehemalige Audi-Vorstände, unter ihnen Ulrich Hackenberg, belastet. Auch sie sollen darüber informiert worden sein, dass die Probleme vor allem in den USA offenkundig waren. Die Führung habe am fragwürdigen Umgang mit Adblue festgehalten. Hackenberg war bis Ende 2006 in leitender Funktion bei Audi und wechselte mit Martin Winterkorn zum 1. Januar 2007 als Mitglied des Markenvorstands zu Volkswagen nach Wolfsburg. Mitte 2013 kehrte er als Entwicklungschef zu Audi zurück, bevor er Ende 2015 im Zuge des Dieselskandals seinen Posten räumte. Hackenbergs Verteidigerin reagierte auf Anfrage nicht.
Indirekt treffen die Aussagen auch Audi-CEO Rupert Stadler und Ex-VW-Boss Winterkorn. Auch Hackenberg gehörte zu ihren engsten Vertrauten. Winterkorn musste den Vorstandsvorsitz wenige Tage nach Bekanntwerden des Skandals aufgeben. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig führt ihn als Beschuldigten. Er wird verdächtigt, Autokäufer betrogen und VW-Aktionäre nicht rechtzeitig über den Skandal informiert zu haben. Stadler dagegen ist bis heute im Amt. Gegen ihn wird nicht ermittelt – nicht in Braunschweig und nicht in München.
Die Führungscrew hat dennoch einigen Grund, nervös zu werden. Denn Pamio steht mit seinen Aussagen nicht allein. Sie decken sich in Teilen mit denen von Ulrich Weiß (48), seit 2012 Hauptabteilungsleiter bei Audi, zuständig für die Entwicklung neuer Dieselmotoren. Im Zuge der Dieselaffäre wurde er Ende 2015 zunächst beurlaubt. Als er Stadler dann in seinem Arbeitsgerichtsprozess belastete, wurde er fristlos entlassen.
Nicht Beschuldigter, sondern Zeuge
Im Gegensatz zu Pamio wird Weiß in dem strafrechtlichen Verfahren nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge geführt. Er konnte bislang offenbar glaubhaft versichern, an den Abgasmanipulationen nicht beteiligt gewesen zu sein.
Weiß und Pamio schildern übereinstimmend , dass Stadler am 18. November 2015, einen Tag vor einer Präsentation bei der US-Umweltbehörde EPA, federführend daran mitgewirkt habe, diese Präsentation zu frisieren. Stadler war damals mit zahlreichen Führungspersonen nach Ann Arbor im US-Bundesstaat Michigan gereist. Audi wollte dazu mit Blick auf die „laufenden Ermittlungen nicht öffentlich Stellung nehmen“.
Das Handelsblatt berichtete schon im Februar 2017 über diese Vorfälle. Nach Angaben eines Teilnehmers habe die Runde um Stadler mit Anwälten und Führungspersonen bis in den Abend an der Präsentation gearbeitet. Am Ende habe sie deutlich anders ausgesehen als noch am Morgen. In der Ursprungsversion sei etwa deutlich klar erkennbar gewesen, dass die Audi-Motoren auf der Straße schmutziger fuhren als erlaubt. Das ging nun aus der überarbeiteten Version nicht mehr hervor.
Ebenfalls mit von der Partie in Ann Arbor: Michael Steiner, ein hochrangiger VW-Manager, den Konzernchef Matthias Müller als Aufklärer entsandt hatte. Beide, Stadler und Steiner, sollen bei der Besprechung die ganze Zeit anwesend gewesen sein. Heute ist Steiner im Porsche-Vorstand zuständig für Forschung und Entwicklung. Porsche wollte sich auf Nachfrage wegen der laufenden Ermittlungen nicht äußern. Man arbeite aber weiterhin intensiv mit den Behörden zusammen und werde alles dafür tun, sich gesetzeskonform zu verhalten und seine Kunden zufriedenzustellen.
Den Münchener Ermittlern scheinen die Schilderungen noch immer nicht zu genügen, um gegen die Konzernführungsriege vorzugehen. Ob dabei die Politik ein Wörtchen mitredet, ist bislang unklar. Der Audi-Fall ist jedenfalls so groß, dass er unter die Berichtspflichten der Staatsanwaltschaft fällt. So müssen die Ankläger regelmäßig über die Generalstaatsanwaltschaft auch das Justizministerium über den Fall unterrichten. Etwa, wenn es um neue Beschuldigte geht.
Die Staatsanwaltschaft bestreitet, Vorstände bereits als Täter auszuschließen. „Wir haben noch niemanden von der Liste gestrichen“, sagte die Sprecherin der Behörde. Woher die Verteidiger Pamios den Begriff des „undolosen Werkzeugs“ haben, wisse sie nicht. Fest steht jedoch: Fast zwei Jahre nach Bekanntwerden des Skandals sieht die Staatsanwaltschaft München II keinen Anfangsverdacht gegen Vorstände des Autokonzerns.
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