Technologiekonzern Siemens robust in der Krise: Kaesers Umbau zeigt Wirkung

Der Siemens-Gewinn halbierte sich, trotzdem schnitt der Konzern besser ab als von Analysten erwartet.
München Als Siemens-Chef Joe Kaeser im Frühjahr 2014 sein Strategieprogramm „Vision 2020“ vorstellte, sparte er nicht an Pathos. „Ich persönlich stehe Ihnen dafür gerade, dass die nachfolgende Generation ein besseres Unternehmen weiterführen kann. Das ist meine Vision. Das ist meine Verantwortung. Das ist mein Versprechen“, sagte er im historischen Mosaiksaal der alten Siemens-Zentrale in Berlin.
Sechs Jahre später steht Kaeser kurz vor dem Ende seiner Amtszeit. Sein radikaler Umbau, den er mit der „Vision 2020“ einleitete, findet im September mit dem Börsengang der Energietechnik-Sparte den vorläufigen Abschluss.
Die jüngsten Quartalszahlen zeigen, dass der Umbau bislang wirkt: Der Münchener Traditionskonzern kommt besser durch die Coronakrise als viele Konkurrenten. Nur die Verluste in der Energiesparte trüben das Bild.
Kaeser selbst sprach bei der Präsentation des Zwischenberichts von einer „vergleichsweise starken operativen Performance“. Bei Umsatz und operativem Gewinn konnte Siemens die Erwartungen der Analysten übertreffen.
Der Lohn: Der Aktienkurs stieg am Donnerstag um zwischenzeitlich knapp vier Prozent auf 115 Euro. Seit dem Corona-Tief im März hat sich der Kurs damit fast verdoppelt.
Das Timing ist also günstig für den Wechsel an der Spitze des Traditionskonzerns.
Nach der Hauptversammlung im Februar übergibt Kaeser den Vorstandsvorsitz an Vize Roland Busch. Zuvor wird das Haus bestellt: Ende September ist der Börsengang von Siemens Energy geplant. Und mit Start des neuen Geschäftsjahrs 2020/21 am 1. Oktober tritt das neue Führungsteam an.
Der Aufsichtsrat bestellte am Mittwochabend Cedrik Neike zum neuen Industrievorstand. Über die Pläne hatte das Handelsblatt bereits vorab berichtet. Der 47-Jährige, der bisher für die Smart Infrastructure verantwortlich war, übernimmt damit eine Schlüsselposition in Buschs Mannschaft, wenn Klaus Helmrich in den Ruhestand geht. Am 1. Oktober tritt auch die neue Personalchefin Judith Wiese an.
Nun habe man „die Neuaufstellung der Siemens AG auch in Bezug auf das Vorstandsteam sehr erfolgreich abgeschlossen und damit alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Weiterentwicklung des Unternehmens geschaffen“, sagte Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe.
Ob der Umbau damit abgeschlossen ist? Er benutze das Wort Umbau nicht gern, sagte Kaeser. Im Übrigen gelte: „Eine Weiterentwicklung ist ein kontinuierlicher Prozess.“ Der Wandel wird also auch unter Busch weitergehen. Doch er kann auf eine derzeit positive Entwicklung aufsetzen. Der Siemens-Umsatz sank zwar im dritten Quartal des Geschäftsjahrs 2019/20 (zum 30. September) um fünf Prozent auf 13,5 Milliarden Euro.
Doch hielt sich Siemens damit noch relativ gut. Beim Schweizer Konkurrenten ABB waren die Erlöse um vergleichbar zehn Prozent auf 6,2 Milliarden Dollar gesunken. Beim kriselnden US-Rivalen General Electric gingen die Industrieumsätze sogar um 20 Prozent auf 16,3 Milliarden Dollar zurück. Allerdings sind die beiden Konzerne nicht mehr so gut vergleichbar wie früher: Siemens verbucht die Zahlen der schwächelnden Energiesparte nicht mehr im fortgeführten Geschäft.
An der Abspaltung von Siemens Energy will Kaeser auch in diesen unsicheren Zeiten festhalten. Das Geschäft soll Ende September im Zuge eines Spin-offs an die Börse gebracht werden, bekräftigte der Konzern am Donnerstag.
Markt für große Gasturbinen eingebrochen
Die Sparte leidet – wie General Electric – unter anderem unter dem Einbruch des Markts für große Gasturbinen. Die niedrigen Gewinne der Energietechnik drückten so die Margen des Gesamtkonzerns in den vergangenen Jahren nach unten. Kaeser hofft daher auf eine Neubewertung der verbleibenden Siemens AG, wenn das Energiegeschäft draußen ist.
Im dritten Quartal bekam der Konzern die schwache Entwicklung der Energietechnik noch einmal zu spüren. Denn es liegt vor allem an den Verlusten der Windkrafttochter Siemens Gamesa, dass der Gewinn unter dem Strich um 53 Prozent auf 535 Millionen Euro einbrach. Doch auch beim Ertrag sieht es damit deutlich besser aus als bei der einstigen Industrie-Ikone General Electric, der Siemens so lange nacheiferte: GE machte im Quartal einen Verlust von zwei Milliarden Dollar.
Noch besser sah es bei Siemens im fortgeführten Geschäft aus, also in den Aktivitäten, die künftig die neue Siemens AG bilden. Hier sank der Gewinn im dritten Quartal nur um sieben Prozent auf 986 Millionen Euro.
Allerdings gab es mehrere Sondereffekte. So führte eine Neubewertung einer Beteiligung an Bentley Systems dazu, dass der operative Gewinn des Konzerns sogar um acht Prozent auf 1,8 Milliarden Euro stieg. Dies entsprach einer Marge von 14,3 Prozent.
Wenn die Energietechnik endgültig ausgegliedert ist, rücken die übrigen Geschäfte noch stärker in den Fokus. Der Umsatz der Vorzeigesparte Digitale Industrien sank um vergleichbar fünf Prozent auf 3,7 Milliarden Euro.
Abgemildert wurden die Rückgänge durch ein gutes Softwaregeschäft, das um zehn Prozent auf mehr als eine Milliarde Euro stieg. Das operative Ergebnis der Sparte verbesserte sich – wegen des Sondereffekts – um fast zwei Drittel auf 899 Millionen Euro.
Bahntechnik enttäuscht
Auch das zweite Standbein des neuen Konzerns, die Smart Infrastructure, musste Rückgänge hinnehmen. Der Umsatz sank um sechs Prozent auf 3,4 Milliarden Euro. Das operative Ergebnis brach um 27 Prozent auf 250 Millionen Euro ein. Siemens führte dies auf geringere Umsätze im hochmargigen Projektgeschäft zurück.
Als einzige Sparte wachsen konnte die Bahntechnik. Hier stiegen die Erlöse leicht auf 2,2 Milliarden Euro. Der operative Gewinn sank allerdings um 31 Prozent auf 153 Millionen Euro. Siemens führte dies auf eine „ungünstige Zusammensetzung der Geschäfte“ zurück. Kaeser nannte die Margenentwicklung bei Mobility enttäuschend, versprach aber Besserung.
Eine Gewinnprognose für das Gesamtjahr gab Siemens nicht. Das liegt auch an gegenläufigen Sondereffekten im Zuge der Abspaltung von Siemens Energy. Der Umsatz soll im Gesamtjahr moderat sinken. Für die kommenden Jahre aber stellte der künftige Konzernchef Busch Wachstum in Aussicht. Es seien Zukäufe denkbar, er wolle aber auch organisches Wachstum im Unternehmen.
Ex-Finanzvorstand Kaeser hatte die Führung vor sieben Jahren vom glücklosen Peter Löscher übernommen. Seinen Masterplan habe er dann mit beeindruckender Konsequenz durchgezogen, meint ein Vertrauter. Der Siemens-Chef ist überzeugt davon, dass sich fokussierte Spezialisten in Zeiten disruptiver Veränderungen besser entwickeln als klassische Konglomerate. Daher verselbstständigte er zunächst die Medizintechnik und brachte diese als Healthineers an die Börse. Im Herbst folgt Siemens Energy.
Organisatorisch hat Kaeser damit noch innerhalb seiner zweiten Amtszeit den Plan weitgehend umgesetzt. Doch nun müssen die Teilkonzerne wieder deutlich größer werden. Schließlich wollte Kaeser die Geschäfte auch für ein „Merger Endgame“ vorbereiten. In der Konsolidierung in ihren Branchen sollen die Unternehmen auch durch große Akquisitionen und Fusion eine zentrale Rolle spielen.
Den Anfang machten die Healthineers, die für 16 Milliarden Dollar den US-Strahlentherapie-Spezialisten Varian übernehmen wollen. „Ein derartiger transformatorischer Schritt wäre in der Konglomeratsstruktur der alten Siemens AG nicht möglich gewesen“, zeigte sich Kaeser überzeugt. In Industriekreisen wird damit gerechnet, dass eines Tages ein ähnlicher Deal in den Digitalen Industrien folgen könnte.
Doch dafür wird dann Roland Busch verantwortlich zeichnen müssen. Kaeser wird den Aufsichtsrat von Siemens Energy führen. Und auch dort gibt es ja noch genug zu tun, damit die künftigen Generationen ein besseres Unternehmen weiterführen können.
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