Es ist gut 50 Jahre alt und sichert heute dem Land Niedersachsen als Anteilseigner ein Vetorecht bei wichtigen Entscheidungen. Diese Sonderregelung stellt sich gegen die gängige Gesetzeslage, wonach in Aktiengesellschaften normalerweise Dreiviertelmehrheiten für zentrale Entscheidungen ausreichen. Neben der Blockadeerlaubnis für das Land hat auch die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat mehr Macht als üblich.
Die Nazis trieben den Aufbau des Volkswagenwerks in Wolfsburg als eines ihrer zentralen Projekte voran - und nutzten dafür enteignetes Vermögen der Gewerkschaften. Nach dem Krieg drohte VW das Aus, doch am Ende entschieden die Alliierten, dass der Autobauer zum Wohle Deutschlands weiterlaufen sollte. Sie legten den Konzern in die öffentliche Hand - VW sollte auf Jahrzehnte Jobs und Wohlstand bringen. Diesen Wurzeln trägt das VW-Gesetz mit seinen Sonderrechten noch heute Rechnung.
IG-Metall-Chef Berthold Huber sagte einmal, das VW-Gesetz sei ein sehr gutes Argument für mehr Mitbestimmung: „Mit einem VW-Gesetz und dessen Beschränkungen bei Standortverlagerungen hätten beispielsweise weder AEG/Electrolux in Nürnberg noch Nokia in Bochum dem Shareholder-Kapitalismus geopfert werden müssen.“ Niedersachsens Macht lässt VW auch für „Heuschrecken“-Investoren unattraktiv erscheinen. Dass das Land als Ankeraktionär wie ein Fels in der Brandung wirken kann, zeigte sich etwa bei dem am Ende doch gescheiterten Übernahmeversuch von Porsche gegen den Weltkonzern. Für VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh ist das VW-Gesetz eine einmalige Regelung, die es zu schützen gilt gegen „die einseitige Ideologie des freien Kapitalmarktes“. Die Sonderregelung hält auch fest, dass Standortentscheidungen - etwa Verlagerungen in Billiglohnländer - ohne das Okay der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat unmöglich sind.
Ihr Argument: Der Staat beschränkt damit den freien Kapitalverkehr in der EU, also Beteiligungen oder Übernahmen. Dies verstoße gegen europäisches Recht. Potenzielle Investoren würden abgeschreckt, Innovationen blieben aus und es würden keine neuen Jobs entstehen. „Das schadet Deutschland“, meint die EU-Kommission. Die Sonderregel sei eine Art „Goldene Aktie“, die das Land bevorteile. Brüssel kämpft seit langem gegen solche Regeln, derzeit sind rund 40 solcher Verfahren anhängig. Im Fall VW ist die EU-Kommission besonders hartnäckig - was auch daran liegen dürfte, dass die Wolfsburger als Europas größter Autobauer eine ganz besondere Bedeutung haben.
In Berlin wundert man sich gehörig über die Hartnäckigkeit der EU-Kommission. Die Auflagen des ersten EU-Urteils von 2007 seien komplett umgesetzt, lautet der Standpunkt der Regierung. Für die Sonderregelung hatte sich seinerzeit auch Bundeskanzlerin Angela Merkel stark gemacht.
Der Gerichtshof folgt in etwa drei Vierteln aller Verfahren der Ansicht des Gutachters, der den Titel „Generalanwalt“ trägt. Somit ist es wahrscheinlich, dass der Europäische Gerichtshof die Klage tatsächlich abweist und Deutschland Recht gibt. Bei solchen Klagen auf Verletzung des EU-Vertrags gelingt das den Ländern nur selten: Von 14 Fällen seit dem Jahr 2000 sah der Gerichtshof nach eigenen Angaben bisher nur dreimal von Strafen für den beklagten Staat ab.
In zwei bis sechs Monaten wird der Europäische Gerichtshof sein Urteil verkünden. Sollte er die Klage der EU-Kommission tatsächlich abweisen, könnte der Rechtsstreit dennoch weitergehen. Denn die Richter prüfen nicht die Frage, ob die Sperrminorität an sich zulässig ist - es geht nur darum, wie sie mit den anderen Bedingungen des ersten Urteils zusammenhängt. Voraussichtlich wird die EU-Kommission daher erneut vor Gericht ziehen. Dies wäre dann die dritte Runde - und könnte noch Jahre dauern.
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