Urteil in Gelsenkirchen So hart treffen die Dieselfahrverbote die Autohändler

Über 100 Tage steht ein gebrauchtes Diesel-Auto durchschnittlich beim Händler, bis sich ein Abnehmer findet.
Essen, Düsseldorf Das Telefon hat in der Rellinghauser Straße 400 in Essen am Donnerstag nicht mehr stillgestanden, das Autohaus Reintges konnte sich vor Anrufen von besorgten Kunden kaum retten. „Die Leute waren durch die Reihe verunsichert“, berichtet der Verkaufsleiter des Essener Automobilhändlers, Alexander Stürmer.
Der Grund für die vielen Anrufe war eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen. Das hatte kurz zuvor Fahrverbotszonen für Essen und Gelsenkirchen angeordnet, weil dort die EU-Grenzwerte für Stickoxide überschritten werden. Nicht nur einige Straßen der Stadt, auch die vielbefahrene A40 – Verkehrsschlagader des Ruhrgebiets – war von den Richtern zur möglichen Sperrzone für den Diesel erklärt worden. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH).
Nicht nur die Kunden, auch das Autohaus Reintges steht damit vor einem verschärften Problem. 30 Prozent aller Autos in den Verkaufsräumen sind Dieselfahrzeuge. In Anbetracht sinkender Nachfrage seit Beginn der Dieselkrise hatte der Händler, der Modelle von Ford und Kia verkauft, diese Zahl in den vergangenen Jahren schon massiv reduziert.
Bei den Nutzfahrzeugen gibt es allerdings kaum Alternativen zum Diesel-Antrieb. Und so sind weiter 95 Prozent der Nutzfahrzeuge bei Reintges Selbstzünder. Besonders bei den Gebrauchtwagen ist die Verunsicherung groß. Denn vom Fahrverbot sollen ab September 2019 auch Diesel mit der Abgasnorm Euro 5 betroffen sein. Fahrzeuge, die erst wenige Jahre alt sind.
Handwerker und Lieferanten, die dem Fahrverbot entgehen wollen, müssten viel Geld in einen Neuwagen investieren oder auf eine Umrüstung hoffen, für die es aktuell noch keine technischen Lösungen gibt.
Die Lage für die Händler verschärft sich durch die Fahrverbote doppelt. Die Nachfrage nach Dieseln ist eingebrochen. Und damit verlieren auch die Diesel-Gebrauchtwagen, die die Händler nur schwerlich loswerden, drastisch an Wert.
Lange Standzeiten bei Gebrauchten
Ein dreijähriger Diesel war im September 2018 nur noch 52,4 Prozent seines ursprünglichen Listenpreises wert. Im Januar 2017 waren es laut den Marktforschern der „Deutschen Automobil Treuhand“ (DAT) noch 56 Prozent gewesen. Beim Benziner betrug der Wert im September 2018 57,3 Prozent. Und das sind die bundesweiten Zahlen.
In den Regionen, in denen Fahrverbote drohen oder umgesetzt wurden, bahnt sich eine Flucht aus dem Diesel an. Der Preissturz habe sich zwar aktuell abgeschwächt, sagt Bernd Reich vom DAT, ein Grund zur Entwarnung sei das aber nicht. Sein Unternehmen bewertet die Restwerte ständig neu. „Der prozentuale Abstand hat sich jetzt seit mehreren Monaten stabilisiert“, sagt er. Das heißt: Aktuell fallen die Preise nicht mehr so stark wie auf dem Höhepunkt des Dieselskandals.

Betroffen sind die Stadtteile Frohnhausen, Holsterhausen, Altendorf, Rüttenscheid, Westviertel, Nordviertel, Vogelheim, Altenessen-Süd, Altenessen-Nord, Südviertel, Stadtkern, Ostviertel, Südostviertel, Huttrop, Frillendorf, Steele, Kray und Leithe – inklusive der Autobahn A40.
Viele Fahrzeuge, insbesondere von VW, sind wegen der Umstellung auf den neuen Prüfzyklus WLTP nicht verfügbar. Etliche Hersteller hatten Zehntausende Fahrzeuge in den Markt gedrückt, die die neuen WLTP-Standards noch nicht erfüllen. Die dringliche Nachfrage werde daher durch gebrauchte Diesel gedeckt. Diese höhere Nachfrage lasse die Preise wieder etwas steigen.
Doch mittelfristig dürfte sich die Lage wieder normalisieren. Spätestens dann droht den Dieselfahrzeugen ein weiterer Restwertknick. „Es dürfte sich wieder ein Abwärtstrend entwickeln“, sagt Ansgar Klein, Vorsitzender beim Bundesverband freier Kfz-Händler (BVfK), dem Handelsblatt. Gebrauchtwagenhändler dürften bei Ankauf und Inzahlungnahme bald wieder deutlich niedrigere Preise bieten, weil immer neue Fahrverbote drohen.
Verglichen mit Benzinern ist es für Händler schon jetzt deutlich schwieriger, ein Dieselfahrzeug zu verkaufen. So steht ein Diesel durchschnittlich 105 Tage beim Händler. Die Standzeit von Benzinern beträgt nur 82 Tage. Bis Anfang 2016, kurz nach dem Ausbruch des Dieselskandals, sah es noch anders aus: Damals waren die Standzeiten der Benziner länger als die der Dieselautos.
Die Autohersteller steuern gegen und loben hohe Umtauschprämien für Kunden aus, die einen gebrauchten Diesel gegen einen Neuwagen umtauschen. Doch trotz der günstigen Angebote sind neue Diesel kaum gefragt. Laut Diesel-Barometer der DAT sank der Absatz von Dieselfahrzeugen im vergangenen Jahr um 13,2 Prozent, während er bei Benzinern um 13,8 Prozent zunahm.
Noch 2015 betrug der Anteil von Dieseln an allen Neuzulassungen 48 Prozent, in diesem Jahr sind es bisher gerade einmal 32,2 Prozent.
Die Kunden scheuen das Risiko, am Ende doch von Fahrverboten betroffen zu sein. Klagen der Deutschen Umwelthilfe für 16 Städte sind aktuell noch anhängig. Die Urteile könnten „jetzt viel schneller kommen als die Bisherigen“, sagte Jürgen Resch, DUH-Bundesgeschäftsführer, dem Handelsblatt.
Der ADAC hat gar eine Kaufwarnung an seine Mitglieder herausgegeben. Wer weiterhin in städtischen Umweltzonen fahren möchte, solle sich entweder für eine Alternative zum Diesel entscheiden oder bis ins kommende Jahr mit dem Fahrzeugkauf warten.
Denn bisher gibt es nur wenige Modelle, die mit der neusten Euro-Norm 6d Temp unterwegs sind. „Bei diesen Modellen braucht man sich keine Sorgen zu machen, die sind wirklich sauber“, sagte Stefan Bratzel, Automobilprofessor und Direktor des Center of Automotive Management, dem Handelsblatt. Bei den normalen Euro-6-Dieseln sehe das aber ganz anders aus, es sei „nur eine Frage der Zeit, bis auch die von Fahrverboten betroffen sind“.
Auch Neuwagen betroffen
„Die jüngste Entscheidung für Teile des Ruhrgebiets verstärkt nicht nur regional, sondern auch bundesweit die Kaufzurückhaltung insgesamt“, so Händler-Verbandschef Klein. Da wundert es auch nicht, dass zwei der größten Autohändler im Ruhrgebiet, die Emil Frey Gruppe und die Fahrzeug-Werke-Lueg, das Urteil zu den Fahrverboten nicht kommentieren wollten, um die Kunden nicht noch weiter zu verunsichern.
Für Dirk Weddigen von Knapp, Chef des deutschen VW- und Audi-Händlerverbandes, gehen die Fahrverbote entschieden zu weit. „Man kann die alten Diesel nicht zu Sondermüll erklären“, schimpft er. Den Händlern schlagen Dieselkrise und Fahrverbote zunehmend auf das Gemüt. Der Zentralverband Deutscher Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) warnt gar, dass durch die schwindende Nachfrage nach Dieseln die wirtschaftliche Existenz vieler Händler bedroht werde.
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