US-Rechtssystem Warum die Firmen-Strafen in den USA richtig weh tun können

Volkswagen muss eine Strafzahlung leisten, auch aufgrund seiner Ermittlungen.
Düsseldorf Die Glyphosat-Urteile gegen Bayer mit den hohen Schadensersatzzahlungen sind typisch für das US-amerikanische Rechtssystem. Das bekamen schon einige deutsche Unternehmen zu spüren: Volkswagen musste sich auf einen Vergleich mit 500.000 Dieselfahrern einlassen, der den Autobauer rund 15 Milliarden Dollar kostete.
Die Deutsche Bank verdonnerte die US-Justiz wegen windiger Hypothekengeschäfte Ende 2016 zu 7,2 Milliarden Dollar Geldbußen und Kundenentschädigungen.
Gefürchtet sind Schadensersatzklagen in den Vereinigten Staaten auch deshalb, weil Unternehmen zu Zahlungen verpflichtet werden können, die weit über den eigentlichen Schaden hinausgehen. Der Grund: Im US-System sind auch im Zivilrecht Bestrafungen möglich.
Solche Punitive Damages werden fällig, wenn Unternehmen Kunden grob schuldhaft und vorsätzlich schädigen. Befördert werden Schadensersatzklagen außerdem durch spezialisierte Kanzleien. Anwälte werden in Amerika erfolgsabhängig vergütet. Das bietet große finanzielle Anreize, um Sammelklagen anzustoßen.
Für Unternehmen birgt das hohe Risiken. Davon zeugen zahlreiche Beispiele. Besonders teuer wurde es etwa für den US-Zigarettenhersteller R.J. Reynolds. Der Tabakkonzern musste der Witwe eines Kettenrauchers nach einem Urteil eines Gerichts mehr als 23 Milliarden Dollar Schadensersatz zahlen. Die Summe wurde zwar reduziert, auf der Rechnung für Reynolds standen am Ende aber noch immer 17 Milliarden Dollar.
Skurril ist der Fall „Liebeck gegen McDonald’s“. Stelle Liebeck hatte sich bei der Fast-Food-Kette eine Tasse Kaffee bestellt. Sie verschüttete das heiße Getränk und verbrühte sich.
Die Jury verurteilte McDonald’s auf 200.000 US-Dollar Schadensersatz und 2,7 Millionen US-Dollar Punitive Damages. Danach verständigten sich die Parteien allerdings auf einen niedrigeren Betrag.
Medienwirksame Jury-Urteile
„Hohe Schadensersatzurteile in den USA werden häufig von Jurys gefällt und erzeugen große Aufmerksamkeit in den Medien. Wenn der Richter ein überhöhtes Jury-Urteil nachträglich korrigiert, nimmt dies die breite Öffentlichkeit oft nicht mehr wahr“, sagt Carsten van de Sande, Prozessanwalt bei Hengeler Mueller.
Auch in Deutschland wittern in jüngerer Zeit US-Klägerkanzleien ein Geschäft. Hausfeld und Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan sind zwei bekannte Adressen, die hierzulande immer präsenter werden, vor allem bei Patentklagen und Schadensersatzklagen gegen Kartelle.
Auftrieb gibt den Spezialisten auch der Fall VW: Der Dieselskandal sorgte für die Einführung der Musterfeststellungsklage zum 1. November 2018. Sofort reichte der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) in Kooperation mit dem ADAC eine solche Klage ein. In kurzer Zeit ließen sich mehr als 400.000 potenziell Geschädigte registrieren.
Ist das der Durchbruch für Sammelkläger in Deutschland? In den Vereinigten Staaten hatte Volkswagen seinen Kunden zum Teil beträchtlichen Schadensersatz gewährt. Für kleinere Dieselfahrzeuge mit zwei Liter Hubraum gab es im Schnitt 20.000 Dollar für jeden Kunden, bei den größeren Drei-Liter-Modellen waren es sogar 40.000 Dollar.
Deutsches Recht funktioniert anders
Von solchen Summen können VW-Kunden trotz der neuen Musterfeststellungsklage nur träumen. Hierzulande ist zum einen noch ungeklärt, ob VW überhaupt gegen Gesetze verstoßen hat.
Der Autobauer sagt nein. Landgerichte urteilen bislang sehr unterschiedlich. Zum anderen ist der Druck in den USA viel höher, denn es gilt das „Opt out“-Prinzip.
Im Klartext: Jeder, der von einem potenziellen Schaden betroffen ist, gehört automatisch zur Gruppe der Kläger. Nur wer widerspricht, ist raus. Der Musterfeststellungsklage muss man sich dagegen aktiv anschließen. „Das Gesetz sieht außerdem keine Möglichkeit vor, die Ansprüche aller Geschädigten durch einen Gesamtvergleich zu erledigen“, erklärt Anwalt van de Sande.
Mit der Musterfeststellungsklage und dem schon vor Jahren eingeführten Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) verbessern sich zwar die Chancen für Kläger. Diese brauchen aber viel Geduld: Das Verfahren gegen die Deutsche Telekom ist nach mehr als zehn Jahren noch immer nicht abgeschlossen. Womöglich zieht sich auch die Klage der VW-Aktionäre noch Jahre hin. Aus ihrer Sicht hat der Autobauer zu spät über den Abgasskandal informiert.
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