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Verbraucherschützer im Interview VZBV-Chef Müller: „VW ist nicht der einzige Konzern, der beim Thema Diesel manipuliert hat“

Trotz Volkswagens Vergleich mit 200.000 Dieselhaltern sieht Deutschlands oberster Verbraucherschützer Verbesserungsbedarf bei der Musterklage. Er prüft bereits weitere Klagen.
20.04.2020 - 12:02 Uhr 1 Kommentar
Der Verbraucherschützer fordert eine Reform der Musterklage. Quelle: Reuters
Klaus Müller

Der Verbraucherschützer fordert eine Reform der Musterklage.

(Foto: Reuters)

Düsseldorf Volkswagen hat die Frist zur Annahme des mit der Verbraucherzentrale VZBV geschlossenen Dieselvergleich vom 20. April bis zum 30. April verlängert. Bereits jetzt wurden 200.000 Vergleiche geschlossen, weitere 21.000 sind in Bearbeitung.

Bei rund 262.000 vergleichsberechtigten Kunden liegt damit die Annahmequote bis dato bei rund 85 Prozent. Damit ist schon jetzt klar, dass eine Summe von rund 620 Millionen Euro an die Vergleichsberechtigten ausgezahlt wird. Überwiesen werden die jeweiligen Einzelbeträge zwischen 1350 und 6250 Euro ab dem 5. Mai. Insgesamt stehen 830 Millionen Euro zur Verfügung. Volkswagen löst damit einen Großteil des Dieselstreits mit deutschen Kunden.

VZBV-Chef Klaus Müller hält die ausgehandelten Entschädigungsbeträge für fair. Trotzdem übt er im Interview mit dem Handelsblatt harsche Kritik an VW. Der Autobauer habe den größten Wirtschaftsbetrug in der deutsche Historie zu verantworten. „Mehr als vier Jahre lang spitzte sich der Dieselskandal zu, ohne dass der Konzern Entgegenkommen zeigte“, sagt Müller. Auch das Verkehrsministerium habe nicht für die Verbraucher gekämpft.

Sein Verband prüft auch neue Musterklagen gegen andere Hersteller. Angesprochen auf die vielen tausend Dieselklagen gegen Daimler sagte Müller: „Uns ist bewusst, dass Volkswagen nicht der einzige Konzern ist, der beim Thema Diesel manipuliert hat.“ Der VZBV schaue sich sehr viele Sachverhalte genau an und prüfe, wie man die Rechte am besten durchsetze.

Bei der Musterfeststellungsklage sieht er dennoch Nachbesserungsbedarf. Die Klage sei falsch konstruiert, sagt Müller, sonst hätten viel mehr Menschen profitieren können. „Deshalb sollte die Politik jetzt unbedingt aus unseren Erfahrungen lernen und die Klage reformiert.“

Lesen Sie hier das vollständige Interview:

Herr Müller, die Quote der VW-Kunden, die sich der Musterfeststellungsklage angeschlossen haben, und nun den Vergleich annehmen wollen, ist sehr hoch. Haben Sie damit gerechnet?
Konkrete Erwartungen hatten wir nicht. Die Musterfeststellungsklage ist ein komplett neues Instrument. Deshalb gab es keinerlei Vorerfahrungen als Grundlage für Schätzungen oder Hochrechnungen. Wir waren überzeugt, für die Verbraucherinnen und Verbraucher ein akzeptables Angebot ausgehandelt zu haben. Darin fühlen wir uns durch die breite Zustimmung bestätigt.

Dies freut uns gerade auch vor dem Hintergrund der vielen Unkenrufe, die unser Verfahren begleitet haben. Wie oft mussten wir hören, die Musterfeststellungsklage sei zu kompliziert, kaum verständlich, für die Verbraucher wenig aussichtsreich, ein stumpfes Schwert und ein Vergleich praktisch ausgeschlossen. Dieses vermeintlich stumpfe Schwert führt aber jetzt zum wohl größten Massenvergleich in der Geschichte unseres Landes.

Wie bewerten Sie die Entschädigungssumme?
Wir hätten uns höhere Entschädigungssummen gewünscht. Aber die durchschnittlich 15 Prozent vom Kaufpreis waren das Maximum, was rauszuholen war und liegen im Rahmen dessen, was Volkswagen auch in anderen Verfahren gezahlt hat. Wir haben für die Musterfeststellungsklage immer explizit um die Verbraucher geworben, die selbst nicht vor Gericht ziehen wollen. Wenn wir vielen von ihnen jetzt zu einer Entschädigung verhelfen konnten, die sie fair finden, dann freut uns das.

Wie erklären Sie sich, dass nun so viele geschädigte Verbraucher einen Kompromiss akzeptieren?
Machen wir uns nichts vor: Ein Grund für die hohe Vergleichsbereitschaft ist sicher auch, dass viele Verbraucher die Nase voll haben. Sie wollen endlich einen Schlussstrich unter den größten Wirtschaftsbetrug der deutschen Geschichte ziehen. Mehr als vier Jahre lang spitzte sich der Dieselskandal zu, ohne dass der Konzern Entgegenkommen zeigte. Auch das Verkehrsministerium hat nicht für die Verbraucher gekämpft. Das hat viel Frust erzeugt und auch die Coronakrise trägt sicherlich dazu bei, dass eine schnelle Entschädigung attraktiv ist.

Erst die Musterfeststellungsklage hat den Weg für diese Lösung geebnet. Sind Sie zufrieden mit diesem neuen Instrument des Verbraucherschutzes?
Im Ergebnis hat die Musterfeststellungsklage für eine Viertel Million Verbraucher ein Vergleichsangebot gebracht. Das ist gut. Es hätten aber noch viel mehr Menschen profitieren können, wenn die Klage anders konstruiert wäre. Das ist schlecht. Deshalb sollte die Politik jetzt unbedingt aus unseren Erfahrungen lernen und die Klage reformieren.

Wo sehen Sie konkret Reformbedarf?
Das Klageregister zum Beispiel ist aus unserer Sicht überflüssig. Die Verjährung könnte mit Klageerhebung für alle Betroffenen des Sachverhalts gehemmt werden – ohne Eintragung. Ergeht ein positives Urteil, können sich die Verbraucher dann melden. In seiner jetzigen Form bringt das Register für die Verbraucher keinen Mehrwert. Es ist fehleranfällig, umständlich und schließt alle aus, die sich nicht rechtzeitig gemeldet haben. Auch, dass Verbraucher in der zweiten Stufe selbst klagen müssen, falls es keinen Vergleich gibt, ist schlecht und unnötig. Das Gericht könnte eine verbindliche Entscheidung darüber treffen, wie es weitergeht, etwa eine Schlichtung verbindlich anordnen. Auch automatisierte Mahnverfahren wären denkbar.

Wäre es also nötig, die Musterfeststellungsklage mit einer Leistungsklage zu verknüpfen?
Es gibt sicher Fallkonstellationen, in denen eine vollstreckbare Entscheidung des Gerichts für jeden einzelnen Geschädigten Sinn macht. Deshalb hat sich ja auch die Europäische Kommission bereits der Weiterentwicklung von Sammelklagen in der EU angenommen. Vor Ausbruch der Coronakrise haben wir erwartet, dass die entsprechende Richtlinie Ende des Jahres verabschiedet wird.

Auf regulärem Weg hätte es noch viele Jahre gedauert, um zu einer juristischen Lösung zu kommen. Wäre das aus Verbrauchersicht zumutbar gewesen?
Wenn es der einzige Weg gewesen wäre, hätten wir ihn beschritten. Zumutung hin oder her. Für Verbraucher, die nicht rechtschutzversichert sind, weder selbst noch mit einem Prozessfinanzierer klagen wollten, wäre der lange, gerichtliche Weg die einzige Möglichkeit gewesen, überhaupt etwas zu erreichen. Aber das wäre sicher nicht ideal gewesen. Deshalb haben wir den Vergleich geschlossen: So kriegen die einen Verbraucher schnell Geld und die anderen, die auf größere Summen spekulieren, können eine eigene Klage erheben, wenn wir unsere niederlegen. Für sie ist die Verjährung gehemmt. So profitieren auch sie.

Eignet sich die Musterfeststellungsklage überhaupt für einen Groß-Schadensfall wie VW?
Nur bedingt. Eigentlich zielt sie auf Fälle, die alle gleich sind, dem gleichen Muster folgen. Also etwa Banken, die bei jedem Kunden fünf Euro zu viel pro Monat als unzulässige Gebühr abbuchen. Bei dem VW-Fall gab es sehr große Unterschiede: Im Anschaffungspreis, bei den gefahrenen Kilometern. Es gab auch viele Fragen, die im Rahmen der Musterfeststellungsklage nicht zu klären waren, weil sie von Fragen abhängen, die nur individuell zu beantworten sind. Etwa der Anspruch ausländischer VW-Kunden, Ansprüche aus Käufen nach dem 31. Dezember 2015. Die können auch deshalb leider nicht von unserem Vergleich profitieren.

Wird der VZBV die Musterfeststellungsklage für vergleichbare Fälle nutzen?
Wo immer es das beste Instrument ist, um die Rechte von Verbrauchern zu verteidigen und durchzusetzen, werden wir die Klage wieder nutzen. Wir wünschen uns allerdings eine schnelle Reform. Die Musterfeststellungsklage muss verbraucherfreundlicher und einfacher werden.

Auch im Fall Daimler gibt es inzwischen viele 1000 Klagen von Dieselfahrern. Erwägt der VZBV auch in diesem Fall, eine Musterfeststellungsklage einzureichen?
Wir schauen uns sehr viele Sachverhalte genau an und prüfen, wie man die Rechte am besten durchsetzt. Uns ist bewusst, dass Volkswagen nicht der einzige Konzern ist, der beim Thema Diesel manipuliert hat.
Herr Müller, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Autoindustrie drängt auf staatliche Kaufprämie von mehreren Tausend Euro.

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1 Kommentar zu "Verbraucherschützer im Interview: VZBV-Chef Müller: „VW ist nicht der einzige Konzern, der beim Thema Diesel manipuliert hat“"

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  • und was soll uns das sagen? Die Konzerne regieren durch legale Bestechung (Parteispenden; Minister im KBA-Wegschauen und Wegsehen; sonstige Pöstchen; Beraterverträge; Aufsichtsratposten(siehe VW und Ministerpäsident); ständniger Wechsel von Politikern in die Lobbyverbände der Industrie usw.) und nun wird auch noch eine Kaufprämie auf Kosten des Bürgers mit Steuermitteln gefordert. Frechheit usw. siegt hier in der BRD! Es wird Zeit, dass sich was ändert!

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