Vermögenswerte Heidelberg Cement gerät wegen Corona unter Druck

Das Ergebnis von Heidelberg Cement wird nach Aussage des Konzerns „eine ordentliche Delle bekommen“.
Stuttgart Der seit Februar amtierende neue Vorstandschef Dominik von Achten hätte sich seinen Start an der Spitze von Heidelberg Cement einfacher vorstellen können. Sparprogramm, Corona und Druck vom Kapitalmarkt. Jetzt muss Deutschlands größter Baustoffkonzern im Zuge der Pandemie seine Besitztümer um 3,4 Milliarden Euro wertberichtigen. Betroffen sind vorrangig Vermögenswerte in Westeuropa, teilte das Dax-Unternehmen am Montagabend nach Börsenschluss mit.
Die Aktie des Dax-Konzerns brach nachbörslich ein, am Morgen begann die Aktie mit einem Kursminus von 3,5 Prozent, erholte sich dann aber wieder. „Das zeigt eigentlich, dass der Kapitalmarkt unser Vorgehen erwartet hat“, betonte ein Unternehmenssprecher.
Das Unternehmen habe wegen der Coronakrise die Geschäftsaussichten aller lokalen Einheiten überprüft und dabei die Werthaltigkeit des Portfolios neu eingeschätzt. Weil die erwarteten Gewinne zurückgehen, sinkt auch der Wert der Anlagen, geht aus der Mitteilung als wichtigster Grund für die Abschreibungen hervor.
In Großbritannien bekommt das Unternehmen zudem Gegenwind durch den Brexit. Und schließlich hat Heidelberg Cement die Marktrisikoprämie in Absprache mit seinen Wirtschaftsprüfern von sechs auf sieben Prozent erhöht – durch diesen bilanziellen Effekt sinkt der Wert der Vermögensgegenstände weiter. Das Institut für Wirtschaftsprüfer (IdW) hatte zuvor seine Kapitalkostenempfehlung erhöht.
Zu zwei Dritteln betreffen die Abschreibungen das Portfolio, das Heidelberg Cement 2007 durch den Kauf des britischen Baustoffherstellers Hanson bekommen hat. Ein Fünftel kommt durch den Zukauf von Italcementi im Jahr 2016 zustande. Ende 2019 lag der Goodwill des Unternehmens bei 11,783 Milliarden Euro bei einem Eigenkapital von 18,5 Milliarden Euro.
Mit Absenkung des Goodwills erhöht sich die Kapitalrendite als positiver Nebeneffekt. Wie bei Abschreibungen üblich drückt auch diese das Ergebnis, betrifft aber nicht den Cashflow. Heidelberg Cement hatte im März wegen der Krise den Jahresausblick gestrichen.
Die größten Übernahmen sind zusätzliches Risiko
Denn damit, dass die Coronakrise Heidelberg Cement trifft, rechnet das Unternehmen schon länger. Man erwarte deutlich negative Auswirkungen auf Umsatz und Gewinn, warnte Vorstandschef von Achten bei Vorlage der Zahlen zum ersten Quartal 2020. „Das Ergebnis wird eine ordentliche Delle bekommen.“
Schon Ende Februar, noch bevor die Krise im Geschäft wirklich sichtbar wurde, starteten von Achten und sein Finanzchef Lorenz Näger das Sparprogramm „Covid Contingency Plan Execution“ (COPE) – mit dem Ziel, eine Milliarde Euro einzusparen, unter anderem auch beim Personal. Die Führungskräfte verzichten auf 20 Prozent ihres Gehalts. In der Heidelberger Konzernzentrale wurde Kurzarbeit eingeführt. Einen Werksneubau in den USA hat der Konzern erst einmal verschoben.
Zusätzliche 317 Millionen Euro haben die Aktionäre durch eine deutliche Dividendenkürzung von 2,20 auf 0,60 Euro beigesteuert. Ähnlich wie etliche andere Konzerne steuert auch der Baustoffriese in Richtung Cash-Sicherung. Jetzt erweisen sich ausgerechnet die beiden größten Akquisitionen in der Geschichte des größten deutschen Baustoffkonzerns in Corona-Zeiten als zusätzliches Risiko.
Die 14 Milliarden Euro schwere Übernahme des britischen Konkurrenten Hanson hätte Heidelberg Cement in der Finanzkrise vor elf Jahren fast schon das Genick gebrochen. Brexit und Corona zwingen jetzt zu erheblichen Wertberichtigungen. Und mit Italcementi haben die Heidelberger zunächst einen guten Fang zu machen geglaubt. Aber der Hauptsitz des Unternehmens liegt bei Bergamo, der am stärksten von der Pandemie betroffenen Region in Italien.
Die offensive Expansion von Vorgänger Bernd Scheifele zeigt nun höchst unangenehme Nachwirkungen. Immerhin weiß von Achten genau, auf was er sich eingelassen hat. Denn für die Integration von Hanson war er ebenso verantwortlich wie bei Italcementi. Mit anderen Worten: Der neue Chef kennt die Stellhebel und bedient sie jetzt, ohne viel Zeit zu verlieren.
Schritte wie bei Heidelberg Cement stehen wohl noch einigen Großunternehmen bevor, die große Akquisitionen getätigt haben. Weder sind die meist damit verbundenen milliardenschweren Schulden abgetragen, noch erfüllen sich jetzt in nächster Zeit die mit dem Unternehmenskauf verbundenen Wachstums- und Gewinnerwartungen.
Deshalb richten sich die Blicke von Analysten derzeit nicht nur auf die Liquidität, sondern auch auf Verschuldung und Goodwill. Viele Bilanzen von Großkonzernen sind so strapaziert wie noch nie: Durch teure Zukäufe haben die 30 Dax-Unternehmen nach Handelsblatt-Berechnungen rund 316,6 Milliarden Euro an Goodwill angehäuft, das sind Hoffnungswerte aus Firmenkäufen, die keinen materiellen Gegenwert haben.
Das sind fast 30 Milliarden Euro mehr als ein Jahr zuvor, so viel wie noch nie in der deutschen Wirtschaftsgeschichte – und mehr als doppelt so viel wie im Jahr 2005.
Mehr: HeidelbergCement im Bilanzcheck – Der neue Chef hat genügend Baustellen.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.