Volkswagen VW zieht mit Tesla gleich: Autobauer startet drahtlose Software-Updates

Die neuen Softwareupdates machen aus dem Bildschirm auf dem Armaturenbrett eine Schaltzentrale.
Wolfsburg Was Tesla schon seit Jahren kann, möchte Volkswagen auch endlich können. Die Wolfsburger tastet sich langsam an das Thema der umfassenden Software-Updates „over the air“ heran – allerdings zunächst nur für die neueste Generation der Elektromodelle aus der ID-Familie und nicht für die klassischen Verbrennermodelle wie Golf und Passat.
Wie wichtig diese Kompetenz ist, zeigte sich in der vergangenen Woche. Da kündigte der US-Elektrohersteller Tesla in China ein drahtloses Software-Update „over the air“ für fast 290.000 Fahrzeuge an, weil sie aus unerklärlichen Gründen plötzlich beschleunigen könnten. Mit dem Update „over the air“ entfällt der lästige Rückruf in die Werkstatt, die Autos können viel einfacher repariert werden.
„Der Start erfolgt im Bereich des dritten Quartals“, sagte VW-Entwicklungsvorstand Thomas Ulbrich bei einem Pressegespräch in Wolfsburg. Im August stehen in der Volkswagen-Konzernzentrale die Werksferien an, danach sollen die Software-Updates des niedersächsischen Autoherstellers tatsächlich in größerem Stil beginnen. Schon im März hatte Volkswagen angekündigt, dass der Startschuss für die draht- und werkstattlose Verteilung von Software in diesem Sommer auf dem Programm steht.
Ein klassischer Autohersteller wie Volkswagen hat immensen Respekt vor dem neuen Thema Software, die Furcht vor einem Scheitern ist groß. Tesla hatte mit der drahtlosen Softwareverteilung schon vor etwa acht Jahren begonnen und entsprechend Erfahrungen gesammelt. Premiummarken wie Mercedes und BMW bieten Updates „over the air“ zwar ebenfalls an, aber im Unterschied zu Tesla in sehr begrenztem Umfang.
Meist handelt es sich um Updates für das Infotainmentsystem (Navigation, Kartendaten, Radio). Tesla geht viel weiter und kann umfassend per drahtloser Technik jedes Auto verändern – wie das aktuelle Beispiel aus China mit der Behebung der unerklärlichen Beschleunigung zeigt.

Die neueste Elektrogeneration aus Wolfsburg versteht künftig auch drahtlose Software-Updates „over the air“.
Bei Volkswagen ist der Respekt vor der neuen Software auch aufgrund eigener Erfahrungen groß. Im vergangenen Jahr war es gerade so eben gelungen, das erste neue Elektromodell ID.3 noch einigermaßen rechtzeitig zu den Kunden zu bringen. Softwareprobleme hatten den Verkaufsstart maßgeblich verzögert. Die ersten ausgelieferten Autos enthielten auch nicht den anfangs versprochenen kompletten Software-Umfang.
Bei den drahtlosen Software-Updates „over the air“ zieht Volkswagen deshalb noch einmal eine zusätzliche Erprobungsphase ein, bevor im Spätsommer die großflächige Verteilung bei bis zu 200.000 Elektrofahrzeugen in Europa beginnen kann. Der Wolfsburger Autohersteller will lieber auf Nummer sicher gehen und größere Probleme bei der Softwareverteilung vermeiden.
In dieser Woche beginnt Volkswagen zunächst mit der drahtlosen Softwareverteilung bei rund 2000 ID-Kunden aus dem sogenannten „First Mover Club“. Das sind die ersten und sehr loyalen Käufer der ID-Modelle, die von Anfang an dabei sind und meistens voll hinter dem Elektrokonzept der Wolfsburger stehen. Sie verzeihen mehr Fehler als ein Durchschnittskunde.
In einer ersten Testphase hatte Volkswagen die Softwareverteilung schon seit Februar bei etwa 1000 eigenen Dienstwagen erprobt. Die 2000 Autos der „First Mover“ sind dann der zweite Testdurchlauf.
„Sechs bis sieben Wochen werden wir brauchen, bis wir mit den ,First Movern‘ durch sind“, sagte VW-Entwicklungsvorstand Ulbrich. Sollten sich hierbei alle Systeme als stabil erweisen, könnte Volkswagen tatsächlich mit der flächendeckenden drahtlosen Verteilung von fahrzeugbezogener Software bei den dann etwa 200.000 bereits verkauften ID-Autos beginnen.
Updates zunächst nur in Europa verfügbar
Volkswagen plant die drahtlose Softwareverteilung zunächst nur auf dem europäischen Markt, andere Verkaufsregionen wie Nordamerika und China werden später folgen. Andere Konzernmarken wie Audi und Skoda nutzen bei ihren neuesten Elektromodellen zwar dieselbe Technik wie die Volkswagen-Pkws (die sogenannte „MEB-Elektroplattform“), lassen sich mit dem Start der Updates „over the air“ aber noch etwas mehr Zeit. Volkswagen soll zunächst Erfahrungen mit der neuen Technik sammeln.
Kunden klassischer VW-Verbrennermodelle werden vergeblich auf umfassende drahtlose Software-Updates warten. Für Golf oder Passat nutzt Volkswagen eine völlig andere Plattform, mit der die Updates „over the air“ nur in sehr kleinem Umfang möglich sind. Der VW-Konzern müsste viel Geld in die Hand nehmen, um die Verbrennermodelle auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Da das Ende der Verbrenner zeitlich immer näher rückt, dürfte sich der Konzern wahrscheinlich eher gegen diese zusätzlichen Investitionen entscheiden.
Stefan Bratzel, Professor am Center of Automotive Management (CAM) der Fachhochschule Bergisch Gladbach, bezeichnet die Software-Herausforderung für etablierte Autohersteller wie Volkswagen als „Herkulesaufgabe“. Als einer der weltweit größten Autokonzerne müsse Volkswagen dieses Thema in den Griff bekommen.
„Wenn es VW nicht schafft, wer dann?“, so Bratzel. Die Autobranche dürfe dieses Feld nicht IT-Riesen wie Apple und Alphabet sowie Newcomern wie Tesla und Nio überlassen. „Volkswagen muss aber erst noch unter Beweis stellen, dass sie es wirklich können“, betonte der Hochschullehrer.

Der Bildschirm zeigt an, wenn eine neue Software installiert werden kann.
Mit den drahtlosen Software-Updates „over the air“ lassen sich nicht nur lästige Werkstattaufenthalte vermeiden. Mit ihnen können die Autohersteller auch ein neues Geschäftsfeld aufbauen. Unternehmen wie Volkswagen können ihren Kunden dauerhaft oder befristet zusätzliche Softwarefeatures verkaufen. Das wäre beispielsweise eine höhere Motorleistung für den Wochenendausflug oder die Nebelscheinwerfer für den winterlichen Ski-Urlaub in den Bergen.
In Wolfsburg gibt es bereits konkrete Pläne, den eigenen Elektrokunden noch in diesem Jahr eine vergrößerte Reichweite der Batterien anzubieten. VW-Vertriebsvorstand Klaus Zellmer spricht schon von zusätzlichen Software-Umsätzen „in dreistelligem Millionenbereich“.
Volkswagen ist selbst gespannt darauf, wie viele Kunden sich tatsächlich für die Software-Updates „over the air“ interessieren werden. Schon jetzt ist sicher, dass nicht alle dabei sind. Um die Softwarepakete herunterladen zu können, müssen die mit einer eigenen SIM-Karte ausgestatteten Autos mit dem Internet verbunden werden.
Nach den bisherigen Erfahrungen von VW machen das bislang etwa 80 Prozent der Kunden. Sollten eines Tages auch sicherheitsrelevante Updates „over the air“ verteilt werden, müssten solche Internetverweigerer dann doch klassisch in die Werkstatt fahren, um sich dort die neue Software aufspielen zu lassen. Volkswagen plant künftig alle drei Monate mit umfassenden Software-Updates, das ist vergleichbar mit dem Updaterhythmus eines Smartphones.
Mehr: VW-Chef: „Das Thema Software ist die große Herausforderung.“
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Korrekterweise sollte erwähnt werden, dass BMW nicht nur "kleinere Updates" sondern das gesamte Fahrzeug mit allen relevanten Steuergeräten "over the air" updaten kann. Und das schon seit Juli 2018. Siehe https://www.bmw.com/de/innovation/bmw-software-update.html
Fun Fact: BMW hat schon mehr Fahrzeuge per Remote Software Upgrade aktualisiert, als Tesla Autos gebaut hat.