Volvo-Chef Håkan Samuelsson „Die Elektrifizierung wird kommen“

Volvo wendet sich von alten Antrieben ab.
Nach dem Rückzug von der Spitze des Lkw-Bauers MAN hatte Håkan Samuelsson einen ruhigen Lebensabend in seiner Heimat Schweden geplant. Als der strauchelnde Autobauer Volvo ihn aber im Oktober 2012 vom Aufsichtsrat zum Vorstandschef machte, war er wieder voll zurück in der Arbeitswelt. Da trumpft der 66-Jährige nun mit der Ankündigung auf, ab 2019 nur noch Elektroautos auf den Markt zu bringen. Zum Interview in der Göteborger Firmenzentrale erscheint Samuelsson aber mit Sorgenfalten. Sein Zahnarzt hat ihn just vor dem Gespräch per SMS zum Kontrolltermin einbestellt.
Herr Samuelsson, Volvo wurde mit seinen wechselnden Eigentümern und einem Absatz von einer halben Million Autos von der Konkurrenz bislang belächelt. Mit der Ankündigung, ab 2019 nur noch Elektrofahrzeuge zu bauen, haben Sie nun alle überrascht. Was haben Sie konkret vor?
Wir müssen in die Liga von BMW, Mercedes und Audi kommen. Deren Strategie auf den Weg dorthin zu kopieren, wäre aber falsch – wir gehen unseren eigenen Weg. Als schwedischer Hersteller haben wir eine klare Designsprache, und wir legen sehr viel Wert auf die Elemente Sicherheit und Umweltbewusstsein. Jetzt packen wir den Antrieb für die Zukunft an. Ab dem Jahr 2019 werden unsere neuen Modelle vollkommen elektrifiziert sein oder einen Hybridantrieb haben. Reine Verbrenner werden wir dann nicht mehr auf den Markt bringen.
Andere Hersteller lassen sich mehr Zeit. Warum der radikale Strategiewechsel?
Für uns war es wichtig, dass wir ein deutliches Zeichen für die eigene Mannschaft, die Zulieferer und die Kunden setzen. Die Elektrifizierung wird kommen, darauf müssen wir diese Gruppen vorbereiten.
Ist der Schritt nicht eher eine Flucht nach vorn? Volvo ist kleiner als andere Hersteller von Premiumautos und hat daher weniger Geld für Investitionen.
Um die Elektrifizierung zu finanzieren, werden wir natürlich in anderen Bereichen sparen müssen. Da können wir nicht gleichzeitig im bisherigen Umfang in Verbrennungsmotoren investieren. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir viel Geld für Forschung und Entwicklung aufbringen. Unsere Quote dafür von rund fünf Prozent unseres Umsatzes wird bestehen bleiben. Und da wir wachsen, steigt diese Summe kontinuierlich.
Der Abschied vom Verbrenner ist aber auch dann gesetzt?
Wir haben gerade erst die nächste Stufe unseres Dieselmotors entwickelt, den wir nun einführen werden. Der erfüllt alle gesetzlichen Anforderungen. Eine neue Motorengeneration werden wir aus heutiger Sicht deshalb nicht mehr entwickeln, es gibt keine Notwendigkeit dafür. Das Geld investieren wir lieber in Elektrofahrzeuge. Wir können nicht alles machen.

Der 66-Jährige fing direkt nach seinem Ingenieurstudium in Stockholm bei dem Nutzfahrzeughersteller Scania an. Nach Stationen unter anderem in Lateinamerika wechselte er im Jahr 2000 zum deutschen Wettbewerber MAN, wo er fünf Jahre später Vorstandsvorsitzender wurde. Den Posten musste der Familienvater nach Korruptionsvorwürfen im November 2009 räumen. Seit dem Jahr 2012 ist Samuelsson Chef des Pkw-Herstellers Volvo.
VW und andere Autobauer wollen zumindest einen Teil der benötigten Batterien selbst fertigen. Hegt Volvo auch derartige Pläne?
Wir haben selbst kein Interesse, in eine Batteriefertigung zu investieren. Wir können nicht alles selbst entwickeln. Batterien und den Elektroantrieb werden wir daher zukaufen.
Wer ist Ihr Partner bei den Batterien?
Die beziehen wir schon jetzt von LG aus Südkorea. Aber es werden neue Anbieter dazukommen. In China gibt es verschiedene neue Spieler.
Ihr Strategieschwenk wird für die Mitarbeiter einige Veränderungen mit sich bringen – und das in sehr kurzer Zeit. Haben Sie nicht Furcht, dass viele auf der Strecke bleiben?
Wir werden unsere Produktion nicht mit einem Schlag vollständig umstellen. Von 2019 bis 2021 werden wir fünf neue, rein elektrisch angetriebene Modelle vorstellen. Zudem Modelle mit Hybrid-Antrieben. Alle diese Fahrzeuge können wir in unseren bestehenden Werken und Produktionslinien fertigen. Die Veränderungen werden also vor allem unsere Entwickler treffen, weniger unsere Beschäftigten in der Fertigung.
Mit der Ankündigung wollten Sie nicht nur Ihre Mitarbeiter vorbereiten, sondern auch die Kundschaft. Für viele Autofahrer ist die mangelnde Reichweite von Stromautos ein Kaufhemmnis. Werden Sie denen die Furcht nehmen?
Wir brauchen schon 400 bis 500 Kilometer an Reichweite. Damit kann der Kunde den ganzen Tag über fahren und seine Fahrzeuge über Nacht wieder laden. Das werden wir natürlich schaffen, da ein Volvo-Kunde dies auch erwartet.
Wo sollen die Kunden ihre Autos aufladen? Die Infrastruktur von Ladestellen ist in den meisten Ländern mangelhaft.
Das ist ein Problem, und das wird sich ohne Elektroautos auch nicht ändern. Wir schaffen nun mit unseren Modellen einen Markt, den jemand besetzen muss. Eine Seite muss anfangen. Denn darauf zu warten, dass da jemand Geld für Ladestationen ohne eine entsprechende Anzahl an E-Autos in die Hand nimmt, wird nicht passieren.
Will Volvo nicht selbst in dieses Geschäft investieren?
Nein. Wir werden keine Infrastruktur bauen, sondern wir werden weiter Autos herstellen.
Da haben Sie sich viel vorgenommen. Bis zum Jahr 2020 soll der Absatz von zuletzt 535.000 auf 800.000 Fahrzeuge steigen. Halten Sie an diesem Ziel auch mit der E-Strategie fest?
Das Ziel bleibt. Ohne Elektrifizierung würden wir diese Absatzmarke aber schwerer erreichen. Und ich bin zuversichtlich: Unsere Strategie wird uns in den Jahren nach 2020 zusätzlichen Schub verleihen. Wir werden schneller wachsen.
Audi, BMW und Mercedes verkaufen über zwei Millionen Autos und sind weit enteilt. Sehen Sie eine Chance, dass Volvo zu den drei Premiumherstellern wird aufschließen können?
Ich erwarte, dass wir mit der Strategie schneller in deren Größenordnung kommen werden. Wir haben eine eigene Strategie, und mit diesem Unterschied werden wir Zuspruch bei den Kunden ernten. Wir werden dann schneller als die anderen Premiumhersteller wachsen.
Hilft Ihnen da Geely, die Volvo-Muttergesellschaft, aus? Welchen Einfluss hatte der Eigentümer auf die Strategie?
Volvo ist eine eigene Firma mit schwedischen Wurzeln. Geely trägt die Strategie aber natürlich mit und hat über seine Vertreter im Aufsichtsrat seine Zustimmung gegeben.
Erhält Volvo finanzielle Hilfe aus China?
In den vergangenen Jahren hat sich unsere Finanzkraft deutlich verbessert, was uns bei der Umsetzung unserer Pläne helfen wird. Wir werden die Elektrifizierung unserer Modelle aus eigener Kraft stemmen können.
Volvo wird seit der Ankündigung seiner Elektrooffensive gerne mit Tesla verglichen. Wie passend finden Sie den Vergleich?
Tesla hat mit seinen Autos etwas sehr Gutes geschaffen. Die haben sehr coole Fahrzeuge entwickelt, die von den Kunden angenommen werden. Uns und anderen Autobauern hat Tesla damit einen Impuls in Richtung Elektromobilität gegeben. Unser Hauptwettbewerber ist aber nicht Tesla, sondern das sind die drei Premiumhersteller aus Deutschland. In diesen Kreis wollen wir vordringen.
Die Lage in Deutschland hat sich für die Industrie dramatisch verändert. Nach den Betrügereien bei Dieselantrieben ist eine heftige Diskussion über das Ende von Verbrennungsmotoren entfacht. Wie nehmen Sie diese Kontroverse wahr?
Das ist ja keine rein deutsche Diskussion. In vielen Regionen dieser Welt ist dies ein Thema. Die Entwicklung ist damit auch nicht zu stoppen. Übrigens braucht es dazu keine spezielle Gesetzgebung oder die Ankündigung, dass 2025 oder 2030 Schluss mit konventionellen Antrieben ist. Der Verbrennungsmotor wird nur ersetzt, wenn es eine bessere Alternative gibt. Ich bin sicher, dass es mit dem Elektroantrieb eine solche gibt.
Elektroautos sind aber nicht unbedingt umweltfreundlicher. Um den Strom für den Betrieb zu gewinnen, werden Kohle und Gas verfeuert. Sauber sieht anders aus.
Das wird ein Ende haben. Letztlich wird Energie aus Wind, Sonne und Wasserkraft gewonnen. Dahin geht die Entwicklung, und die ist nicht aufzuhalten. Auch dafür brauchen wir keine zusätzliche gesetzliche Regelung.
Die scheint aber nicht mehr aufzuhalten zu sein. In Deutschland drohen Fahrverbote, und die Regulierung der Branche soll verschärft werden. Ein Risiko?
Für Deutschland ist die Automobilindustrie sehr wichtig. Das Land ist gut beraten, ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht zu riskieren. Es ist aber nicht meine Aufgabe, da Tipps zu geben. Ich muss mich um Volvo kümmern. Wir sind sicher, dass wir den richtigen Weg gehen.
Wundert Sie nicht die Schärfe der Auseinandersetzung?
Doch schon, die ist neu. Das hängt aber mit der Abgasaffäre zusammen. Ich kann es daher in gewisser Weise verstehen, dass hitzig diskutiert wird. Diese Diskussion trifft letztlich alle Autohersteller. Denn auch wir werden infrage gestellt, nicht nur die deutschen.
Wie reagieren Sie darauf?
Wir haben die Verantwortung, eine Antwort darauf zu geben, wie die individuelle Mobilität zukünftig aussehen wird. Autos sind seit über 100 Jahren ein fantastisches Produkt. Wir müssen Autos sicherer und selbstfahrend machen, und wir müssen es absolut Kohlendioxid-neutral machen. Dieses Versprechen ist die beste Antwort auf die Kritik.
Beschleunigt oder blockiert die Dieseldiskussion in Deutschland diesen Prozess?
Diese beschleunigt den Prozess. Ich fühle mich heute angesichts dieser Debatte noch sicherer mit unserer neuen Strategie.
Wann wird nach Ihren Planungen der letzte Volvo mit einem Verbrennungsmotor vom Band laufen?
Das ist auf den Punkt heute nur schwer vorauszusagen, letztendlich entscheidet es die Nachfrage der Kunden und deren Bereitschaft, bei der Mobilität neue Wege einzuschlagen.
Noch sind viele Volvo-Modelle mit Dieselmotoren auf der Straße. Werden Sie diese wie VW, Daimler oder BMW nachrüsten?
Unsere Autos haben alle gesetzlichen Anforderungen beim Verkauf erfüllt. Wir haben keine Motoren, die wir jetzt mit einem Software-Update besser machen könnten. Die waren schon bei der Auslieferung so gut, dass es jetzt keinen Bedarf für eine Nachrüstung gibt.
Sie haben kürzlich Ihren Vertrag bis 2020 verlängert. Bis dahin soll die Umstellung auf Elektroantriebe erfolgt sein …
… das ist natürlich ein wesentlicher Grund, dass ich die ersten Elektroautos auch in den Markt bringen will.
Wird der Umbau von Volvo dann aber abgeschlossen sein?
Ein solcher Prozess wird nie beendet sein. Nach 2020 würde ich mich gern in den Aufsichtsrat zurückziehen und auf der Position den weiteren Prozess begleiten.
Herr Samuelsson, wir bedanken uns für das Gespräch.
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