VW, Daimler, BMW, Bosch und ZF Ein Kartell der geballten Unschuld

VW-Mitarbeiter arbeiten in der Produktion des Golf: Ein- und Verkäufer von Stahl sollen sich über Preise unterhalten haben.
Frankfurt/Düsseldorf Für Kartellabsprachen sind Treffen unter dem Dach eines Verbandes denkbar ungeeignet. Solche Veranstaltungen sind wegen der vielen Teilnehmer nicht nur halböffentlich, sie werden von den Wettbewerbshütern auch mit Argwohn beobachtet. So ist es auch bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl, die die Interessen der deutschen Stahlproduzenten bündelt. Gleich zu Beginn von Zusammenkünften werde klar gesagt, dass nicht über Preise geredet werden dürfte, berichten Vertreter aus der Industrie. Die Branche hat gelernt: Zu oft standen deren Unternehmen in der Vergangenheit wegen Kartellabsprachen am Pranger. Wegen Kungeleien etwa bei Draht, Bau- oder Edelstahl hatten Behörden Ermittlungen eingeleitet und zum Teil hohe Strafen ausgesprochen. Kaum ein Hersteller war davon verschont geblieben.
Doch die klare Ansage scheint nicht immer zu wirken. Denn das vermeintliche Kartell von sechs Unternehmen aus der Automobilbranche, die nun unter Verdacht stehen, Stahlpreise abgesprochen zu haben, soll genau bei solchen Verbandstreffen aktiv gewesen sein. Am Dienstag war bekannt geworden, dass das Kartellamt gegen die Hersteller ermittelt.
Ort der Absprachen soll Düsseldorf gewesen sein, wo die Wirtschaftsvereinigung Stahl sitzt. Ein Beteiligter berichtet dem Handelsblatt, dass dort regelmäßig über Stahlpreise geredet worden sei – und zwar sogar mit den Stahlherstellern. Dabei hätten sich die Vertreter der Unternehmen – darunter VW, Daimler, BMW, Bosch und ZF nichts gedacht. Schließlich sei es nicht um die Preise direkt gegangen, sondern um Aufschläge für bestimmte Beimischungen in den Stählen wie Nickel, Schrott oder Chrom, deren Preise zum Teil gewaltig schwanken – manchmal um bis zu 50 Prozent. Mit Zuschlägen versuchen die Stahlhersteller, diese Schwankungen abzusichern.
Illegales wollen die Unternehmen dabei nicht im Sinn gehabt haben. Es sei ja nur allgemein über die Preisentwicklung geredet worden, sagte ein Vertreter eines betroffenen Unternehmens. Ein Einkäufer eines Automobilherstellers bestätigte, dass über die Kosten für Stahl gesprochen wurde. Dies sei regelmäßig geschehen. „Es wird ja immer viel geredet“, heißt es aus einem Stahlkonzern. „Man wundert sich manchmal schon, wie gut Autohersteller darüber informiert sind, zu welchen Preisen ihre Konkurrenz gerade abgeschlossen hat.“ Ohne Absicherung ging dieser Plausch unter Käufern und Verkäufern aber nicht vonstatten: Zumindest einige der Firmen holten nach Informationen des Handelsblatts Einschätzungen bei den Hausjuristen ein. Diese hätten bestätigt, dass die Gespräche unbedenklich seien. Außerdem, so betont ein Akteur, seien die Preise für diese Zuschläge im Internet für jeden einsehbar. „Für alle Seiten gab es damit volle Transparenz“, sagte er dem Handelsblatt. Damit sei es fraglich, wie dies als Kartell gewertet werden könnte.
Doch das Kartellamt hegt genau den Verdacht, dass es sich um illegale Absprachen gehandelt habe. Am 23. Juni durchsuchten Beamte der Bonner Behörde, der Polizei und des Landeskriminalamts deshalb Büros der betroffenen Automobilhersteller. Ziel war es, Belege für Absprachen sicherzustellen. Wie genau das Kartell gewirkt haben soll, ist bislang unklar. Die Bonner Wettbewerbsbehörde bestätigte lediglich, dass ein Verfahren eingeleitet wurde. Zum konkreten Inhalt machte das Amt bislang keine Angaben.
Auffällig ist, dass die Stahlindustrie von der Durchsuchungswelle verschont geblieben ist. Keiner der größeren Hersteller wurde bislang von der Kartellbehörde kontaktiert. Dies gilt auch für die Wirtschaftsvereinigung Stahl, unter deren Dach die Absprachen stattgefunden haben sollen.
Der Grund dafür könnte darin liegen, dass die Wettbewerbshüter in früheren Verfahren ausreichend Einblick in die Arbeitsweise der Konzerne gewonnen haben. In den vergangenen Jahren hatten sie wiederholt gegen Stahlfirmen ermittelt. Dazu gehört auch ein Verfahren wegen angeblicher Absprachen bei Autoblechen. Dieses wurde zwar eingestellt, weil sich die Vorwürfe nicht erhärten ließen. Im Zuge der Ermittlungen erhielten die Fahnder aber Zugang zu den Terminplanungen der Stahlverkäufer. Ein anonymer Informant hatte die Behörde auf eine Reihe von Verbandstreffen aufmerksam gemacht, bei denen die Blechpreise abgesprochen worden seien.
Eine inhaltliche Nähe der beiden Branchen verwundert niemanden, schließlich sind Autoindustrie und Stahlkonzerne seit jeher eng miteinander verwoben. So gehören VW & Co. zu den größten Kunden der deutschen Hütten. Gut acht Millionen Tonnen und damit rund 26 Prozent der Produktion von zuletzt rund 42 Millionen Tonnen wandern in die Fabrikhallen der Autokonzerne. Nur die Bauindustrie nimmt noch mehr ab. Durchschnittlich eine Tonne Stahl wird für die Produktion eines Pkw verbaut.
Allein der Essener Industriekonzern Thyssen-Krupp, mit knapp zwölf Millionen Tonnen größter nationaler Stahlkocher, erzielt die Hälfte des Umsatzes der Sparte direkt und indirekt mit den Autobauern. Nur unwesentlich geringer ist der Prozentsatz beim Weltmarktführer Arcelor Mittal.
„Die nutzen ihre Position der Stärke aus“
Die Autobauer sind zudem ein wichtiger Innovationstreiber für die Stahlbranche. In den Forschungslabors von Thyssen-Krupp & Co. wird ständig nach neuen Mixturen und Verfahren gesucht, um dem Stahl auch nach 3 000 Jahren neue Fähigkeiten abzutrotzen – sehr häufig auch zusammen mit der Autoindustrie. So unterhalten viele Stahlhersteller eigene Büros für die Weiterentwicklung und Prüfung des Materials in den Entwicklungsabteilungen der Hersteller. Jedes Jahr werden Dutzende neuer Stahlsorten entwickelt, von den gut 2 000 Stahlsorten auf dem Markt gab es vor 20 Jahren drei Viertel noch gar nicht. Es gibt neue Rezepturen und Legierungen, es wird warm und kalt gewalzt, wieder erhitzt und kalt abgeschreckt. Das alles verändert die Struktur des Materials und prägt neue Eigenschaften. Fester, leichter, günstiger – das sind die Vorgaben.
So werden inzwischen immer mehr Spezialstähle in die Autos verbaut. Die sind zwar teurer, sparen aber Gewicht bei gleicher Festigkeit – wichtig für die Fahrzeugbauer, um Verbrauchs- und Emissionswerte einhalten zu können. Mehr als ein Dutzend solcher speziellen Sorten finden sich in einem Fahrzeug. So bestehen der Getriebetunnel und die Türrahmen beim Golf VII aus hochfestem Stahl, Gewichtsersparnis gegenüber dem Vorgängermodell: rund 23 Kilo. Die Rohkarosse des Golf ist zu 24 Prozent mit pressgehärteten Stählen ausgestattet, über 40 Prozent sind es beim Volvo XC90.
Doch das Verhältnis zwischen den Branchen ist nicht ungetrübt. „Man wird gern gegeneinander ausgespielt“, heißt es bei einem Stahlhersteller mit Blick auf die Autoindustrie „Die nutzen ihre Position der Stärke aus.“ So achten die Autobauer penibel darauf, mindestens drei Stahllieferanten zu haben – um ja nicht in eine Abhängigkeit zu geraten.
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