Wechsel der Rechtsform Deutsche Firmen flüchten vor Mitbestimmung

Missbrauch der Niederlassungsfreiheit oder wachsende Internationalisierung?
Berlin DGB-Chef Reiner Hoffmann übt sich in Diplomatie. Der oberste Gewerkschafter prangert das „nächste Versagen unserer Wirtschaftselite“ an. Seiner Attacke auf den Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) schickt Hoffmann aber Versöhnliches voraus. Eric Schweitzer werde von ihm „persönlich durchaus geschätzt“, sagte Hoffmann auf einer Tagung vor 200 Gewerkschaftern. Was Schweitzer aber mit seinem Unternehmen gemacht habe, verurteilt Hoffmann kurz und bündig als „Flucht aus der Mitbestimmung“.
Schweitzer ist Mitgesellschafter der Berliner Entsorgungsfirma Alba Group. Deren Dachgesellschaft firmiert als Alba Group plc & Co. KG. Persönlich haftender Komplementär ist eine britische Rechtsform. Folge: Das Unternehmen hat zwar 8000 Mitarbeiter, unterliegt aber nicht der deutschen Mitbestimmung. Nach dem Gesetz müssen Aufsichtsräte bei Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten zu einem Drittel Arbeitnehmervertreter sein, ab 2000 Beschäftigten sogar zur Hälfte.
Kein Einzelfall
Alba verteidigt die Umwandlung im Jahr 2011 mit der wachsenden Internationalisierung der Entsorgungs- und Recyclinggruppe, weist aber den Vorwurf, aus der Mitbestimmung zu fliehen, zurück. „In der Alba Group gibt es auf allen Ebenen eine betriebliche Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz, einen mitbestimmten Aufsichtsrat hatten und haben wir nicht“, heißt es auf Anfrage.
Alba ist kein Einzelfall. Vor allem das alarmiert den Gewerkschaftsbund. Nach einer unveröffentlichten Studie der Böckler-Stiftung gibt es inzwischen 94 Unternehmen in Deutschland, die „Mitbestimmung im Aufsichtsrat durch Nutzung ausländischer Rechtsformen umgehen“. Seit 2011 habe die Umfirmierung rasant zugenommen, heißt es in der Studie, die dem Handelsblatt vorliegt.
Ein bekanntes Beispiel ist etwa die Fluggesellschaft Air Berlin, die ebenfalls als britische plc firmiert. Vor dem Jahr 2000 gab es laut Studie der Böckler-Stiftung lediglich 20 größere Firmen in Deutschland mit ausländischer Rechtsform, die normalerweise der Mitbestimmung unterliegen würden. Seitdem hat die Umfirmierung in eine Auslandsgesellschaft an Fahrt gewonnen. Auslöser war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit.
Neues Schlupfloch befürchtet
Seitdem konkurrieren deutsche Kapitalgesellschaften wie AG oder GmbH mit der Europa AG (SE) und mit ausländischen Rechtsformen wie der niederländischen B.V., der britischen Ltd. oder plc oder österreichischen wie luxemburgischen GmbHs oder AGs.
DGB-Chef Hoffmann sieht in der Entwicklung den Versuch der Unternehmen, ganz „bewusst die Möglichkeiten der Niederlassungsfreiheit in Europa zu missbrauchen, um Mitbestimmung zu umgehen“.
Gefahr für die Mitbestimmung, die in Sonntagsreden gern als Garant für Nachhaltigkeit und Stabilität der deutschen Wirtschaft gilt, droht aber noch von anderer Seite. Die EU-Kommission hat 2014 einen Richtlinienvorschlag für eine europäische Einpersonengesellschaft vorgelegt. Würde der Entwurf so umgesetzt, müssten künftig der juristische und der faktische Firmensitz nicht mehr identisch sein.
Gewerkschafter fürchten ein neues Schlupfloch. Ein Unternehmen, das ausschließlich in Deutschland produziert, könnte trotzdem beispielsweise von einer britischen Ltd. gesteuert werden. Auch die Bundesregierung sieht das sehr kritisch. Justizminister Heiko Maas (SPD) lehnt den EU-Entwurf in dieser Form rundweg ab.
DGB-Chef Reiner Hoffmann hat für 2015 einen Plan. Er startete die „offensive Mitbestimmung“. Es sieht aber so aus, als müsste der Gewerkschaftsführer erst einmal die Linien gegen Unternehmer und die Europäische Kommission verteidigen.
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