Wolf-Henning Scheider Von Bosch zu Mahle zu ZF in drei Jahren – der neue ZF-Chef ist ein Job-Hopper
Friedrichshafen Wolf-Henning Scheider hat das einmalige Kunststück in der Autoindustrie vollbracht, innerhalb von drei Jahren drei unterschiedliche Chefposten zu bekleiden. Bis März 2015 führte er die Autozuliefersparte von Branchenführer Bosch, dann wurde er Chef vom Motorteile- und Kühlungsspezialisten Mahle. Im Februar 2018 folgte schließlich der Chefposten beim drittgrößten deutschen Autozulieferer, ZF aus der Bodenseestadt Friedrichshafen.
Der Betriebswirt kommt erst gegen 21:00 Uhr zur Vorstellungsrunde am Vorabend seiner ersten Bilanzpressekonferenz als ZF-Chef. Scheider sieht bei seinem ersten öffentlichen Auftritt etwas blass aus, hat er doch neben der obligatorischen Vorstands- und Aufsichtsratssitzung bereits eine Hauptversammlung und eine Gemeinderatssitzung in den Knochen.
Einen solchen Gremien-Triathlon gibt es nur in Friedrichshafen. Der Topmanager muss auch den Stadträten künftig seine Strategie erklären. Denn nirgendwo in Deutschland gehört einer Kommune mit 60.000 Einwohnern über eine Stiftung ein Konzern mit 36,5 Milliarden Euro Umsatz.
Die Hauptversammlung ist beim drittgrößten Automobilzulieferer allerdings eine überschaubare Veranstaltung. Es gibt nur zwei Eigentümer, die Zeppelin-Stiftung mit 93,8 Prozent der Anteile wird vertreten durch den Oberbürgermeister Andreas Brand und die Ulderup Stiftung (6,2 Prozent) mit ihrem Vorsitzenden Joachim Meinecke.
Vor allem mit dem Oberbürgermeister muss sich der gebürtige Saarbrücker Scheider gut stellen. Denn sein Vorgänger Stefan Sommer war letztendlich daran gescheitert, dass er den Volksvertreter unterschätzte und bei seiner aggressiven Expansionspolitik nicht auf seine Seite ziehen konnte.
Der Eigentümer verweigerte Sommer und dem ihn unterstützenden Aufsichtsrat Giorgio Behr die Milliardenübernahme des Bremsenherstellers Wabco. Erst trat Behr zurück. Dann gab der Aufsichtsrat Sommer im Dezember den Laufpass. Ein weiterer Streitpunkt war die höhere Ausschüttung, die sich der Oberbürgermeister nun genehmigt hat. Statt bislang 50 Millionen wird Scheider im nächsten Jahr fast 190 Millionen Euro an den Eigentümer überweisen müssen.
Mit Scheider soll es wieder ruhiger werden. Über seine ersten Gespräche mit Brand sagt Scheider nur Gutes: „Die Zusammenarbeit mit dem Eigentümer ist sehr konstruktiv. Der Vorstand hat alle Freiheitsgrade, um das Unternehmen zu entwickeln.“ Auch Zukäufe seien möglich. Ob das ebenso für Bremsenhersteller gilt, blieb allerdings offen. Er habe sich noch keine abschließende Meinung gebildet, aber: „Es geht auch ohne Bremse.“
Statt einer grundlegend neuen Strategie verkündet Scheider erst mal kleine Maßnahmen: Der Neuankömmling will etwas mehr Geld in die Entwicklung neuer Produkte für elektrische und autonome Fahrzeuge stecken und in diesem Jahr deutlich mehr für Forschung und Entwicklung ausgeben als die 2,2 Milliarden Euro aus dem Jahr 2017.
Damit sollen etwa Elektroantriebe und hybride Getriebetechnik sowie Fahrerassistenzsysteme entwickelt werden. Zudem seien zwei neue Werke zur Produktion von Teilen für Elektroantriebe geplant. Der Stiftungskonzern gibt damit etwa so viel für neue Technologien und Produkte aus, wie er operativ verdient.
Scheider lobte ausdrücklich Finanzchef Konstantin Sauer, der ab Dezember 2017 die Geschäfte einige Wochen interimsweise geführt hatte. ZF habe die Milliardenakquisition des US-Konkurrenten TRW sehr gut verdaut und die Schulden aus dem Deal innerhalb von knapp drei Jahren auf sechs Milliarden Euro halbiert.
Das schaffe ihm jetzt weitere Spielräume. „Ich bin von einem tollen Unternehmen zu einem tollen Unternehmen gewechselt“, sagte Scheider. Allerdings wirkt der deutlich kleinere Mahle-Konzern, die Nummer vier der deutschen Autozulieferindustrie, im Nachhinein eher wie eine Zwischenstation. Denn ZF ist nach der Übernahme von TRW mit Branchenprimus Bosch eher auf Augenhöhe. Zumindest sind die Ähnlichkeiten größer, wenn man einmal davon absieht, dass ZF sich bislang bei Mobilitätsdiensten und Plattformen im Internet zurückhält.
Eine kleine Spitze gegen Bosch
Aber ZF entwickelt wie Bosch das elektronische Gehirn des selbstfahrenden Autos, und dies mit den gleichen Partnern Baidu und Nvidia. ZF könnte sogar schneller am Markt sein als Bosch. Erstkunde ist der chinesische Autohersteller Chery, der sein Roboterauto bereits 2020 auf die Straße bringen will. Und eine komplette elektrische Hinterachse wird schon dieses Jahr an einen Premiumhersteller ausgeliefert. „Ich kenne keinen Autozulieferer, der ein breiteres Angebot hat als ZF“, sendet Scheider die erste Spitze in Richtung Bosch.
Das Unternehmen, in dem er die längste Zeit seiner Karriere verbracht hat, hat nämlich keine Fahrwerksteile und Getriebe im Angebot. Und einen weiteren Vorteil genießt Scheider bei ZF. Anders als Bosch hat ZF keine Einspritztechnologie und kann vergleichsweise entspannt auf die Dieselkrise schauen.
Ernst will der neue ZF-Chef die wachsende Nachfrage nach Hybrid-Technologie nehmen. Der Ausbau dieses bestehenden Geschäfts mit Zukunft scheint bei Scheider zunächst einmal Priorität vor Zukäufen zu haben. Das kommt vor allem bei der Belegschaft an.
Denn unter Sommer spurtete ZF von einer Übernahme zur nächsten. Auch die Arbeitnehmervertreter ließen Sommer am Ende fallen. Nach dieser Vorgeschichte genießt Scheider vorerst Vorschusslorbeeren. Der Betriebsrat lässt ihn jetzt zunächst mal machen und gibt keinen Kommentar zum Start ab.
Aber demnächst dürfte es wieder erheblichen Gesprächsbedarf geben. In Friedrichshafen steht das Nutzfahrzeuggetriebewerk massiv unter Druck, nachdem Volkswagen seine Getriebe künftig bei der Konzerntochter Scania und nicht mehr bei ZF fertigen lässt. Solche Auseinandersetzungen sind am Bodensee besonders heikel, weil die Arbeitnehmer den Oberbürgermeister als ZF-Eigentümer durchaus in einen schwerwiegenden Interessenkonflikt stürzen können: Entscheidet er sich für Arbeitsplätze oder eine höhere Rendite für den Stadtsäckel?
Aber Scheider will sich in dieser Gemengelage nicht zu früh positionieren. Jetzt ist er erst mal froh, mit seiner Frau ein Haus in Friedrichshafen gefunden zu haben. Der Oberbürgermeister habe ihm Tipps gegeben, welche Makler er ansprechen sollte. Was sein Hobby angeht, hat Scheider mit seinem neuen Wohn- und Arbeitsort das große Los gezogen.
„Ich wandere gern, segele und fahre gern Ski“, sagte Scheider. Jetzt seien es in die Berge zwei Stunden Fahrt weniger. Scheider besitzt das Bodenseeschifferpatent, darf dort also Boote steuern.
Einziger Haken: Einen Liegeplatz hat er nicht. Die werden am See vererbt. Als Auswärtiger kommt er da nicht ohne Weiteres ran. Selbst als Chef des weit und breit größten Unternehmens.
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